Kulturkampf im Kinderzimmer

In den arabischen Ländern hat die Puppe Fulla mit islamkompatibler Kleidung, Kopftuch und Gebetsteppich die westliche Barbie-Puppe verdrängt

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Die Barbie-Puppe war seit 1959 ein Klassiker in den Kinderzimmern, unangefochten marktbeherrschend rund um den Erdball. Millionenfach verkauft, mit Ken ihrem Partner und einer unüberschaubaren Anzahl von Accessoires. Nun wurde das US-Produkt aus dem Hause Mattel im Mittleren Osten durch „Fulla“ verdrängt. Die in Syrien entworfene Puppe hat zwar ähnlich unrealistische körperliche Idealmaße wie „Barbie“, steht dafür aber mit schwarzen ‚Abaya’ und einem dazu passenden Kopftuch in den Verkaufsregalen.

Im Spielzeugladen in Tanger finde ich „Christina“, „Sonia“ und natürlich „Barbie“ mit ihrem „Ken“. Aber „Fulla“ ist nirgends zu sehen. „Die haben wir nicht mehr“, sagt mir der Verkäufer bedauernd. „Die Leute sind ganz verrückt danach. Jeder kennt die Werbespots und dieser Song geht den Kindern nicht mehr aus dem Kopf“, fügt er an. Satellitenfernsehen macht’s möglich und bringt die Fulla-Werbung auch in marokkanische Haushalte. „Sie wird bald an meiner Seite sein und ich kann ihr meine tiefsten Geheimnisse teilen“, singt eine süßliche Kinderstimme im Fistelton über einen animierten Clip. „Aber leider bekommen wir im Maghreb von Fulla nicht so viele, wie wir verkaufen könnten“, meint der Verkäufer.

In den Ländern des Mittleren Ostens ist das anderes. Seit der Einführung im November 2003 ist „Fulla“ ein Bestseller. In der bekanntlich sehr konservativen Region sind die Eltern froh, endlich eine Alternative zur „Sexy-Barbie“ und ihrem Freund „Ken“ zu haben. „Fulla“ trägt nicht nur islamkompatible Kleidung für Zuhause und zum Einkaufen, sondern hat auch ihren eigenen kleinen Gebetsteppich, in schrillem Mädchen-Rosa, versteht sich. In einem Werbecartoon spricht „Fulla“ ihr Gebet bei Sonnenaufgang, backt Kuchen und liest brav ein Buch, wenn es Zeit ist, ins Bett zu gehen.

„Man kann einer Barbie nicht nur ein Kopftuch aufsetzen“, sagt Fawaz Abidin, der Manager der syrischen Firma NewBoy, daus dem „Fulla“ stammt. „Das genügt alleine nicht, man muss einen Charakter entwickeln, der für die Kinder und Eltern attraktiv ist.“ Entsprechend ist „Fulla“ ehrlich, liebenswert, liebevoll und respektiert Vater und Mutter. Eigenschaften, die gerade in Ländern wie Saudi-Arabien, gerne gesehen sind, ein Markt mit den kaufstärksten Konsumenten des Mittleren Osten.

In den letzten beiden Jahren wurde dort Jagd auf die unmoralische Barbie-Puppe gemacht. Die Religionspolizei für Tugendhaftigkeit führte Razzien durch und beschlagnahmte jede Barbie, der sie habhaft werden konnten. „Die Feinde des Islam wollen uns mit allen Mitteln erobern und haben deshalb diese Puppe unter uns verbreitet, die unsere Werte unterwandern und moralische Dekadenz unter unseren Mädchen erzeugen soll“, hieß es 2003 auf einer offiziellen Webseite der saudi-arabischen Polizei.

Ausschlaggebend ist, dass die US-Firma Mattel, die Barbie produziert, jüdische Besitzer haben soll. Damit ist für die Behörden die Verschwörungstheorie mehr als nur stichhaltig. Barbie ist die „jüdische Puppe, mit schändlicher Kleidung und ihre Accessoires sind ein Symbol der Auflösung der westlichen Werte.. Diese Gefahr müsste man ganz und gar begreifen, hieß es auf der offiziellen Website. Wer dennoch eine Barbie-Puppe für die Kinder will, muss auf dem Schwarzmarkt suchen. Dort soll sie für etwa 30 Dollar zu haben sein.

