"Sie dürfen allen mit dem grünen Punkt ein Küsschen geben!"

Journalistentreffen mit Kuschelfaktor, Drogen-DVDs und Blog-aden: Jonet-Tag 2005

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Wenn 400 Journalisten zusammentreffen, dann fliegen die Fetzen. Klappt nicht? Dann muss man halt ein paar bissige Blogger dazwischenmogeln. Was, es klappt immer noch nicht? Tja, als Spiegel-Online-Chef Mathias Müller von Blumencron beim Jonet-Tag 2005 in der Hamburger Handelskammer plötzlich betonte, er betreibe unter www.spiegel.de ja auch nur ein großes Blog und dies auch nicht etwa, um Geld zu verdienen, sondern vielmehr, um sich wie die Blogger selbst auszubeuten, fehlten eigentlich nur noch ein paar Blumenkinder mit Joints…

Dabei hatte Müller von Blumencron es sich letztes Jahr mit den Bloggern gründlich verdorben, als er verkündete, dass 99% der Blogs Müll seien. Dass man ihm den plötzlichen Kuschelkurs nun abnimmt, hat er doch hoffentlich nicht etwa selbst geglaubt? Ein Zuschauer war dennoch empört und verlangte lautstark mehr von Blumencrons Online-Magazin als nur ein Blog.

Brisante Mischung, die aber nur schwach zündete: v.r.n.l. Manfred Bissinger, Mathias Müller von Blumencron, Jochen Wegner, Johnny Häusler (Bild: W.D.Roth)

Johnny Häusler von Spreeblick.com, als Blogger bekannt geworden mit dem Jamba-Kurs, doch bereits auf eine Karriere als Punksänger („Plan B“) und Radio-DJ („Fritz“) zurückblickend, zitierte in abgewandelter Form Janis Joplin („Freedom is just another word for nothing left to lose“) mit dem Satz: „Das Schöne am Bloggen ist, dass man journalistisch unabhängig ist, weil man kein Geld verdient“ und betonte „die 20 Euro, die ich im Journalismus verdiene, auf die kann ich auch noch verzichten“.

Wortfeld begrüßt den spiegelnden Neuzugang in der Blogosphäre mit einem ganz speziellen Logo…

Nur Kleingeister regen sich also noch über Arbeiten für lau auf und die Ausbeutung durch den Kapitalismus ist beendet, wenn man Honorare und Gehälter erst einmal abgeschafft hat? Dazu betonte von Blumencron, auch bei Spiegel online würde man sich selbst ausbeuten und schon mal was für lau machen, und sich deshalb zu Recht als Blog verstehen können. Oder eher für lau machen lassen? Und PR und Werbung müsse klar gekennzeichnet sein, so wie beispielsweise hier (Sponsor: Continental Reifen, inzwischen nur noch am charakteristischen Orange/Schwarz im Logo zu erkennen) oder hier (Sponsor: Norwegisches Fremdenverkehrsamt sowie Ferienhausvermietung, der Hinweise „powered by Norwegen“ ist allerdings mittlerweile entfernt) oder hier (Sponsor: O2, das O2-Logo ist so klein gehalten, dass es kaum auffällt, aber dennoch wirkt). Und schimpfte dann endlich doch noch wie erwartet über die Blog-Konkurrenz: „Wenn klassische Medien Journalismus machen würden wie die Blogger, sähe es in diesem Land düster aus“.

Annette Milz, Chefredakteurin des Mediummagazins, erkannte schließlich messerscharf, es sei ein Wettbewerb ausgebrochen, wer der Gute sei, indem er sich mehr selbst ausbeute: Blogger oder Journalisten. An Journalisten, die eine eigene Meinung verträten, herrsche dagegen inzwischen Mangel, so Manfred Bissinger, Geschäftsführer „Hoffmann und Campe Corporate Publishing“. Statt der aufregenden Zeiten von Augstein oder Boenisch „sind heute alle so neoliberal und schütten die gleiche Soße über uns“. Blumencron vermisst statt Meinungen dagegen den klassischen investigativen Journalismus.

Panel „Mikromedien“: v.l.n.r Janko Röttgers ("Mix Rip ’n Burn"), Erik Möller ("Die heimliche Medienrevolution"), Thomas Wanhof (Wissenschafts-Podcaster), Johnny Häusler (Spreeblick.com), Moderator Marius Sixtus (Sixtus.net) (Bild: W.D.Roth)

Sogar der öffentlichkeitsscheue Heise-Kolumnist Hal Faber ("WWWW") war in Hamburg angemeldet, wurde jedoch nur von wenigen Kollegen entdeckt, weil er vergaß, das extra für ihn vorbereitete Namensschild anzulegen. Der Gründer des veranstaltenden Journalistennetzwerks Jonet, Focus-Wissenschaftsredakteur Jochen Wegner, verkündete im Mediummagazin bereits vor dem Start des Jonet-Tags 2005 „Drei Frauen, denen ich in diesem Jahr zum ersten Mal begegnete, haben meine Leidenschaft für den Beruf neu befeuert“. Ungewöhnlich, schließlich führen solche Erstbegegnungen doch normalerweise durchaus zu Feuer und Leidenschaft, aber weniger beruflich als privat. Und gleich drei? Ja geht das denn?

