Im Krieg gegen die Grippe

Der Schutz vor der Vogelgrippe wird von der Bush-Regierung wie der Krieg gegen den Terror propagiert

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Seltsam, dass die möglicherweise drohende Grippe-Epidemie hierzulande nicht so ausgeschlachtet wird, wie dies die Bush-Regierung gerade macht. Sind die Politiker nur vernünftiger, verstehen sie die Risiken nicht oder ist gar Europa weniger angstanfällig als die USA? Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oder für Arbeit, der bei uns gefochten wird, hat viele Feindbilder, aber kein konkretes. Zudem kommt die Bedrohung nicht unbedingt von Draußen. Islamistische Terroristen und Influenza-Viren hingegen sind besser als äußere Feinde darstellbar, die ins Land eindringen und Gefahren mit sich bringen. US-Präsident Bush will sicherlich nach den Hurricane-Desastern mit einer milliardenschweren Kampagne jeder möglichen Kritik an Nachlässigkeit zuvorkommen, aber der Kampf gegen die noch schlafende Influenza-Gefahr wird rhetorisch ähnlich aufgerüstet wie der Krieg gegen den Terror.

US-Präsident Bush stellte am 1. 11. 2005 seine "National Strategy for Pandemic Influenza" vor. Bild: Weißes Haus

Auf dem Höhepunkt der Krise im Weißen Haus, die sich um die Lügen dreht, die aufgetischt wurden, um den geplanten Krieg gegen den Irak zu begründen, ernennt Präsident Bush einen neuen Kandidaten für den Supreme Court und verkündet ein milliardenschweres Programm, dass die US-Bürger vor einer etwaigen Grippe-Epidemie, dem neuen Bösen, schützen soll. Der "amerikanische Traum" ist zwar mit Bush zu einer Offensive angetreten, wird aber vor allem als bedroht dargestellt. Verteidigung und Bewahrung ist angesagt, Angst vor dem Untergang ist die Grundstimmung.

Noch ist kein Fall wirklich belegt, in dem die asiatische Vogelgrippe von Mensch zu Mensch übertragen worden ist. Bislang sind nur Menschen mit dem H5N1-Erreger infiziert worden, die eng mit Geflügel zusammen leben. Solange der Erreger nicht mutiert und zu einem menschlichen Grippevirus wird, ist die Gefahr, die von H5N1 ausgeht, gering. Und auch dann, wenn der Erreger zu einem gefährlichen Virus mutiert, der dem von 1918 gleicht, so ist keineswegs gesagt, dass jetzt ebenso viele oder auch sehr viel mehr Menschen daran sterben würden. Sowohl die Wahrscheinlichkeit einer für den Menschen gefährlichen Mutation als auch das Ausmaß einer möglichen Epidemie sind hoch spekulativ. Ansteckend ist bislang vor allem die Angst. Für die Politik- und für die Medien - ist es daher eine schwer zu verantwortende Entscheidung, ob sie mit ihren Verlautbarungen die Risiken abwiegelt oder die Panik schürt.

Die Bush-Regierung setzt wohl auch aufgrund ihrer schweren Krise auf eine laute, sieben Milliarden Dollar schwere Kampagne, auf eine "Nationale Strategie gegen die Influenza-Pandemie". 4,7 Milliarden will man investieren, um Impfstoffe zu schaffen und vorrätig zu halten, für 1,4 Milliarden sollen Medikamente wie Tamiflu gekauft werden, die einen gewissen Schutz bieten sollen (wodurch u.a. Verteidigungsminister Rumsfeld bereits in Gerede kam, weil er Aktien von Gilead Sciences, wo er bis 2001 Aufsichtsratsvorsitzender war, besitzt. Die Firma hält die Rechte an Tamiflu) sowie 650 Millionen für Kontrolle und Vorbereitung. Eine schnell eingerichtete Website Pandemic Flu demonstriert die Entschlossenheit der Bush-Regierung, gegen den neuen Feind anzutreten, der einer (biologischen) Massenvernichtungswaffe gleicht, vor der man die Menschen schon so lange und insbesondere nach den Anthrax-Briefen 2001 gewarnt hat.

