Schöne Frauen bringen Ärger

"Kiss Kiss Bang Bang"

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Es wäre dumm, "Kiss Kiss Bang Bang", das Filmdebüt von Shane Black zu unterschätzen, den in all seiner Bescheidenheit versteckten Ehrgeiz zu übersehen. Dies ist zugleich ein 'kleiner' wie ein großer Film, ein Film voller Understatement, zugleich auftrumpfend, ungemein selbstbewusst, das Beste, was es neben "Sin City" in diesem Jahr aus den USA auf der Leinwand zu sehen gibt. Allein schon die Art und Weise, mit sich selbst und unser aller Kinoerinnerungen zu spielen, die mitunter kindische Hommage an eine durch und durch erwachsene (Kino-)Kultur, die dieser Film darstellt, hebt ihn über den großen Rest meilenweit hinaus. Trotzdem ist dies alles andere als ein Film, der Vorwissen oder auch nur besondere Anstrengung verlangt - im Gegenteil: Eines der kurzweiligsten Kinoerlebnisse des Jahres.

"My name is Harry. I am your narrator. Welcome to the party, welcome to L.A." - so wie der Film aus dem Off beginnt - ironisch, gelassen, selbstreflexiv - so bleibt er bis zum Ende. "Kiss Kiss Bang Bang", schon der Titel ist wie der ganze Film eine - multiplizierte, clevere - einzige große Erinnerung, eine Streuung von Verweisen: Auf einen Song von Nancy Sinatra, auf das gleichnamige Buch der berühmten Kritikerin Pauline Kael, einen Klassiker der US-Filmgeschichtsschreibung, auf einen James-Bond-Film. Von Kael entdeckt auf einem Plakat für einen italienischen B-Movie ist "Kiss Kiss Bang Bang" gewissermassen die Essenz all dessen, warum wir ins Kino gehen: Sex und Gewalt, Liebe und Grausamkeit, Aura und Abgrund - "a girl and a gun", mehr brauche es nicht für einen guten Film, sagte John Sturges und hat mit diesem Prinzip noch immer recht behalten.

How Harry got to the Party

Der Vorspann bereits war eine Reminiszenz voller Eleganz: Die rotbraun-weißen Scherenschnittbilder weckten Erinnerungen an die Zeit, als im Kino das Wünschen noch geholfen hat: Die 50-er, 60-er Jahre. Dann folgte eine Szene die so sehr in sonniges gelb getaucht ist, dass sie sofort als Kindheitserinnerung der Hauptfigur deutlich wird: Ein kindlicher Zauberkünstler zersägt eine kindliche Jungfrau, und Minuten später schon wird sich die Szene auflösen in ein doppeltes Trauma, Schrecken und Erfüllung, tiefste Angst und ewige Liebe verschmelzen im Augenblick, in dem Harmony laut schreit und man glauben muss, die Kettensäge durchdringe gerade ihre Eingeweide. Das ist der erste Fake in einem Thriller voller Trug und Täuschung, einem Film der kleinen feinen Freuden, genauso eben aber auch des groben Gags.

"I wanna be an actress" klärt Harmony uns auf und wir befinden uns nicht nur in der Provinz von Emberly, Indiana, sondern eben zugleich im Jahrmarkt, der nicht ganz ohne billige Tricks auskommt - hier fing das frühe Kino an. Und auch Shane Black, darin liegt unter anderem der Charme seines Films, ist ein Zauberkünstler, dem sich seine Figuren manchmal aus den Händen lösen, und machen, was sie wollen.

Das Voice-Over, das die Handlung und die dramaturgischen Qualitäten der Erzählung von Anfang an kommentiert und ironisiert, bricht und den Lauf der Dinge auch mal anhält - "Shit, I skip something, thats bad narration." - oder gar zurückdreht - "Ok, I apologize. Why is that in the movie?" -, stammt von Harry Lockhardt (sprechende Namen, nicht nur hier, wie es sich gehört), der vorwitzig-überforderten Hauptfigur. Gerade langweilt er sich auf einer Filmparty in Beverly Hills, als... "Different story, I'll tell you in a minute..." unterbricht er sich. Alles begann nämlich genaugenommen mit einer wilden Flucht vor der Polizei, irgendwo im New Yorker East Village. An ihrem Ende fand sich der erfolglose Einbrecher plötzlich mitten auf dem Casting für einen Kriminalfilm wieder. Weil sein Auftritt - wie könnte es in diesem Fall auch anders sein? - dermaßen echt und überzeugend wirkte, wurde er sofort verpflichtet. "Old school, method acting" lobt kennerisch der Produzent - der erste einer ganzen Reihe von Gags auf Kosten Hollywoods.

"Trouble is my business"

Und wenn es einer wissen muss, dann er. Anfang der 90er-Jahre war Shane Black der bestbezahlte Drehbuchautor Hollywoods. Nach den Scripts für Filme wie "Lethal Weapon", "Last Boy Scout" und "Last Man Standing" verschwand er 1996/97 in der Versenkung. Was er in der Zeit gemacht hat, außer eine zehnjährige Party zu feiern, ist nicht so ganz klar. Unter anderem aber plante er seinen ersten Film, bei dem er eben nicht nur das Script schreiben wollte, sondern auch Regie führen.

