Statt Gameboy: Zukünftig Fernsehen unter der Schulbank und im Büro?

Was uns das Handyfernsehen bringen soll

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Wer will und braucht wirklich News über alles und jederzeit? Abgesehen von Katastrophen und sportlichen Weltmeisterschaften bevorzugen Menschen unterwegs und außerhalb des Autos inzwischen neben Zeitungen und Zeitschriften eher Handy, Internet und Konserven (Ipod & Co.) denn Live-Radio und -Fernsehen als Quellen für Unterhaltung und Information. Für noch mehr Fernsehen hat eigentlich auch niemand mehr Zeit – außer man erobert neue, bislang nicht vermarktete Umgebungen wie Schule und Büro. Die Frage, ob dies wirklich erstrebenswert ist und Fernsehen unter Schulbank und Bürotisch nicht vielleicht in irgendeiner Weise schädlich sein könnte, scheint sich nicht mehr zu stellen.

Das lustige an der neuen Multimedia-Welt ist ja, dass sich bestimmte Dinge auf sehr merkwürdigen Wegen einschleichen. So ist es beispielsweise mit der Digitalisierung des Radios (DAB – Digital Audio Broadcast) kein großes Kunststück, Textelemente, Symbole, Standbilder und schließlich bewegte Bilder anzuhängen. Und schwupps, schon sind wir beim Fernsehen (DMB – Digital Multimedia Broadcast), mitunter noch verharmlosend "Radio mit Bild" genannt, da Video hier im Gegensatz zu DVB (Digital Video Broadcast) nicht im Vordergrund steht.

Gutes Programm: c’t Magazin im DMB-Handyfernsehen auf den Münchner Medientagen (Bild: W.D.Roth)

Das Radio hat gegenüber dem Fernsehen allerdings bisher noch einen strategischen Nachteil, wenn es um die hemmungslose Vermarktung gilt: Trotz morgendlichen Flachwitzen und Dudelmusik (Stoppt den Dudel!) sind die Sitten noch nicht völlig verroht. Es gelten noch dieselben staubtrockenen Lizenzbedingungen aus der Gründerzeit des Privatradios von vor mehr als 20 Jahren, mit denen ein Sender eine Zulassung riskiert, wenn er ein Kulturprogramm beantragt hat und dann einfach stattdessen Hitparadenmusik spielt, weil dies mehr Werbeeinnahmen bringt. Obwohl komischerweise trotzdem fast alle dasselbe dudeln. Auch kommt kein privates Programm um die stündlich wiedergekäuten Nachrichten herum, auch wenn bereits andere Sender desselben Anbieters stündlich Nachrichten senden, weil die Lizenzbestimmungen für jeden Sender einen Wortanteil vorschreiben, der dann preiswert in Nachrichten von der Stange und Fußballergebnissen realisiert wird.

Beim Fernsehen werden die ursprünglichen Lizenzbestimmungen dagegen heute kaum mehr nachkontrolliert. Und ein Zwang zu stündlichen Nachrichtensendungen wäre undenkbar. Nachrichten werden dennoch auf vielen Fernsehkanälen ausgestrahlt, es gibt ja auch reine Nachrichtensender von privaten TV-Anbietern, was es im Radio nur von öffentlich-rechtlichen Anstalten gibt. Andererseits käme niemand auf die Idee, einem Shopping-Kanal oder einem Gewinnspielsender eine Nachrichtensendung vorzuschreiben.

Ebenso gibt es beim Fernsehen bundesweite Senderketten, was beim Radio privaten Anbietern bis heute nicht erlaubt worden ist – nur Deutschlandfunk und Deutschlandradio als öffentlich-rechtliche Anstalten dürfen dies. Ja selbst die Strukturen der Eigentümer sind im Privatradio noch identisch mit der Anfangszeit von vor über 20 Jahren, als die meisten Frequenzen Verlegern zugeteilt wurden, die dann eine langweilige „gesprochene Zeitung mit Musikeinlage“ präsentierten, während die speziell am Medium Radio interessierten Pioniere oft leer ausgingen.

Zudem übersteigt beim Radio die Nachfrage das Angebot an Frequenzen bei weitern, so Dr. Hans Hege von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) auf den Münchner Medientagen: Wenn in Berlin einmal einer Frequenz neu ausgeschrieben wird bewerben sich mindestens 20 komplett sendebereite Anbieter. Beim Fernsehen ist der Andrang längst nicht so groß, da Produktion und Aussendung erheblich teurer sind.

Von daher ist es eigentlich verwunderlich, wenn nun mit DMB über das Radio Fernsehen gemacht werden soll. Doch handelt es sich hierbei nur um die dahinter stehende Technik – kein heutiger Radioanbieter wurde plötzlich Fernsehen machen, nur weil die neue Technik es gestattet. Stattdessen wollen natürlich die heutigen Fernsehanbieter auf die DMB-Kanäle zugreifen.

