Frankreich geht gegen Blogger vor

Mindestens drei Personen wurden festgenommen, weil sie im Internet zur Gewalt aufgerufen haben sollen

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Die Polizei in Frankreich spricht von einer Abschwächung der Unruhen. Dabei gilt dies vor allem für die Region Paris. Insgesamt wurden wieder mehr als 300 Personen festgenommen. Unter ihnen befinden sich auch drei Blogger, die im Internet zur Gewalt angestachelt haben sollen.

Weil die Nacht auf Dienstag bei der Zahl der abgebrannten Autos hinter der Rekordnacht vom Montag zurückblieb (11. Nacht: 1408 verbrannte Autos), spricht die Polizei in Frankreich von etwas Entspannung. Nach Angaben des Innenministeriums wurden in der 12. Nacht seit Ausbruch der Unruhen „nur“ etwa 1.200 Autos abgefackelt, das waren etwa 200 weniger als in der Nacht zuvor. Dass dafür die Diskussion um die Reaktivierung eines alten Gesetzes über die Verhängung des Ausnahmezustandes verantwortlich ist, ist eher fraglich. Es wird ohnehin erst am Mittwoch per Eilverfahren aktiviert (Erklärung des Ausnahmezustands als Antwort auf die Unruhen).

Eher ist in der Region Paris eine gewisse Ermüdung zu sehen, hier hatten sich die Unruhen nach dem ungeklärten Tod von zwei Jugendlichen entwickelt (Unruhen in Pariser Trabantenstädten). Tatsächlich hat sich die Randale verlagert. Verantwortlich dafür dürfte auch der höhere Verfolgungsdruck der Polizei sein. In der vergangenen Nacht wurden wieder mehr als 300 Personen festgenommen. Vielleicht hat auch die Zuspitzung, dass Polizisten nun auch schon beschossen wurden, einige zur Besinnung gerufen. In Frankreich werden Kleinkaliber- und Schrotpistolen gegen Vorlage des Ausweises frei verkauft. Vielleicht zeigte aber auch die Nachricht über den ersten Toten eine gewisse Wirkung. Der 61jährige Jacques Le Chenadec war gestern in Stains seinen Verletzungen erlegen. Jugendliche hatten am Freitag auf ihn eingeprügelt.

Da einige nicht über die Hintergründe der Gewaltwelle sprechen wollen, weichen sie auf Nebenkriegsschauplätze aus. So wird auch das Internet für die „Verbreitung“ der Unruhen verantwortlich gemacht wird. Blogs auf den Seiten des beliebten Radios Skyrock wie bouns93.skyblog.com wurden gesperrt.

Die französische Polizei ermittelt, ob über einen „Verbund“ aus drei Blogs die Unruhen organisiert wurden. Einer davon sei aber auf Servern in Südamerika angesiedelt, weshalb die Identifikation des Verantwortlichen schwer falle. „In einer rudimentären kodifizierten Sprache tauschten die Blogger Projekte und Adressen aus, sie machen kaum verdeckte Vorschläge, die sehr schnell über bekannte Chats zirkulieren, an denen man aus jedem Internetcafe teilnehmen kann."

Der Pariser Generalstaatsanwalt Yves Bot spricht von einer „gewissen Organisiertheit“ und führt ein „Labor zum Bau von Molotow-Cocktails“ in Evry als Beweis an. Dahinter verbirgt sich aber nicht mehr als irgend eine Räumlichkeit, ein gefüllter Benzinkanister, ein paar Flaschen und ein paar Stofffetzen. Die "Werkstatt" soll auch als „Hinweis“ dafür dienen, dass die Gewalt landesweit abgestimmt oder gar gesteuert würde. Bot sagt auch etwas zu den angeblichen Motiven. Wie der Innenminister Nicolas Sarkozy sieht er Drogendealer hinter den Brandstiftern. „Es gibt Leute, die wollen nicht, dass wir in bestimmte Gebiete eindringen. Das sind die Drogendealer."

Doch die von ihm angesprochene Kommunikation „von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt per Internet“ beweist nicht die „gegenseitige Koordination“, sondern nur, dass auch ausgegrenzte Kids neue Medien nutzen, um sich teilweise ihrer Aktionen zu rühmen oder bei einem makabren Wettkampf die Ergebnisse auszutauschen. Dass es eine steuernde Kraft gibt, ist fraglich. Bislang gibt es dafür keine Hinweise. Bei der massiven Berichterstattung bedarf es wohl auch nicht des Internet, um Nachahmer zu finden, wenn es zudem vergleichbaren Unmut im ganzen Land gibt.

Die drei am Montag im Großraum von Paris und in der südfranzösischen Stadt Aix en Provence verhafteten Blogger dürften wohl auch kaum Köpfe einer Drogendealer- oder Islamistenbande sein, wie bisweilen auch angedeutet wird. Mit Bezug auf die Cyberpolizei OCLCTIC teilte der Justizminister Pascal Clément mit, der 16-Jährige aus Aix en Provence habe zu „Angriffen auf Kommissariate“ aufgerufen. Ähnlich dürfte es auch bei dem 14-Jährigen und 18-Jährigen aussehen, die bei Paris festgenommen wurden, sonst lägen längst Erfolgsmeldungen vor. Nicht einmal die beiden kannten sich untereinander. Ihre Kommentare könnten ihnen jedoch bis zu fünf Jahren Haft einbringen, wenn sich beweisen lässt, dass sie tatsächlich zur Gewalt aufgestachelt haben.