Futuro - Haus vom anderen Stern

Von der Skihütte zur postmodernen Kunst- Ikone

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Vor vierzig Jahren beauftragte Dr. Kaakko Hiidenkari seinen früheren Schulkameraden Matti Suuronen mit dem Bau einer "After-Ski"-Hütte, die "schnell zu beheizen und selbst in schwierigem Gelände einfach zu konstruieren" sein sollte. Das weltweit erste in Serienproduktion gebaute Plastikhaus war nicht nur für die finnische Architektur einzigartig.

Zwischen den 1950er und 1970er Jahren war ein weit verbreiteter optimistischer Glauben an den technologischen Fortschritt integraler Bestandteil der westlichen Kultur: Atomkraft, Reisen ins All, Plastik - alles schien möglich. Dieser Enthusiasmus färbte auch auf Architekten ab. Utopische Urbanisationen wurden zu Land, zu Wasser, zur Luft und im All von Architekten wie Frei Otto, Richard Buckminster Fuller oder der Archigram-Gruppe erdacht (im Jahre 2008 sollten z.B. eigentlich gemäß NASA/Universität Stanford-Studien von 1975 bereits bis zu 10 Millionen Menschen im Weltraum angesiedelt sein). Ein Höhepunkt der Weltraumära-Architektur war die Weltausstellung 1970 in Osaka mit ihren Kapsel-Apartments, UFO-förmigen Pavillons und pneumatischen Hallen. Letztendlich wurden nur wenige der Designs umgesetzt. Sie blieben oftmals Luftschlösser im wahrsten Sinne des Wortes und ähnelten eher experimenteller Kunst. Hans Hollein schlug vielmehr vor, anstatt Häuser zu entwerfen, sollten die Leute lieber Pillen nehmen, um halluzinogene Visionen einer jeglichen gewünschten Umgebung zu erzeugen.

Die Form der fliegenden Untertasse wurde bereits früher in anderen Zirkeln als äußerst viel versprechend diskutiert: 1926 erklärte Thomas Townsend Brown sie zum perfekten Design intergalaktischer Gefährte, und 20 Jahre später entwarf der Brite John Searle fliegende Kreiselscheiben. Der US-amerikanische Architekt John Lautner war in den 1960er Jahren mit seinem Chemosphere House noch nicht konsequent genug - das Ergebnis sieht eher aus wie ein Wohnwagen auf Stelzen.

1957 erregte Monsantos House of the future einiges Aufsehen in Disneyland - hartnäckig hält sich das Gerücht, dass sich der in den 1970er Jahren für einen Tag geplante Abriss auf zwei Wochen ausdehnte, weil die Abrissbirne wirkungslos an der Außenhülle abprallte. Schließlich musste das "House of the future" mit Kettensägen in kleine Stücke zerlegt werden. (alle Abbildungen aus Futuro. Tomorrow's House from Yesterday. Marko Home & Mika Taanila, Desura Books, Finnland, 2002.)

Futuro: "...a heavenly feeling of action and togetherness, the here and now!"

Das Futuro verkörpert die charakteristischen Themen utopischer Architektur in den 1960er Jahren: Mobilität, mehr Freizeit und neue Materialien. Das bewegliche Plastik-Ellipsoid stellte etwas völlig neues dar - nicht nur in der finnischen Architektur.

Ein Futuro besteht aus mit Glasfiber verstärktem Polyester. Aus verschiedenen Designs wurde ein abgeflachtes Rotationsellipsoid ausgewählt: der 1968 auf dem Polykem- Gelände vorgestellte Prototyp hatte einen Durchmesser von acht und eine Höhe von vier Metern. Möblierte Gesamtmasse: vier Tonnen. Selbst bei kaltem Wetter ließ es sich dank elektrischer Heizung und Polyurethan- Isolation innerhalb einer halben Stunde auf wohlige Innentemperaturen bringen. Der Preis von 12.000 US-Dollar war, gemessen an den Standards Ende der 1960er Jahre, exorbitant.

