Denunziation vs. Anzeige erstatten

"Der größte Lump im Land…" Teil 2

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Warum bei der Denunziation zwischen strafrechtlicher und gesellschaftlicher Definition Unterschiede bestehen

Als der Onlinewache der Polizei Hessen ein Artikel bei Heise Online gewidmet wurde, war die Reaktion weitgehend die, dass man die elektronische Anzeige mit einem Denunziationsautomatismus gleichstellte. "Das erinnert an DDR-Überwachung oder diverse Filme" lautete beispielsweise eine Beurteilung, von der vereinfachten Denunziation war die Rede. Die bisher veröffentlichten Zahlen zur Nutzung der Onlinewache zeigen jedoch keinen sprunghaften Anstieg in Bezug auf Anzeigen Arbeitserleichterung als Katalysator für Missbrauch?.

Scheiternde Definitionsversuche

Nicht nur bei dieser Meldung und ihrer Kommentierung zeigte sich, dass die Begriffe Denunzieren/Denunziant/Denunziantentum geradezu inflationär verwandt werden, wenn es darum geht, eine Anzeigemöglichkeit lediglich negativ zu bewerten. Vielfach wurde befürchtet, der "Rentner" aus dem Artikel von Wolf-Dieter Roth Vorsicht, "Rentner" im Netz würde nun den ganzen Tag über Anzeigen wegen Falschparkens in die Maske eintippen.

Dieser Befürchtung könnte man allein dadurch schon entgegentreten, dass man zwischen dem Anzeigen von Straftaten und dem Anzeigen von Ordnungswidrigkeiten differenziert. Während für die Ordnungswidrigkeiten wie Falschparken die Polizei lediglich im Ausnahmefall (Abschleppen eines PKW wegen Behinderung o.ä.) zuständig ist, das Aufgabengebiet ansonsten in den Bereich des Ordnungsamtes fällt, geht es bei den Mitteilen sowie den Anzeigen der Onlinewache um Straftaten im Sinne des Strafgesetzbuchs (StGB). Aber auch im Bereich der Straftaten stellt sich die Frage, wo Denunziation beginnt.

Der negative Modus Operandi

Die Denunziation wird meist in der Bedeutungsgruppe der Beschuldigung verwendet. Aus der Sicht des "Denunzianten" verkleidet sie sich als bloße Mitteilung. Die Absicht der Beschuldigung ist aber die Ausschaltung unliebsamer Zeitgenossen...

Wikipedia

Diese Definition verbindet Denunziation schon von Anfang an klar mit einer negativen Absicht.Bei dem "Rentner" wird diese automatisch vorausgesetzt. Dies basiert unter anderem darauf, dass sowohl der Anzeigende als auch der Angezeigte sich im Recht fühlen und zudem noch die Ordnungswidrigkeit als Bagatelle angesehen wird. Je mehr eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat als Kleinigkeit empfunden wird, desto stärker die Tendenz, die Anzeige der Tat als Denunziation anzusehen; den Anzeigenden als jemanden, der nur die Schädigung des anderen im Sinn hat.

Doch der Modus Operandi des Anzeigenden muss nicht einmal negativ gefärbt sein. Der "Hilfspolizist" sieht seine Aufgabe ja oft darin, sich für die Ordnung einzusetzen und, sozusagen als menschliche überwachungskamera, letztlich auch für Prävention zu sorgen. Werden genug Falschparker angezeigt, so seine Überlegung, so wird sich die Anzahl derer in dem beobachteten Gebiet ggf. verringern. Eine Überlegung, die mit dem Effekt der Kriminalitätsverlagerung bei Einsatz von Kameraüberwachung einhergeht. Das bedeutet: Die Intention, dem Falschparker "eins auszuwischen" ist also nicht zwangsläufig vorhanden. Was für den einen Denunziation ist, ist für den anderen Gesetzestreue und der Einsatz für Recht und Ordnung.

Niemand wird geschädigt?