"Keiner wollte es machen." erzählt er, "Sie haben es nicht verstanden, sich oft auch gar nicht die Mühe gemacht, es zu lesen. Wenn ich nur als Autor gekommen wäre, und einen guten Regisseur dabei gehabt hätte, hätte es womöglich anders ausgesehen. Aber selbst als ich Robert Downey Jr. und Val Kilmer mit im Boot hatte, hat es nicht funktioniert."

Wenn man nun antwortet, dass Downey mit seinen Drogenverurteilungen und das bekannte Kassengift Kilmer eine für Hollywood-Verhältnisse apokalyptische Kombination seinen, wiegelt Black ab: "Das mag ein bisschen riskant scheinen... und ja, Kilmer hatte mit manchem ein bisschen Pech." Aber gerade das sei ja auch das Reizvolle: So gut habe man die beiden eben selten gesehen.

Wenn Black so vor einem sitzt, mit gelb unterlaufenen Augen, seine Sätze immer wieder drch Husten unterbricht und in einer Stunde zwei Liter Wasser trinkt, zugleich aber konzentriert und "unter Strom" antwortet, dann kann man sich vorstellen, dass er genau wie Harry Lockhardt auf ziemlich vielen solcher typischen langweiligen, wichtigen, wichtigtuerischen Hollywood-Partys herumstand, sich mit Frauen unterhielt, die Jill heißen - "Jill, J I L L - like bullshit" - und ihn vollquasseln: "Well, I do ... a little acting." oder Produzenten: "Ok you've got 30 of my fucking seconds - thrill me."

The Lady in the Lake

Harry trifft auch noch andere schöne Frauen, aber schöne Frauen bringen Ärger, jedenfalls im Kino. Darum hat Harry bald ein blaues Auge. Das hindert ihn nicht, sich noch am gleichen Abend in ebenjene Frau zu verlieben. Aber eigentlich hat er sie immer geliebt, spätestens seit beide mit 12 Jahren zusammen als Zauberkünstler und noch zu zersägende Jungfrau in der Provinzstadt in der sie aufwuchsen, zusammen auftraten. Doch Harry war damals nur Harmonys bester Freund. Jetzt bekommt er eine zweite Chance, glaubt sie doch, Harry sei ein echter Privatdetektiv, während er in Wahrheit nur einen spielen soll, und darum einen echten, Perry, begleitet, um glaubhafter zu wirken. "But the night had other plans for me." Bald finden Harry und Perry eine genauso echte Leiche, und sich selbst, ehe sie sich versehen, inmitten einer typischen, verworrenen Film-Noir-Intrige wieder, in der es um Mord, Erpressung, Inzest und Identitätstausch geht - aber letztlich vor allem darum, wie ein Mann in einer korrupten, brandgefährlichen Welt überleben und das Mädchen kriegen kann, dass er liebt.

Dazwischen gestreut sind Betrachtungen über die Rivalität zwischen New York und L.A., über schießwütige Amis, die einfach und grundlos drauflosballern, ein wunderbarer Soundtrack und ein sehr berührender Filmtod.

The Art of Murder

"Kiss Kiss Bang Bang" hat den Blues. Mit wohldosiertem Ernst und mancher Härte in der Handlung zeigt er Figuren, die cool und romantisch, melancholisch und abgebrüht sind, in brillant inszenierten und überaus witzigen Szenen, schnellen, klugen, trockenen Screwball-Dialogen voll unwiderstehlicher Kraft - die bezaubernd selbstreflexiv immer auf drei Ebenen gleichzeitig funktionieren. Aufgebaut ist alles nach Kapiteln, deren jedes den Titel einer Novelle von Chandler trägt. Wie in dessen Kurzgeschichten entschlüsselt ein kommentierender Erzähler Elemente der Geschichte und setzt sie dauernd neu zusammen. Doch mehr als eine Hommage an Chandlers "hard boiled stories" ist dies eine sardonische, erwachsene Komödie über eine korrupte, zynische Welt, über die Macht des Geldes, des Scheins und der Täuschung, die Hollywood mit dem (organisierten) Verbrechen gemein hat, über allgemeine Korruption.

Shane Black kann wie seine Hauptdarsteller davon, wie gesagt persönlich ein Lied singen:

Autoren sind der am leichtesten ersetzbare Teil des ganzen Prozesses. Das ist eine Schande! Schauen Sie sich heutige Filme an: Sie sehen toll aus. Selbst schlechte Filme haben ein tolles Production Design, eine super Technik. Die brillantesten Leute kommen zusammen, um ein furchtbares Script zu verfilmen. Während es doch so sein sollte, dass das Script so toll ist, dass man der Story selbst dann noch folgen kann, wenn der Rest nichts taugt. Es ist eine Schande!

Farewell my lovely

In "Kiss Kiss Bang Bang", in dem Black nicht nur die Filme der 40-er Jahre sondern auch die Hollywood-Verhältnisse der Gegenwart ironisch persifliert, macht er einfach nichts falsch. Das Resultat ist eine charmante, intelligente Verbeugung vor seinen Vorbildern, eine sarkastiscvhe Komödie über Hollywood, ein teurer Independent-Film, besser als nahezu alles - wirklich -, das in diesem Jahr aus Amerika zu uns kam; Triumph des Autors und ein filmischer Befreiungsschlag. "Ok, I was a bad narrator"