Nach dem einschlagenden Erfolg auf der Finnfocus-Exportmesse im Oktober 1968 in London entschied sich die finnische Polykem Ltd. zur Aufnahme der Serienproduktion. Binnen kurzem lagen über 400 Anfragen von ausländischen Firmen vor, die sich die Herstellungsrechte sichern wollten; Herstellungslizenzen gingen in 25 Länder. Der unerwartete Erfolg von Suuronens Schöpfung bescherten ihm nicht nur Freunde: Kollegen überschütteten ihn mit Häme und reduzierten die Beliebtheit dieser "Bagatelle" auf dessen ungewöhnliche Erscheinung.

"Diese farbenprächtigen Kapseln könnten die Antwort des Wohnungsbaus auf Kondensmilch sein - kondensiertes Leben." (Holiday Magazine 1970)

Es ist wirklich pflegeleicht - es muss weder angestrichen noch repariert, sondern hin und wieder lediglich abgewaschen werden.

Matti Suuronen

Doch solche Bemerkungen konnten das weltweit entgegengebrachte Interesse nicht bremsen. Seine internationale Bekanntheit ermunterte Polykem, eine ganze Serie von Suuronen- Häusern in Auftrag zu geben: die Casa-Finlandia-Baureihe - allesamt aus beständigem Material und bequem zu produzieren, transportieren und aufzustellen.

Ein Futuro beim Zusammenbau in der Polykem- Fabrik, 1968. Die Behausung war so konzipiert, dass ihr Wirbelstürme oder Erdbeben nichts ausmachen sollten - der Vorläufer der Garten- Bunker von U.S. Bunkers, Inc.

Doch trotz des entfachten Interesses entpuppte sich das Futuro bald als finanzieller Flop - nicht zuletzt, weil Polykem nicht genügend Erfahrungen mit und Bedingungen für die weltweite Vermarktung dieses einzigartigen Erzeugnisses hatte. Ein Techniker gab später zu Protokoll, man hätte an die vereinbarte Summe für Baulizenzen besser noch eine Null angehängt.

"Dieses Objekt, das wie jedermanns Vorstellung von einer fliegenden Untertasse aus dem All aussieht, ist die finnische Idee eines perfekten Wochenendhäuschens." (Daily Mirror, 1968)

Das Ende des Projekts wurde mit der Ölkrise von 1973 eingeläutet, in deren Gefolge sich der Kunststoffpreis verdreifachte

Zwischen 1976 und 1977 bestellte die Sowjetunion drei Futuros - eins davon war als Skihütte im Dombai-Gebirge gedacht; andere Casa-Finlandia-Modelle dienten als Tankstellengeschäfte oder Kioske, z.B. in Minsk, Gomel, Vitebsk oder Smolensk. Für die Olympischen Spiele 1980 wurden fast 150 Casa-Finlandia-Gebäude geordert, darunter 35 Futuros. Der Olympia-Boykott versetzte den Todesstoß - die sowjetische Seite nahm sämtliche Bestellungen zurück. Seitdem tauchten immer wieder Architekten auf, die den Space-Age-Gedanken weiter verfolgen, z. B. Roy Mason zu Beginn der 1980er Jahre mit Xanadu - dem biomorphen "Schaumhaus".

Das Futuro lässt sich in zwei Tagen auseinander- und wieder zusammenbauen - oder gleich im Stück mit einem Hubschrauber transportieren. Die schwedische Luftwaffe kaufte drei Exemplare mit speziellen Sicherheitsmerkmalen - als Wachtürme für ein Schießplatz-Gelände. In den 1990er Jahren wurde Futuro in einer Art Renaissance zur Kunstikone - festgehalten im Dokumentarfilm: "Futuro - A New Stance for Tomorrow". Das einzige Futuro, das es in eine öffentliche Sammlung schaffte, ist in Utrecht gelandet.

Zwischen 1968 und 1973 wurden allein in Finnland 20 Futuros gebaut; eine vorsichtige Schätzung geht von 60 gebauten Futuros weltweit aus - andere Quellen rechnen mit 100; Fans listen die noch existierenden Futuros auf.

