Die Schönheit eines brennenden Autos

Französische Medien versuchen, ihre Berichterstattung über die Unruhen in den französischen Städten einzuschränken, um diese nicht weiter anzuheizen

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In einer Gesellschaft, in der Öffentlichkeit durch die Medien hergestellt wird, regiert die kollektive Aufmerksamkeit viele Ereignisse. Medien sind die kollektiven, mittlerweile auch globalen Aufmerksamkeitssysteme, die um Aufmerksamkeit konkurrieren und dabei "Prominenz" ebenso schaffen wie benötigen. Sie transportieren daher prominente Akteure und Ereignisse, deren Einfluss sie durch die Veröffentlichung verstärken und verbreiten, wobei das globale Netzwerk der Medien von Zeitungen über Radio- und Fernsehsendern bis hin zu Newsmedien oder Blogs im Internet die Zirkulation bestimmter "Informationen" mittlerweile blitzschnell beschleunigen können. Da die Medien aber auf das ausgerichtet sind, was Aufmerksamkeit erregt und dadurch prominent ist oder werden könnte, lassen sie sich von Akteuren auch manipulieren.

Wer mediengerechte, die Aufmerksamkeit weckende Ereignisse schaffen kann, der kann auch mit geringen Mitteln die Medien wie ein Virus einspannen, um vornehmlich Bilder, aber damit auch sich selbst zu einer regionalen oder auch globalen Öffentlichkeit und Prominenz zu verhelfen. Terroristen haben diese Möglichkeit der "Propaganda der Tat" entdeckt, der Terrorismus als Strategie, mit Anschlägen Aufmerksamkeit zu erregen, ist zeitgleich mit dem Beginn der nationalen Zeitungen als Massenmedien entstanden, die um Aufmerksamkeit auf einem relativ freien Markt konkurrieren. Die Strategien der Terroristen verändern sich je nach medialer Wirksamkeit. Die Entstehung neuer Medien von der Fotografie über den Film und das Fernsehen bis heute über das Internet, durch das jeder zum Publizisten werden kann und in dem Information weitaus unkontrollierter zirkulieren können, hat die Manipulationsmöglichkeiten der Medien erweitert, die selbst "offener" für die Weitergabe von "prominenten" Informationen werden, da durch die Erweiterung der Medien und deren territorialer Einflusszone auch die Konkurrenz größer wird. Zunächst lokale Terrornetzwerke werden mit den globalen Medien schnell auch zu globalen Netzwerken, deren Aktionen dann auch auf ein globales Publikum zielen.

Auch die Unruhen der Jugendlichen in den Städten Frankreichs haben dieses Zusammenwirken von Akteuren und Medien demonstriert. Auch wenn die ersten Aktionen anders motiviert waren, vielleicht nur die Wut, den Hass und die Zerstörungslust zum Ausdruck brachten, die in den Dampfdrucktöpfen der Banlieues sich anstauen, so ist das primäre Ausdrucksmittel, das Anzünden von Autos oder Gebäuden, selbst schon ein ästhetisches Ereignis. Brände, die in der Nacht auflodern, leben Zeugnis von der eigenen Macht (der Zerstörung) ab und bieten auch schon den Akteuren beeindruckende Bilder (11. Nacht: 1408 verbrannte Autos).

Nachdem die Randalierer bemerkten, dass die Bilder mit den in Brand gesetzten Häusern und Autos alle Medien beherrschten, die zugleich brav aufzählten, wo wie viele Objekte in Flammen aufgingen, während die Reporter und Kameramänner eifrig auf Lauer nach neuen Bildern waren, schlug spätestens die Wut in eine gezielte Strategie um, die auch memetisch ansteckend war. Man wollte weiterhin im Zentrum der nationalen und auch globalen Aufmerksamkeit stehen, wodurch man vielleicht den Blick auch auf die Probleme in den Städten und der darin herrschenden sozialen Lage lenken wollte, aber vor allem wohl – es handelte sich meist um Jugendliche – wohl auch die Anerkennung und Wichtigkeit genoss, die mit dieser Prominenz einhergeht. Zudem konnten die Jugendlichen jeden Tag in einer nationalen Hit-List hören und lesen, welcher Stadtteil am erfolgreichsten war.

