Showdownn Internet Governance

In Tunis hat die letzte Runde der Vorbereitungen für Weltgipfel zur Informationsgesellschaft begonnen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Je näher der 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) rückte, desto kontroverser wurde die mediale Auseinandersetzung um Internet Governance. "Wall Street Journal" und "New York Times" setzten das Thema auf ihre Titelseiten. Der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt kritisierte in der "International Herald Tribune" die EU für eine diplomatische Fehlleistung. EU-Kommissarin Vivien Reding erneuerte die europäischen Vorbehalte gegen eine einseitige US-Kontrolle. US-Senator Coleman malte das Gespenst an die Wand, die UNO wolle das Internet übernehmen. Und Kofi Annan seinerseits schrieb in der "Washington Post", dass die UNO das Internet nicht übernehmen wolle, dass aber eine Mehrheit von Staaten sich eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems wünscht. Die Frage, wer wie das Internet der Zukunft regieren soll, erhitzte die Gemüter derart, dass selbst zwischen Brüssel und Washington die Fetzen nur so flogen. US-Präsident Bush fragte den Präsidenten der EU-Kommission Barroso bei seinem Besuch im Weißen Haus, wie denn die USA den EU-Vorschlag zu einem "neuen Kooperationsmodell" für das Internet verstehen sollen und ob denn das nicht eine indirekte Einladung sei für "Schurkenstaaten", das Internet zu zensieren.

Als sich nun am Sonntag Mittag die knapp 2.000 Verhandler in dem engen Raum "Sidi Bou Said" im Tuniser Kran-Center das erste Mal zum Verhandlungsendspiel trafen, schien es zunächst so, dass die Suppe nicht so heiß gegessen wird, wie sie in den letzten Wochen beiderseits des Atlantik gekocht wurde. Relativ schnell konnte man sich auf wesentliche Grundsätze für das zukünftige Internet Management einigen wie auf das Prinzip des Multistakeholderismus, der Offenheit für Innovation, die Marktorientierung, die Sicherheit und Stabilität, Freiheit und Menschenrechte usw. Und als es Mitternacht geworden war, sah es auch fast so aus, als könnte eine Art Kuhhandel stattfinden: Wenn der Rest der Welt darauf verzichtet, ein neues Aufsichtsregime für die Verwaltung der Internet-Kernressourcen zu fordern, könnten die Amerikaner der Idee der Schaffung eines neuen globalen Internet-Forums zustimmen.

Die USA sind immer für einen Dialog, hatte US Delegationsleiter David Gross noch einmal gesagt, aber hinzugefügt, dass die europäischen Idee eines "neuen Kooperationsmodels" für Internet Governance in den letzten Wochen eine derartig negative Deutung erhalten habe und die Schaffung eines intergouvermentalen Aufsichtsichtsgremiums impliziere, für die USA unannehmbar sei. Und die UNO sei dafür schon überhaupt nicht geeinigt. Aber, wie gesagt, ein Forum, das könne man sich vorstellen, wenn denn klar sei, was das Forum diskutieren solle und wer es beherbergt.

Die Europäer nahmen - zwar etwas zerknirscht - den Ball auf. Der Sprecher der EU-Ratspräsidentschaft David Hendon, der in Genf vor sechs Wochen die Idee des "New Cooperation Model" vorgetragen hatte, erwiderte, dass man nicht an Worten klebe und man durchaus eine andere Formulierung finden könne. Auch die Chinesen schienen sich diesem Deal anschließen zu wollen. Der chinesische Botschafter sagte zwar zu Beginn seiner Rede, dass man doch keine Angst vor der UNO haben müsse, machte dann aber klar, dass China sich jetzt auf dem Weg Marktwirtschaft befindet und sich ein immer stärkerer privater Sektor entwickelt. Man wolle keine Internet-Revolution sondern eine Internet-Evolution, und zwar eine progressive. Da nickte der Amerikaner und so kam zu den Prinzipien, auf die man sich in der ersten Verhandlungsnacht verständigte, auch noch dass der "progressive evolution" hinzu.

Am Montag Morgen schien es daher, dass es nur noch der Klärung der Details des Mandats, der Organisationsform und der Finanzierung des Forums bedürfe und man dann die Sache zu Ende bringen könne. Aber weit gefehlt. Kaum hatte man sich in den Einzelheiten der Mandatierung des Forums verstrickt, brachen die eigentlichen Konflikte über das völlig gegensätzliche Verständnis zur Zukunft des Internet mit voller Wucht wieder auf. Das entzündete sich zunächst an der Frage, ob sich denn das Forum auch mit dem Thema "Internetaufsicht"" beschäftigen solle oder nicht. Und setzte sich fort bei dem Punkt, wo denn das Forum angesiedelt werden sollte.

Die Amerikaner machten eins ums andere Mal deutlich, dass ihr mögliches Ja zu einem Forum nicht missverstanden werden dürfe. Das Forum sei kein Einstieg in einen Prozess, an dessen Ende dann tatsächlich ein neues Aufsichtsmodell steht. Genau aber das wollen die anderen, ansonsten gäbe das Forum ja gar keinen Sinn.

Eng verbunden damit ist die Ansiedlungsfrage. Nicht bei der UNO tönt es von der US-Bank. Wo denn sonst, sagen die anderen. Niemand hat die Autorität, Legitimität und globale Akzeptanz wie der UN-Generalsekretär. Nichts gegen Herrn Kofi Annan, so der Amerikaner, aber die UNO solle erstmal ihre Reform zu Ende bringen, bevor sie ihrem Boss neue Aufgaben aufhalst. Wenn man schon einen Diskutierclub haben wolle, dann sollte man sich einer existierenden Plattform bedienen wie z.B. die "Internet Society" (ISOC). Die hätte Erfahrungen im Organisieren großer Konferenzen. Das wiederum löste Kopfschütteln bei den Leuten auf der anderen Seite aus. ISOC hatte in ihrer Stellungnahme zum WGIG-Report eindeutig erklärt, dass die WGIG-Idee des Forums keine gute Idee sei und man ein Forum strikt ablehne. Wollten de USA nun den Bock zum Gärtner machen? Der russische Delegierte wiederum brachte eine alte Kamelle wieder ins Spiel und schlug vor, das Ganze in Genf bei der ITU anzusiedeln, was wiederum die USA erboste. .

So geriet der mit viel diplomatischen Geschick operierende Vorsitzende, der pakistanische Botschafter Khan, immer stärker in das sich unaufhaltsam drehende Mühlrad der immer verbissener werdenden Debatten. Auch die Gründung von drei ad hoc Arbeitsgruppen, die sich für jeweils drei Stunden mit jeweils einem oder zwei Paragraphen beschäftigten, brachte keinen Durchbruch. Als kurz vor Mitternacht die noch verbliebenen 800 Verhandler erschöpft nach 16 Stunden sich zu den Shuttle-Bussen begaben, die sie in die Hotels zurückbrachten, war so gut wie nichts klar.

Als man sich 9.00 Uhr morgens wieder traf, machte Botschafter Kahn den Verhandlern noch einmal klar, dass es keinen Sinn mache, ohne den notwendigen politischen Willen weiter zu verhandeln. Man solle dann ehrlich sein, die ganze Sache abbrechen und das Scheitern der Konferenz erklären. Aber das wollte auch wieder keiner und so begann der mühselige Streit um die Paragraphen 62 und folgende wieder von vorne.