Brain Drain und Brain Waste

Ein Bericht der Weltbank eruiert das Ausmaß und wirtschaftliche Folgen der internationalen Migration, besonders im Hinblick auf Ein- und Auswanderung der Wissenselite

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Internationale Migration ist eine Reaktion auf den ungleich verteilten Wohlstand in der Welt. Menschen wandern von den armen in die reichen Länder und sorgen damit gewissermaßen für einen Ausgleich der Kluft. Um die 200 Millionen Menschen leben gegenwärtig in Staaten, die nicht ihre Geburtsländer sind. Legale und illegale Einwanderer sind für ihre armen Herkunftsländer zu einem entscheidenden wirtschaftlichen Faktor geworden, ohne den die Armut noch sehr viel größer sein würde. Aber der damit verbundene Brain Drain, die Auswanderung der gebildeten Elite, schadet gleichzeitig den Entwicklungsländern, aber er kann auch ein Problem für reiche Länder sein, die miteinander um die besten Köpfe konkurrieren.

In dem von der Weltbank veröffentlichten Bericht International Migration, Remittances and the Brain Drain, der als erster einer Reihe von Berichten über das Thema angekündigt wird, werden vor allem die wirtschaftlichen Folgen der internationalen Migration untersucht. Die Autoren gehen davon aus, dass die internationale Migration nicht aufgrund von Konflikten und dem Wohlstandsgefälle, sondern auch wegen des unterschiedlichen Bevölkerungswachstums in diesem Jahrhundert eine wachsende Bedeutung haben wird, so dass es mit wachsendem Druck der Einwanderungswilligen in die reichen, aber geburtenarmen Länder und vermutlich scheiternden, aber teuren Versuchen, die Festungen dichter zu machen, sinnvoll wäre, sich mit einer Liberalisierung der Einwanderung auseinander zu setzen. Der Rückgang der Menschen im arbeitsfähigen Alter in den reichen Länder, der nach 2010 einsetzen wird, wird einen höheren Zuzug aus dem Ausland erfoderlich machen. Überdies ist die Migration ein Teil der Globalisierung und der Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft, auch wenn im Unterschied zu den Handels- und Kapitalströmen die Migrationsströme in den Zielländern hochgradig reguliert werden. Der Bericht erörtert einige Probleme und Chancen, die mit der Immigration verbunden sind.

Nach einer Schätzung der Weltbank fließen durch Überweisungen von den Immigranten etwa 216 Milliarden US-Dollar (2004) in deren Heimatländer zurück, 150 Milliarden davon in Entgwicklungsländer. Diese Überweisungen an die Familien in den Herkunftsländern gehören in manchen Ländern zu den wichtigsten Einkünften aus dem Ausland, die größer als die Entwicklungshilfe sind und verhindern, dass die Armut noch größer wird. In drei Länderuntersuchungen (Mexiko, Guatemala und den Philippinen) ergab sich dann auch, dass die Familien, in denen es Migranten gibt, ein höheres Haushaltseinkommen haben als diejenigen, der Mitglieder gewissermaßen unbeweglich sind. Natürlich sind folglich auch die Regionen mit einem hohen Anteilen an solchen Familien weniger arm. Bei den ärmsten 10 Prozent der Familien machen die Überweisungen aus dem Ausland die Hälfte ihres Gesamteinkommens aus. Allgemein gibt es eine "direkte Verbindung zwischen der Migration und der Minderung der Armut in den untersuchten Ländern".

Allerdings gibt es auch Unterschiede, wie das Geld aus dem Ausland verwendet wird. In den Familien, die in Guatemala auf dem Land leben, wird das Geld eher für die weitere Ausbildung der Zurückgebliebenen verwendet, in Mexiko werden die Kinder aus den Familien, in denen es Mitglieder geschafft haben, in die USA einzuwandern, weniger gut ausgebildet als die Kinder aus Familien ohne Migranten. Vermutlich hoffen sie, irgendwann mit der Hilfe ihrer Familienangehörigen ebenfalls nachziehen und in den USA als ungelernte Kräfte arbeiten zu können (und zu müssen). Für Auswanderungswillige lohnt sich im Gegensatz zu den Menschen, die in Mexiko bleiben wollen, also eine Investition in Bildung gar nicht. Von Guatemala hingegen sind die Entfernung und damit die Reisekosten in die USA sehr viel größer, so dass die Zukunftserwartung sich stärker auf das Leben im eigenen Land ausrichtet.

Allgemein spielen weiterhin die räumlichen Entfernungen für die Migration eine große Rolle. Daher spielt sich die Migration in einem Süd-Nord-Gefälle ab. Die meisten Migranten in Europa kommen aus Nordafrika und dem Nahen Osten, der Rest aus dem Osten, in den USA überwiegen die Einwanderer aus Mexiko, danach kommt Mittelamerika und die Karibik. Der Grund für die Einwanderung erschließt sich, so der Bericht, aus der Differenz zwischen dem erwarteten Einkommen und den Migrationskosten. Sind die Wege kürzer und gibt es bereits Netzwerke von Einwanderern aus der eigenen Familie und aus dem Herkunftsland, so sinken die Kosten beträchtlich und wird die Einwanderung erleichtert.