Den Medien wurde denn auch vorgeworfen, die Unruhen zu fördern. Der UMP-Abgeordnete monierte, dass die Medien von den Randalierern "instrumentalisiert" würden. Er forderte die Regulierungsbehörde Conseil supérieur de l'audiovisuel (CSA) auf, für eine bestimmte Zeit ein Moratorium zu erlassen, so dass keine Bilder mehr gezeigt werden. Claude Pernes, der Bürgermeister von Rosny-sous-Bois (Seine-Saint-Denis), kritisierte ein Kamerateam von France 2, die Unruhen verstärkt und provoziert zu haben, indem es die Randalierer filmte. Das ist wohl auch tatsächlich der Fall, Akteure und Medien treten in eine sich aufschaukelnde Schleife ein. Auch wenn die Medienvertreter nur berichten wollen, so ist schon ihre Anwesenheit eine Aufforderung und ihre Bilder liefern die Sensation. Was es nicht in den Medien gibt, das existiert nicht. Daher ist der Ausbruch aus den Vorstädten über die Gewalt und Zerstörung zugleich für die "Überflüssigen" aus den Gettos ein Einbruch in die Wirklichkeit. Daher würden die Medien zwar den Unruhen durch eine Verweigerung der Bildberichterstattung und von Interviews den Boden entziehen, aber gleichzeitig wieder die Probleme der Banlieues aus der Aufmerksamkeit drängen.

France 2 hat auf die Kritik zunächst so reagiert, dass keine Namen mehr genannt werden, um "keinen Wettstreit" zwischen den Jugendlichen zu provozieren. Seit dem 7. November nennt auch France 3 nicht mehr die Zahl der verbrannten Autos. Hervé Brusini von France 3 hat auch die regionalen Sender aufgefordert, die Zahlen nicht mehr aus diesem Grund zu nennen.

Robert Namias vom Sender TF 1 versicherte, dass man schon seit Tagen keine "Bilder von brennenden Autos, Wohnhäusern oder Gebäuden" mehr zeige. Auf France 2 wollte man nur noch die Gesamt der in Brand gesetzten Autos nennen, aber nicht spezifizieren, wo sie angezündet wurden. Und, so Arlette Chabot, man wollte auch keine zu "spektakulären" Bilder von Bränden mehr zeigen. Der Sender LCI beschloss keine Bilder mehr von brennenden Fahrzeugen zu zeigen, um die Randalierer nicht weiter anzustacheln.

Aus dem Film, der bei France 2 verschwunden ist

Probleme gibt es aber auch mit zensierten Bildern. Am Donnerstag zeigte der staatliche Sender France 2 einen Film, auf dem zu sehen war, wie Polizisten auf einen jungen Mann einschlugen und diesen mit Füßen traten. Das hatte sich am Montagabend ereignet. Schnell reagierte das unter Druck stehende Innenministerium und suspendierte am Freitag die 8 beteiligten Polizisten wegen "illegitimer Gewaltanwendung" vom Dienst. Zwei der Polizisten wurden wegen der Gewaltanwendung angezeigt.

Eine Polizeigewerkschaft fand das Vorgehen unverhältnismäßig und forderte die Polizisten auf, aus Protest nur noch minimalen "Dienst nach Vorschrift" zu machen. Der 19-jährige wurde inzwischen festgenommen und befragt, weil er unter Verdacht steht, mit einer Gruppe von anderen Jugendlichen Steine auf Feuerwehrleute geworfen zu haben. Seltsamerweise wurde das Video aber aus dem Archiv genommen, wie die Zeitung Le Nouvel Observateur am Samstag entdeckte. Bislang wurde es nicht mehr eingefügt.

Auch dieses Verschwindenlassen könnte, so ließe sich sagen, zur Beruhigung der Lage beitragen, wäre aber auf jeden Fall ein Akt der Zensur. Damit entzieht man ein Ereignis oder einen Sachverhalt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das verhindert Prominenz – und womöglich Ansteckung -, aber auch die Aufklärung über Sachverhalte, die ins Dunkel zurückfallen.