"Die Leute sollten nicht in schwarzen und weißen Kisten wohnen. Die der Natur eigenen Formen sind viel freundlicher." (Matti Suuronen 1969)

Die Hierarchie der Substanzen ist abgeschafft: eine einzige ersetzt sie alle: die gesamte Welt kann zu Plastik werden, und gar das Leben selbst [...].

Roland Barthes 1957

Junggesellenwohnung, Playboy Playhouse, gravitationsfreier Sozialraum?

In der Folgezeit beschäftigten sich viele, zum Teil aus verschiedenen Universen stammende professionelle Deuter mit der intellektuellen Auslegung des Bauwerks.

Der Futuro- Architekt Matti Suuronen (* 1933)- von der "After-Ski"-Hütte zum Meilenstein unserer jüngeren futuristischen Vergangenheit - oder doch zum gravitationsfreien Sozialraum (so jedenfalls Charles Wilp, der selbst ein Futuro auf dem Dach seines Düsseldorfer Hauses hatte; 1983 zwangen ihn die Behörden zur Entsorgung, da es nicht in die örtliche Landschaft passte.

So sah der finnische Kunsthistoriker Harri Kalha einen Unterschied zu Jule Vernes Nautilus, einem paradigmatischen hermetischen Raum männlichen Abenteuers - der wünschenswertesten aller Höhlen, jedenfalls nach Barthesschem Verständnis:

Das Futuro ist kein Boot, sondern ein Raumschiff, das an jedem Strand oder auf jeder Hügelkette landen kann. Seine grundlegenden semiotischen Gesten sind demnach Abreise (Abenteuer), Besitzergreifung und Abgeschlossenheit. Die Identität des Inneren ist durch seinen Gegensatz definiert: in Analogie ist der Abenteurer - der Mann - nicht allein in diesem existentiellen Traum, sondern die Frau - die symbolische Frau, die Weiblichkeit - hat eine bedeutende Präsenz in der räumlichen Fantasie des Futuro. [...] Es erneuerte den Symbolismus des geschlechtsspezifischen Raums und drängte die Küche, den konventionellen Arbeitsplatz der Frau, an den Rand. Währenddessen dramatisierte und erotisierte es den Wohnraum als theatralische Arena männlicher Performanz und Fantasie. Zur selben Zeit betonte seine idealisierende Darstellung die Rolle der Frau als Requisite im männlichen Theater - ein ornamentales Objekt, gefangen in einem anderen ornamentalen Objekt.

Die gewählten Innenfarben des Futuro versetzten Kalhas Gedanken gar zurück zu den Boudoirs und den Kurtisanen zu Zeiten Baudelaires. Ganz so verschwurbelt sah sein Schöpfer die Sache nicht. Für Matti Suuronen liegen dem Futuro lediglich rein mathematische Beziehungen zugrunde -sein futuristisches Äußeres ist purer Zufall.

Die farbenfrohe Plastik-Ära mit ihrem weit verbreiteten, an Fanatismus grenzenden optimistischen Glauben an den technologischen Fortschritt, der grenzenlosen Reichtum und Wohlstand für alle verhieß. Niemand in Sichtweite, der sich über ungesunde Baumaterialien oder eine Frau als Dekorationsstück beschweren würde.

Die Space-Age-Kunststoff-Exkursion fand mit der Ölkrise 1973 ihr jähes Ende. Mit einem zart aufkommenden Umweltbewusstsein bevorzugten die Menschen, die es sich leisten konnten, Zuflucht in Tradition und Nostalgie - z.B. in Antti Lovags Bubble House, dessen Konzept in den 1970er Jahren entstand und das auf der Erkenntnis beruhte, dass primitive Behausungen wie Iglus und Höhlen der Art und Weise menschlicher Bewegung besser entsprachen - allerdings übersah man die Schwierigkeiten beim Auftreiben adäquater Möbel.)

Futuro. Tomorrow's House from Yesterday. Marko Home & Mika Taanila (edit.). Desura Books, Finnland, 2002. Enthält DVD mit Dokumentarfilm: Futuro - A New Stance for Tomorrow (1998).