Voraussetzung für eine Denunziation kann es ferner auch nicht sein, dass die Tat weder dem Anzeigenden selbst noch anderen schadet. Die Einschätzung, wem etwas schadet, wird von jenem vorgenommen, der sich für die Anzeige oder gegen sie entscheidet. Wer sich eng an die Gesetze hält, der wird (zu Recht) eine Verunglimpfung des Bundespräsidenten für eine Straftat halten und die Schädigung darin sehen, dass ein Repräsentant Deutschlands verhöhnt wird. Er sieht hierin eine Rufschädigung und aus dieser Einschätzung heraus ist eine Anzeige für ihn nicht nur logisch sondern auch notwendig. Ein anderer würde dies ggf. nicht da er der Meinung ist, dass kein Schaden entsteht. Sich der Argumentation, dass ein Schaden materiell sein muss, anzuschließen (welche oft vertreten wird), würde automatisch zu der Überlegung führen, dass die Rufschädigung und andere Straftaten, welche einen immateriellen Schaden anrichten, nicht mehr strafbar sein sollten. Dass dies nicht sinnvoll ist, liegt auf der Hand.

Besonders deutlich wird diese Problematik bei der Diskussion im Tauschbörsen und deren Nutzung. Die eine Seite sieht in dem Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Material eine Tat, die automatisch zur Schädigung von Urhebern und Verwertern führt. Wer sich dieser Argumentation anschließt, wird in dem Anzeigen dieser Tat keine Denunziation sondern vielmehr eine Mithilfe im Sinne der Geschädigten sehen. Wer dagegen z.B. die Argumentation "ich würde mir diese Single nicht kaufen, somit verursache ich keinen (finanziellen) Schaden" oder aus anderen Gründen in dem Download keine schädigende Wirkung sehen kann, der wird eine solche Anzeige automatisch als Denunziation ansehen. Aus diesem Grund gilt die "Strafanzeigenmaschine" auch als Denunziationsmaschine.

Denunzieren bedeutet Lügen

Strafrechtlich versteht man unter Denunziation den Straftatbestand der falschen Verdächtigung, der in der Folge zur Verfolgung Unschuldiger durch die Behörden der Strafverfolgung (Polizei und Staatsanwaltschaft) führen kann. Die rechtliche Definition ist somit präzise auf Unwahrheiten gerichtet. Dies ist nur logisch, da die Strafverfolgung nicht abwägt zwischen sinnvollen und weniger sinnvollen Gesetzen, sondern Verstöße gegen Gesetze prinzipiell behandelt.

Auf gesellschaftlicher Ebene werden auch Anzeigen, die auf Wahrheiten beruhen, als Denunziation angesehen. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei das Rechtsempfinden des Einzelnen. Wer ein Gesetz als unrechtmäßig ansieht, wird einen Verstoß dagegen nicht anzeigen. Dieses Rechtsempfinden ist auch die Grundlage für die eigene Definition des zivilen Ungehorsams. Es bedeutet, dass man sich mit einem Gesetz auseinandersetzt und beispielsweise auch Bestrebungen unternimmt, dieses überprüfen und ggf. aufheben zu lassen.

Wer sich aber generell an Gesetze hält, ohne sie zu hinterfragen, der wird anders handeln. Er wird einen Verstoß gegen ein Gesetz, sollte er diesen bemerken, entweder selbst zur Anzeige bringen oder aber derartige Anzeigen befürworten. Das Standardargument hierbei lautet, dass sich derjenige, gegen den sich die Anzeige richtet, ja seiner Tat bewusst war. Deutlich wird diese Haltung bei Diskussionen über inhaftierte Dissidenten, wenn pauschal festgestellt wird, dass "die ja wussten, was sie taten, und somit an ihrer Verurteilung selbst schuld sind".