Auswanderung der Wissenselite

Auch wenn für die Herkunftsländer die Migration eine positive Auswirkung hat, die Wirtschaft ankurbelt, die Armut reduziert und auch das Bildungsniveau anhebt, profitieren die Zielländer – wenn auch nicht alle Bürger – von den billigen Arbeitskräften, die einfache oder riskante Arbeiten zu Dumpingpreisen erledigen, aber auch vom Zuzug der gut ausgebildeten Elite, die im reichen Ausland auf bessere Chancen hofft und sich die Migration auch eher leisten kann. Ganz allgemein ist die Einwanderungsquote in die OECD-Länder von 1990 bis 2000 jährlich um 1,7 Millionen Migranten gewachsen. Unter den Einwanderern befindet sich mit 34,7 Prozent ein hoher Anteil von Menschen mit Hochschulbildung (der weltweite Anteil an der arbeitenden Bevölkerung liebt bei 11,3 Prozent). Auch die Zahl der Migranten in die OECD-Länder mit höherer Schulbildung nahm in dieser Zeit zu, während der Anteil von Einwanderern ohne Ausbildung sinkt. Die Zahl der Migranten aus den OECD-Ländern mit Hochschulausbildung hat hingegen weiter abgenommen.

In Australien, Neuseeland oder Kanada stellen Migranten bereits 20 Prozent der Arbeitskraft, in den USA 11,7 und in der EU 6,7 Prozent. In den ersten drei Ländern ist der Anteil der Akademiker im Verhältnis zur heimischen Bevölkerung sehr viel höher, in den USA und in der EU ist dies weniger stark ausgeprägt. In einer Zeit, in der Wissen eine immer größere Rolle spielt, ist, so wird angenommen, der Verlust der gut ausgebildeten Elite (brain Drain) für die Herkunftsländer besonders schlimm, während die Einwanderungsländer vom Brain Gain profitieren. So steigern auch ausländische Studenten die Zahl insgesamt eingereichten Patente. Der durch die Restriktionen nach dem 11.9. erfolgte Rückgang ausländischer Studenten, so warnt der Bericht, könnte die Innovationskraft der USA schaden. Im Jahr 2000 ist noch die Hälfte der Migranten mit Universitätsabschluss in OECD-Länder (10 Millionen von insgesamt 20 Millionen) in die USA eingewandert, nach Deutschland nur eine Million. Gut ausgebildete Einwandererverdienen in aller Regel weniger als einheimischen Bürger mit derselben Qualifikation. Daher spricht man hier auch von einem "Brain Waste", der dadurch verstärkt wird, dass im Einwanderungsland im Unterschied zu den Studenten die Fähigkeiten der Migranten dann meist nicht wirklich genutzt werden.

Tatsächlich ist der Brain Drain gerade für die ärmsten Länder enorm. So leben 89% der Menschen aus Guyana, die einen Hochschulabschluss gemacht haben, im Ausland. In Jamaica sind es 85%, in Haiti 83%. Hier spielt sicher die Nähe zu den USA eine erhebliche Rolle. In den armen Ländern südlich der Sahara leben wie in Sierra Leone oder Ghana die Hälfte der Menschen mit Hochschulabschluss im Ausland. In allen Ländern südlich der Sahara sind durchschnittlich nur 4% der werktätigen Bevölkerung Akademiker, aber sie stellen 40% der Migraten. Durch denen Exodus der gebildeten Elite werden nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen und kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten gefährdet oder zumindest weiter verlangsamt. In Asien beträgt der Anteil der ausgebildeten Menschen bei den Migranten durchschnittlich 50%, allerdings ist hier die Auswanderungsrate insgesamt kleiner. So sind nur 6% der Akademiker ausgewandert. Ganz anders sieht es in den boomenden Ländern wie China und Indien, aber auch in Brasilien oder Indonesien aus. Hier wandern nur 3-5 Prozent der Akademiker in ein OECD-Land ab.

Allerdings gibt es auch unter den Bürgern der OECD-Länder eine hohe Zahl von Migranten. So leben viele Millionen EU-Bürger meist in anderen EU-Ländern. Wegen dieser EU-internen Migration ist die Netto-Einwanderungsquote in die EU gleich Null, während sie in den USA, Kanada, Neuseeland oder Australien sehr hoch ist. Nach dem Bericht hat das auch etwas damit zu tun, dass die europäischen Ländern vornehmlich eine "traditionelle" Einwanderungspolitik über Asylbewerber und Einwanderer, die Familienmitglieder nachholen wollen, betreiben. Allerdings würde sich mittlerweile auch eher die Tendenz durchsetzen, die Einwanderer nach bestimmten Kriterien auszuwählen (quality selecting), also nach Experten zu suchen, die bestimmte Qualifikationen besitzen und die im eigenen Land fehlen.

Innerhalb Europas sind von der Auswanderung am meisten Portugal, die Slowakei und Großbritannien betroffen. Großbritannien leidet mit 1,4 Millionen Akademikern im Jahr 2000 weltweit in absoluten Zahlen am meisten unter dem Brain Drain, gefolgt von den Philippinen, Indien, Mexiko und Deutschland (850.000). Bis auf die Schweiz, Schweden. Belgien und Luxemburg verlieren alle europäischen Staaten mehr Menschen mit Hochschulbildung als zuwandern. In Deutschland wandern 180.000 Menschen mit Hochschulbildung mehr aus, als akademische Zuwanderer kommen. Allerdings ist der Netto-Brain-Drain mit -0,3 Prozent relativ gering. In Deutschland sind etwa eine Million Menschen mit Hochschulausbildung zugewandert, ungefähr ein Fünftel aller Einwanderer. In Kanada und in den USA liegt dieser Anteil bei der Hälfte, in Australien bei einem Drittel. Das eben ist, was im Bericht "quality selecting" genannt wird.