Nun, es handelte sich um Meg Hourihan, die Blogger.com gründete, Caterina Fake, die gleiches mit Flickr.com tat und die attraktive, gebildete und selbstbewusste Gaby Darbyshire, die mit Gawker Media den Blogs die Umschuld des Privatvergnügens raubte und zeigte, wie man damit Geld macht (Der Kommerz nun auch im persönlichen Tagebuch?). Die ersten beiden waren am Jahresanfang bereits nach Deutschland gekommen, Jochen zu besuchen ("Ich habe kaum noch Freunde, das gebe ich zu, aber ich habe viele Abonnenten"), die dritte erschien nun zum Jonet-Tag. Wen wundert es da noch, dass Wegner zum Start der Veranstaltung darauf hinwies, man solle doch den Organisatoren der Veranstaltung – erkennbar am grünen Punkt auf dem Namensschild – ein Küsschen geben und diesen so immerhin eine echte Motivation als Alternative zur Selbstausbeutung anbieten...

Christoph Drösser (Zeit Wissen) und Annette Leßmöllmann (Spektrum der Wissenschaft) beachten den grünen Punkt (Bild: Thies Raetzke)

Frust schieben dagegen die Computerjournalisten. Nicht genug Frauen, nicht genug Küsschen und schon gar nicht genug Geld. Der als „Profibuchschreiber“ bekannte Jörg Schieb, der noch vor einem Jahr auf einem Treffen von Online-Journalisten als derjenige galt, der wohl als einziger Computer-Technikschreiber von seinen Büchern leben könne, gab erstmals offen zu, dass der Kaiser schon lange keine Kleider mehr anhat:

Mit einem Buch Geld zu verdienen, ist heute praktisch nicht mehr möglich, denn wer Informationen sucht, geht nicht mehr in den Buchladen, sondern online.

Jörg Schieb

Doch auch den Computerzeitschriften geht es nicht mehr gut. Heute sind Computer nicht mehr „bäh“, sondern gehören zum normalen Leben und banale Tipps zu ihrer Handhabung finden sich folglich überall, selbst in „Bild der Frau“ – und natürlich im Netz. Folglich haben nur noch Magazine Chancen, die entweder besonders hohes Niveau bieten – oder Leser ansprechen, die noch nicht online sind. Durch ständige Fusionen der inserierenden Computerfirmen bricht zudem eine Finanzierungsquelle zusammen. In den USA sind von einst acht bis zehn Computermagazinen gerade noch zwei übrig.

Und während ehemalige und heutige Chefredakteure berichten, wie ihr Blatt mit Titeln wie „Windows geheim“ oder „wie man aus der Videothek geliehene DVDs kopiert“ einst Auflagen von 600.000 Stück absetzen konnte, ist dies heute strengstens verboten, die Auflagen sind folglich im Keller und die Musikindustrie freut sich schon, wenn ein Schüler, der zu jung ist, um die damaligen Zeiten und den Unterschied zu heute zu kennen, eins der alten Hefte aus eben jenem Keller nichtsahnend auf den Flohmarkt oder in Ebay verkaufen will. Der bekommt dann so richtig eins reingewürgt (Teurer Spaß).

Detlef Borchers und Michael Klein simpeln fach (Bild: W.D.Roth)

Dass Werbung von Nicht-Computerprodukten in Computerzeitschriften so rar ist, sei rein sachlich dabei kaum nachzuvollziehen, da diese ebenso wie Auto- und Sportmagazine mehr zahlungskräftige Leser erreichen als klassische „Edelprodukt-Werbeblätter“ wie Playboy oder GQ. Doch anscheinend werden sie halt von den Werbefuzzis nicht gelesen.

Wenn Computerzeitschriften also Probleme mit zusammenbrechenden Werbeetats haben und alles online geht, sollte ja die Online-Werbung endlich erfolgreich sein, oder? Doch hier zeigen sich große Unterschiede: Während in den USA 50 Dollar pro 1000 Kontakte gezahlt werden und „Online“ längst mehr einbringt als „Print“, sind es bei uns trotz immer aggressiveren rülpsenden Flash-Bannern gerade 1,50 Euro. pc-welt.de berichtet dennoch davon, online bereits genauso ordentlich in den schwarzen Zahlen zu stehen zu sein wie mit der gedruckten Zeitschrift.

IT-Journalisten Tobias Weidemann (PC-Welt), Jörg Schieb (Bücher, Westdeutscher Rundfunk) und Jens Ihlenfeld (Geschäftsführer golem.de) (Bild:W.D.Roth)

Ansonsten setzen inzwischen alle auf CDs und DVDs mit Software oder Spielfilmen als Beigabe, wobei der neue PC-Welt-Chefredakteur Andreas Perband betont, dass diese zwar wichtig seien, doch bereits zur Normalität verkommen. Der frühere PC-Welt-Chefredakteur Michael Klein empörte sich sogar: „Datenträger auf Computerzeitschriften sind Drogenhandel“. Nur die Verdienstspanne scheint dann doch nicht vergleichbar zu sein. Doch CDs und DVDs sind „alte Technologie“, so Klein, und mit den sechs Wochen vom Redaktionsschluss bis zum Erscheinen längst veraltet. Während ehemalige Mitarbeiter eines der zahlreichen dieses Jahr aus dem Boden geschossenen und inzwischen wieder in diesen gestampften Audio-Video-Unterhaltungselektronikmagazine nun eins der mittlerweile ebenso zahlreichen Weblogs über elektronische Gadgets in deutscher Lizenzausgabe befüttern…