Eine erweiterte Diskussion über die Auslegung der Gesetze durch Gerichte oder über den Modus Operandi der Dissidenten findet hierbei nicht statt. Würde man die rein strafrechtliche Definition auch in gesellschaftlicher Hinsicht anwenden, so käme man zu dem Schluss, dass jegliche Anzeige, Verhaftung, Inhaftierung etc., die auf Grund eines geltenden Gesetzes erfolgt, automatisch gerechtfertigt und zu begrüßen ist. Grauzonen entstehen so nicht. Folgt man dieser Argumentation, unterstellt man dem Gesetzgeber, sämtliche Gesetze im Sinne des Volkes zu verabschieden und gibt damit den Weg frei für eine totalitäre Entwicklung.

In den letzten Jahren seit dem 11. September 2001 gab es insbesondere im Hinblick auf Eingriffe in die Privatsphäre des Einzelnen neue Gesetze, welche sich anscheinend mit dem Urteil zum Großen Lauschangriff nicht vereinbaren lassen. Ob dies jedoch tatsächlich so ist oder nur von den Kritikern der Gesetze so gesehen wird, muss erst festgestellt werden. Zur Zeit sind diese Gesetze gültig. Bedenkt man die zunehmende Praxis der Politikwäsche, die im eigenen Land nicht erfolgreich verabschiedeten Vorhaben auf EU-Ebene als Gesetz zu verabschieden, werden Befürchtungen laut, dass die Anzahl der umstrittenen Gesetze zunehmen wird. Werden diese Gesetze nicht auf entsprechende Initiative zurückgenommen, so wird auch die Anzahl der Anzeigen ansteigen. Und die Anzahl derer, die in solchen Anzeigen Denunziationen sehen.

Denunzieren bedeutet Öffentlichkeit schaffen

Wikipedia spricht in seiner Definition davon, dass das Denunzieren darauf ausgerichtet ist, dem Täter öffentlich zu schaden, ihn anzuprangern. Doch viele Denunziationen geschehen durch eine anonyme Anzeige bei der Polizei, beim Arbeitgeber etc. Hier entsteht keine Öffentlichkeit. Im Gegenteil: Oft genug wird die gesamte Angelegenheit im Verborgenen verhandelt, so dass der Denunzierte nicht einmal weiß, dass die nun erlebten Folgen auf eine Denunziation zurückzuführen sind. Es gibt Fälle, in denen die Denunziation öffentlich geschieht, in denen beispielsweise der vermeintliche "Übeltäter" namentlich und/oder mit Bild auf Webseiten angeprangert wird. Die Absicht, Öffentlichkeit zu schaffen, ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Auch dieser Definitionsansatz scheitert.

Fazit: Strafrechtliche und gesellschaftliche Definition des Denunziantentums gehen weit auseinander. Für die Diskussionen wäre es daher wichtig, auch eine gesellschaftliche Definition zu finden, die einerseits Denunziationen und Anzeigen auseinanderhält, andererseits aber auch insbesondere auf die Problematik des sogenannten Kadavergehorsams und der Paragraphentreue eingeht. Wer jegliche Anzeige auf Grund eines Gesetzesverstoßes als legitim ansieht, setzt ebenso Denunziation und Anzeige gleich wie derjenige, der in jeder Anzeige eine Denunziation sieht. Beides ist kontraproduktiv, weil dadurch das Wort an negativer Bedeutung verliert.

Eine Denunziation muss selbstverständlich keinesfalls Lügen oder Übertreibungen enthalten, um eine solche und damit auch strafbar zu sein. So hatte Christian Detig, Musikchef des Kulturradios beim Rundfunks Berlin-Brandenburg, in einer Moderation zum Theaterstück "Goebbels" ein hörfunkbezogenes Zitat des Nazi-Propagandaministers Goebbels verwendet. Dies war keine Verharmlosung des Nazi-Regimes, aber natürlich durchaus angreifbar. Den Job kostete es jedoch einen anderen Redakteur beim Sender, der sich darüber ärgerte, dass Detig für diese Moderation nicht zur Rechenschaft gezogen worden war und deshalb unter falschem Namen den Vorfall schriftlich mehreren ARD-Intendanten meldete. Dies führte zu seiner Kündigung, weil der Brief strafrechtlich relevant und eine Denunziation gewesen sei, so der Sender.