Einen Freund wie Barbie hat Fulla nicht

Bei diesem ideologischen ‚Environment’ wird der Erfolg von „Fulla“ schnell verständlich. Man sucht das Pure und Reine, gerade bei der Erziehung der Kinder, diesen unschuldigen Wesen, die das Böse in all ihren Ausmaßen noch nicht erkennen können.

Der syrische Produzent NewBoy kann sich freuen. Saudi-Arabien ist der Kernmarkt in Sachen Spielzeug, der im gesamten Mittleren Osten auf 1 Milliarde Dollar geschätzt wird. Das große Geschäft macht der syrische Hersteller aber schon lange nicht mehr mit der Puppe alleine. Mittlerweile gibt es „Fulla-Cornflakes“, „Fulla-Kaugummi“ und rosa „Fulla-Kinderfahrräder“. Man kann den Mädchen aber auch den „Fulla-Gebetsteppich“ oder das „Fulla-Kopftuch“ in realen Größen kaufen.

Die klug angelegte Werbekampagne, die Mischung aus modernem Marketing und traditionellem Produkt dürften das Geheimnis des Millionenerfolgs von „Fulla“ ausmachen. Islamisch kompatible Puppen gab es nämlich bereits vorher, die dem Bedürfnis nach moralisch einwandfreien Produkten der zunehmend religiöseren Gesellschaften des Mittleren Ostens gerecht werden hätten können.

Eine im amerikanischen Michigan angesiedelte Firma brachte 2003 die verschleierte „Razanne“ (A Razanne Girl in a Razanne World) auf dem Markt, deren Verkauf sich aber weitgehend auf US-amerikanische und britische Moslems beschränkte. Daneben gab es noch eine marokkanische „Leila“, die sich jedoch eher zum Sammlerstück eignete, denn als Massenprodukt. Im Iran versuchte es die verschleierte Sara, die nur in Begleitung ihres Bruders Dara aus dem Haus ging. Der Mangel an Erfolg lag da offenbar am verstaubten Mullah-Image. Außerdem, welcher anständige Sunnit in Kuwait oder Saudi-Arabien will schon ein schiitisches Produkt im Hause haben, das erzieherische Wirkung auf seine Tochter hat? Und nun gibt es ein reines, vollkommenes Produkt aus Syrien, das super chic und in der gesamten arabischen Welt bekannt ist.

Einen „Ken“ wird es für „Fulla“ selbstverständlich nicht geben. Ein „Freund“ steht außerhalb jeder Diskussion. Dafür wird es neue „Fullas“ geben, die das allgemeine, rundum Positiv-Image des Prototyps aufsplittern. In Zukunft werden spezifizierte Rollenvorbilder geliefert. Darunter „Frau Dr. Fulla“ und die „Lehrerin Fulla“. Zwei Berufszweige, die gerade in islamischen Gesellschaften große Reputation besitzen und dem weit verbreiteten Idealbild von guter Bildung, auch und gerade für Frauen, nachkommt.

Puppen als Träger von Kultur, Religion und Ideologie gibt es auch in Israel. Dort ist seit Jahren „Shimmy“ der große Renner für gläubige Eltern. Er trägt natürlich eine Kipah auf dem Kopf und hat lange Schläfenlocken. Wie die iranische Puppe Sara, rezitiert auch Shimmy ein Gebet, wenn man ihn in die Hand zwickt. Mit einem Zwick rechts spricht den ersten Paragrafen der Shema, mit einem Druck links zitiert er das Modeh Ani.

Shimmy ist „Halal“, dass heißt nach hebräischen Regeln gebaut. Im Gegensatz zu den arabischen Puppen, soll er allerdings nicht alleine bleiben. Angeblich wird an einer Schwester gearbeitet, die „Rivkele“ heißen soll. Aber auch hier legt man auf Moral wert. „Sie wird sittsam gekleidet sein“, sagt Budi Dvir, Marketing Director der in Tel Aviv angesiedelten Firma. „In einem Rock, natürlich keine Hosen“.

Wer es in Israel allerdings weniger mit Puppen hat, der kann auf das Stofftier-Kamel der israelischen Armee umsteigen. Es trägt die offizielle Militäruniform mit Kappe. Das Stofftier-Kamel sei permanent Dienst der israelischen Kavallerie, heißt es im Katalog einer Spielzeugsvertriebs.