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Regime-Change in Syrien

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Der außenpolitische Druck auf das Regime in Damaskus hat sich durch den Mehlis-Report erhöht ( vgl. Der Propaganda-Krieg hat begonnen). Schon werden Pläne und Überlegungen der US-Regierung laut, wie eine genehme Führung in Syrien aussehen sollte.

"Der Mord hat alles verändert", zitiert die Washington Post einen ungenannten hochrangigen Vertreter aus Kreisen der US-Diplomatie. Gemeint ist der tödliche Anschlag auf den libanesischen Ex-Premier Hariri Anfang dieses Jahres (vgl. Aufbruchstimmung im Libanon). "Aus dieser Tragödie", so der anonyme US-Policymaker, "ergibt sich eine außergewöhnliche strategische Möglichkeit". Nämlich die Schwächung der 35-jährigen Herrschaft der Familie Assad in Syrien.

Als langfristiges Ziel würden nach Angaben der Washington Post von der US-Regierung freie Wahlen in Syrien anvisiert, was den Sturz des Regimes zur Voraussetzung hätte. Kurzfristig würden allerdings Taktiken favorisiert, die auf UN-Sanktionen setzen und in deren Folge auf einen geschwächten Assad, der bereit dazu ist, amerikanischen Forderungen nachzugeben. Syrien müsse härter gegen Extremisten vorgehen, seine Verbindungen zu gewalttätigen palästinensischen Gruppen aufgeben, die Waffenlieferungen an militante libanesische Gruppen (Hisbollah) einstellen und gute Beziehungen zur neuen irakischen Regierung unterhalten, so der bekannte Forderungskatalog des US-Außenministeriums.

Eine aggressivere Politik des Regimewechsels berge die Gefahr des Chaos. Zugleich hätten die USA in den gegenwärtigen syrischen Machtverhältnissen niemanden ausfindig gemacht, der als vertrauenswürdiger Ersatz für Bashar fungieren könnte, die wahrscheinlichsten Alternativen seien islamistisch und anti-amerikanisch, so ein ehemaliger Mitarbeiter der National Security. Ein Implodieren des Regimes sei auf jeden Fall zu vermeiden, da sich das Chaos sehr leicht über die Landesgrenze hinweg ausbreiten könnte und zu gefährlichen Reaktionen besonders mit der gefährlichen Gemengelage im Nachbarland Irak führen.

Inwieweit der syrische Präsident es schaffen wird, sich diesem Spiel zu entziehen, bei als ausgemacht gilt, dass er schließlich abdanken muss, bei dem er also nur verlieren kann, ist eine der spannenden Fragen. Die andere, welche eklatante Fehler die US-Regierung diesmal machen wird. So einfach, wie es sich Washington anscheinend immer wieder vorstellt, sind die Gleichungen im Nahen Osten niemals. Simples Lagerdenken in den bekannten Formierungen - "Pro-Bush und also für den demokratischen Fortschritt" bzw. "Anti-Bush und also im Zweifel für die bestehenden Regime" - hilft nicht sehr viel weiter. Die Blindheit des ersten Lagers lässt sich leicht am Beispiel der gegenwärtigen Verhältnisse im Irak und der dazu gehörigen Rhethorik ablesen; die Scheuklappen des anderen Lagers demonstriert ein gelobter Fachmann für Syrien, der Amerikaner Joshua Landis in seinem Experten-Blog SyriaComment.com.

Syrien sei durch die agrressive Politik der USA zum Scheitern verurteilt, "set up to fail", heißt es da. Die amerikanische Regierung hätte alles darauf abgestellt, dass das Regime in Syrien stürzen müsse und jegliche Zusammenarbeit mit der Führung trotz wiederholter Angebote seitens der syrischer Behörden verweigert, Syrien jedoch in der internationalen Öffentlichkeit als den großen Verweigerer angeprangert. Diese Sichtweise kann freilich einigen Wahrheitsgehalt für sich verbuchen, nur dient Landis ein Dokument als Grundlage seines Verdachts, das selbst der Verzerrung der Realtität nicht unverdächtig ist: ein Brief des syrischen Botschafters in Washington, Mustafa Imad, an amerikanische Kongressabgeordnete.

Die Weltöffentlichkeit sei völlig blind für diese "Story", tönt Landis und markiert die wichtigsten Stellen des Briefes, in dem Mustafa Imad betont, wie stark Syrien die Grenzen zum Irak dicht machen würde, wie sehr das Land gegen islamistische Extremisten in seiner Visa-Politik vorgehe, wie sehr man in Syrien darauf aufpasse, dass die Kanäle für die Finanzierung extremistischer Gruppen blockiert würden - und wie wenig die USA diese Anstrengungen hervorheben würden und stattdessen jede Zusammenarbeit verweigern, so dass dem Land keine Chance gegeben werde.

Deutlich wird hier nur, dass anscheinend auch Landis, der sich zur Zeit in Damaskus aufhält, sich nur einem Teil der Wahrheit verpflichtet fühlt. In Syrien ist es ein offenes Geheimnis, dass täglich etwa 200 bis 300 Lastwägen über die Grenze in den Irak fahren und keiner zweifelt daran, dass auf den Lastwägen nur das offiziell angegebene Gut ("Hölzer") transportiert wird (ebenso wird in Syrien kaum angewzeifelt, dass die Ermordung Hariris nur mit der Hilfe und dem Wissen allerhöchster Stellen durchgeführt werden konnte). Wie es aussieht, ist der diktatorische Klüngel, der unter der Führung von Präsident Bashar die Macht im Land hält, beim Großteil der Bevölkerung sehr unbeliebt, ein Machtwechsel würde nicht ungerne gesehen - auch wenn man den amerikanischen Präsidenten Bush und dessen Politik ganz und gar nicht mag. Umso weniger als diese angeblich eine Art syrischen Tschalabi bereit hält: Fahrid Ghadry.