Preparing for a pandemic requires the leveraging of all instruments of national power, and coordinated action by all segments of government and society. Influenza viruses do not respect the distinctions of race, sex, age, profession or nationality, and are not constrained by geographic boundaries. The next pandemic is likely to come in waves, each lasting months, and pass through communities of all size across the nation and world. While a pandemic will not damage power lines, banks or computer networks, it will ultimately threaten all critical infrastructure by removing essential personnel from the workplace for weeks or months.

This makes a pandemic a unique circumstance necessitating a strategy that extends well beyond health and medical boundaries, to include the sustainment of critical infrastructure, private-sector activities, the movement of goods and services across the nation and the globe, and economic and security considerations.

The National Strategy for Pandemic Influenza
Influenza H5N1 (gelb). Bild: CDC/Goldsmith

Ähnlich wie beim Terror schickt sich die Regierung an, das meint auch die Time, die Menschen vor den Gefahren zu schützen. Während man damals die terroristischen Sümpfe im Ausland militärisch trocken legen wollte, um den Terrorismus außer Landes zu halten, aber gleichzeitig im Inland die Terrorabwehr mit einem neuen Superministerium und zahlreichen Gesetzen aufrüstete, um auch von Schläfern nicht überrascht zu werden, so sind es nun die Vögel und der heimtückische Virus, den man bekämpfen muss. Den Krieg scheint man in den USA zu lieben, da gerne alle Gefahren damit beantwortet werden. Schon gebe auch eine Koalition der Willigen. 88 Länder hätten einer Mitarbeit zugestimmt. Immerhin mehr als beim globalen Krieg gegen den Terror, der im Irak die Bedingungen dafür geschaffen hat, noch lange weiter gehen zu können.

Bush erinnerte daran, dass es zwar noch keine Gefahr gebe, aber dass die USA schon mehrere Male heimgesucht worden sei. 1918 sei eine halbe Million Menschen an der Grippe-Epidemie gestorben, ein Drittel der US-Bürger sei infiziert gewesen, die Lebenserwartung sei um 13 Jahre zurück gegangen. Das ist eindrucksvoll und wäre noch viel eindrucksvoller, wenn man die Risiken, die von Naturkatastrophen wie Orkanen oder Epidemien ausgehen, mit denen vergleicht, die vom Terrorismus ausgehen. Das aber geschieht natürlich nicht.

Bush weist zwar in seiner Rede darauf hin, dass bislang noch keine Gefahr besteht und es auch nur mehr oder weniger wahrscheinlich ist, dass es eine Gefahr geben könnte, aber er betont, dass er die Bürger seines Landes davor mit einem umfassenden Programm schützen müsse. Erster Teil des Programms ist sozusagen die präemptive Variante des Kriegs gegen den Terror. Damit die Grippe nicht in die USA kommt, muss sie im gefährlichen Ausland schnell erkannt und präventiv eingedämmt werden. Mit einer "globalen Initiative" werden man dafür sorgen, dass im Ausland das Aufkommen einer Grippe-Epidemie scharf überwacht und bekämpft wird. Jede Nation muss sich gegen diesen Feind wappnen. Wer dies nicht macht, stellt eine globale Gefährdung, eine Art failed state wie Afghanistan, den Irak oder nun Syrien oder Iran dar, der Feinde (Terroristen) beherbergt und präventiv angegriffen werden kann.

Der zweite Schritt ist, genügend Schutzmittel an der Heimatfront zu besitzen, um die US-Bürger vor einer über die Grenzen hereinbrechenden Gefahr von gefährlichen Erregern zu bewahren. Davor aber steht der Ausbau der Überwachung. Was der Patriot Act für den Terrorismus ist, ist die National Bio-surveillance Initiative, die eine permanente "situational awarenesse" garantiert, für die potenzielle Epidemie. Und ähnlich wie man bei der Terrorabwehr auf neue Technologien setzt, soll diese Art der Wirtschaftsförderung, die Europa noch nicht so wirklich entdeckt hat, auch beim Krieg gegen den Virus helfen.

Der dritte Schritt ist schließlich, alle Behörden und Menschen darauf vorzubreiten, beim Ausbruch einer Epidemie das Richtige zu machen: "Be prepared". Dazu muss an die Wahrscheinlichkeit des Risikos erinnert werden, also auch daran, dass die Nation in Gefahr schwebt oder sich im Kriegszustand befindet.