Im Süden Deutschlands wird für das Handyfernsehen auf jeden Fall das bereits über die DAB-Versorgung verfügbare DMB genommen und nicht das im Norden Deutschlands bevorzugte, doch wesentlich aufwendigere, nicht flächendeckend geplante und noch lange nicht serienreife DVB-H. Langfristig sollen die Geräte dann alle Systeme darstellen können. Vom IRT wird im Kanal 11C des DAB-Netzes bereits DMB mit einer Datenrate von 496 KBit/s pro Sekunde abgestrahlt, ein zweiter Sender steht dabei auf dem Funkhaus des bayerischen Rundfunks in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Das Testprogramm enthält ARD Eins Extra und ZDF Infokanal sowie ein paar Infowerbeschleifen.

Der taktische Vorteil von DMB: es ist flächendeckend geplant, im Gegensatz zum Digitalfernsehen DVB-T, auf dem halt auch DVB-H aufsetzt: dieses wird nur in Ballungsgebieten und Großstädten verfügbar sein. DMB soll dagegen sowohl Ballungsgebiete wie offenes Land abdecken, sowohl ICE-Fahrgäste wie Fußgänger versorgen. Die alte Abkürzung DAB wird deswegen inzwischen auch neu definiert, statt bislang Digital Audio Broadcasting soll DAB nun für Digital Advanced Bradcasting stehen.

Etwas mehr als Handygröße ist bei DMB auch möglich… (Bild: W.D.Roth)

Im DMB-Pilotprojekt Regensburg soll im Band III mit einem eventuellen Rückkanal über Handy (GSM/UTMS) "mifriends" starten. Hier werden 75 Projektvorschläge aus neun Ländern ausprobiert, wozu u. a. auch statt Live-Übertragungen das Aufzeichnen und spätere Abspielen von speziellen Sendungen gehört – sozusagen Podcasting –, um den Mangel an Frequenzen auszugleichen und dennoch viele Spartenprogramme zur Verfügung zu stellen für den, der nicht den ganzen Tag zu hören will, doch gerne ein paar Stunden eines Spezialkanals ausreichen.

In München wird zur Fußballweltmeisterschaft erstmals sechs Monate lang mit drei Sendern in Freimann, am Messegelände Riem und auf dem Hochhaus des bayerischen Rundfunks getestet, wobei nur 1000 ausgewählte Personen Empfänger bekommen werden. Doch auch in Frankreich werden im Großraum Paris 100 DMB-Empfänger verteilt – gesendet wird von den Hochhäusern von La Défense.

Es ist aber auch klar, dass der zukünftige Kunde keine Lust hat, einen elektronischen Zoo im Stile des Inhalts einer Damenhandtasche mit sich herum zuführen. Neben Ipod, Kamera, Handy und PDA auch noch ein Mini-Fernseher? Nein, das muss dann schon ein Multifunktionsgerät sein, eine eierlegende Wollmilchsau.

DMB ist in Südkorea zur Serienreife gediehen, wo sogar Satellitendienste (S-DMB) auf mobilen Geräten empfangen werden. Dr. Anthony Park von Samsung sagt dabei ganz klar: Zwar auch zuhause, doch vor allem in der Schule und im Büro wird mit diesen Geräten ferngesehen. Im Detail: 24% zuhause, 15% in der U-Bahn, 20% auf der Reise, 13% sonstige Orte. Aber die Mehrheit von 28% – also fast ein Drittel der DMB-Nutzung – findet in Büro und Schule statt!

Drei weitere koreanische DMB-Empfänger (Bild: W.D.Roth)

Dem südkoreanischen Bruttosozialprodukt scheint dies bisher nicht zu schaden. In Korea wird es bis Ende 2006 20 DMB-Handys und vier Auto-Geräte geben. Das NRM-5100 blendet sogar ein Fernsehbild von 5 Zoll Größe im Autorückspiegel ein. Dabei überbrückt das Fernsehen in Südkorea eher Wartezeiten und das Radio läuft weiterhin nebenbei, beides jedoch auch bei der Arbeit. Entertainment, beispielsweise Musikfernsehen, wird dabei pro Nutzung 20 bis 30 Minuten beansprucht, Nachrichten und Sport dagegen nur fünf bis 10 Minuten.

Während das Radio Gefahr läuft, im eigenen Medium so vom Fernsehen abgelöst zu werden, sollen DMB-Inhalte immerhin – von der Rundfunkgebühr für TV natürlich abgesehen – kostenlos bleiben, während die der Mobilfunktechnik nähere DVB-H- Technik durchaus Bezahlinhalte geplant hat. Rainer Tief vom bayerischen Rundfunk kann heute schon eine Bayern-Wetterkarte mit Webcam-Aufnahmen im Zeitraffer präsentieren und setzt später auf Geräte mit Festplatte und PVR-Funktion. Ein Problem, das allerdings geklärt werden muss, sind die Rechte: Normale Fernseh-Ausstrahlungsrechte könnten für die Handys genauso wenig geeignet sein, wie sie für die Ausstrahlung an Bord von Flugzeugen verwendet werden können.