"Terrorismus funktioniert nur bei hoher Mediendichte"

Auf einer Medientagung über Kriegs- und Krisenjournalis ging es um Berichterstattung der Medien im Irak-Krieg, Friedensforscher Galtung sparte nicht an Kritik am "faschistoiden Angreiferstaat USA" und lobte die neue spanische Regierung

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Eigentlich sollte sich das Symposium ja mit Kriegs- und Krisenjournalismus beschäftigen. Die Wiener Forscher hatten auch eine Menge empirisches Material über die Irak-Berichterstattung gesammelt, das so manches Klischee auf den Kopf stellt. Aber Stargast Johan Galtung, der alternative Nobelpreisträger aus Norwegen, landete in seinen Ausführungen über die Medien bald beim grundsätzlichen Problem: dem herrschenden Diskurs der Politik.

Johann Galtung liebt die überraschende Argumentation. „Ich finde die Berichterstattung über die Vogelgrippe sehr gut“, sagte er. Warum?

Wir könnten ja sagen: Diese Vögel sind Instrumente des Teufels oder wütend ausrufen: We will crush them, wie Colin Powell das nach 9/11 getan hat. Aber wir tun das nicht. Vielmehr sehen wir, dass ein Virus dahinter steckt und dass vielleicht eine Impfung die Lösung des Problems sein könnte.

Das, so Galtung, wäre der richtige, der rationale Diskurs. Die Medien würden jedoch in den meisten Fällen einer anderen Logik gehorchen, jener von George W. Bush („Es gibt irgendwo auf der Welt ganz böse Menschen. Man muss sie eliminieren, dann bekommt man Sicherheit.“)

Das liege auch daran, dass Kriegsjournalisten wie ihre Kollegen vom Sport der Frage „Wer gewinnt?“ nachhecheln: „Diese Berichterstattung ist eine Beleidigung der Intelligenz der Menschheit“, so der 75-Jährige, „wir können nicht über Terrorismus reden, ohne über Staatsterrorismus zu sprechen, der für 99 Prozent der Opfer verantwortlich ist.“ Friedensjournalismus wie auch Friedenspolitik müsse Lösungen aufzeigen. So wie es etwa der spanische Premier José Luis Rodríguez Zapatero macht:

Er hat nach den Anschlägen von Madrid vieles richtig getan: Er zog die spanischen Truppen aus dem Irak ab und machte seine erste Staatsreise nicht nach Brüssel oder Washington, sondern nach Marokko. Gleichzeitig verbesserte er die Integration der Marokkaner in Spanien und erkannte, dass das Problem auch ein religiöses ist. Mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan läutete er daher eine Allianz der Zivilisationen ein. Der hat dabei so schnell gearbeitet, dass sich die Opposition noch mit Punkt eins beschäftigt. Und was machen die Medien? Sie thematisieren nur das angeknackste Verhältnis zum transatlantischen Partner USA. Ich wage hingegen zu prognostizieren: Auf spanischem Boden wird es keine Anschläge von islamistischen Gruppen mehr geben.

Für Galtung, der sich selbst einen „Heiden mit buddhistischen Fleckchen“ nennt, ist Friedensarbeit keine akademische Sache, sondern gar nicht so schwer zu verwirklichen:

Es gibt Lösungen, man muss sie nur suchen. Aber man muss das Gegenüber ernst nehmen. Das nennt man Demokratie, meine Freunde.

Warum David immer sympathischer als Goliath ist

Weniger optimistisch zeigte sich die zweite wissenschaftliche Zelebrität der Veranstaltung, der Politologe Herfried Münkler. Der Berliner Wissenschaftler hatte schon vor Jahren den Begriff des asymmetrischen Krieges geprägt und erkannt, dass Medien immer mehr zur Waffe werden, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen:

Kriege haben ihren Charakter geändert und damit die Medien heraus geworfen aus der Äquidistanz, hinein in die Parteinahme. Die Journalisten greifen qua Beobachtung in den Gewaltkonflikt ein.

Was er damit meint: Früher standen sich zwei in etwa gleich starke Kriegsparteien gegenüber (Idealform: das Duell), dies erst ermöglichte dem Berichterstatter neutral zu berichten: "Wenn jedoch David gegen Goliath antritt und der Schwächere vom anderen chancenlos verprügelt wird, dann ist jede neutrale Beobachtung zynisch.“ Die Warlords in Afghanistan wüssten das zu nutzen: „Sie aktivieren Bilder des Elends und werfen damit die Mitleidsmaschine an.“ Die Spendenfreudigkeit des Westens werde somit instrumentalisiert, nicht zuletzt, in dem NGOs bedroht werden: „Der afghanische Warlord Dostum hat Unmengen damit verdient, dass seine Leute die Ärzte ohne Grenzen nicht angriffen.“

Ähnlich sei es beim Terrorismus: „Er funktioniert nur, wo hohe Mediendichte herrscht.“ Das heißt: Indem sie die Medien anzapfen, machen Terroristen die technologische Nachteile wett. Das gelte aber auch für andere asymmetrische Konflikte. Münkler illustrierte das mit einem etwas älteren Beispiel aus dem Irak-Krieg 1991:

Saddam zog schon bald die Luftabwehr ab und zeigte stattdessen dem CNN-Mann Peter Arnett die Wehrlosigkeit der irakischen Bevölkerung. Arnett wurde dadurch die irakische Luftabwehr.

Die Verbreitung der Bilder sei selbst eine - dem Reporter und seinem Medium unbewusste - Kriegshandlung gewesen. Wie könnten Medien dieser Instrumentalisierung entgegnen? „Die Journalisten müssen die Rationalität der politischen Akteure mehr beachten.“

„Pauschale Abqualifizierung der US-Presse nicht zulässig“

Spannende empirische Ergebnisse präsentierten indes die Wiener Kommunikations-Wissenschaftler Jürgen Grimm, Roland Burkart und Peter Vitouch auf dem Kongress: Bei einer vergleichenden Untersuchung nahmen sie die Berichterstattung über den Irak-Krieg 2003 in acht Ländern unter die Lupe. Ihr Ergebnis: „Die viel gescholtene US-Presse war erstaunlich nüchtern und nicht patriotisch-überschwänglich. Dass allzu klischeehafte Bild, dass sich alles um den US-Präsidenten scharrte, kann nicht aufrechterhalten werden.“ Die englische Presse, so die Forscher, sei da viel emotionaler gewesen. Haken an der Untersuchung: Die Zeitungen des heftig die Kriegstrommel rührenden Medienmoguls Rupert Murdoch wurden nicht miteinbezogen.

Im Vergleich zur ersten Irak-Invasion sei in den USA viel mehr Wert auf die Darstellung von Opfern gelegt worden. Ingesamt befürworteten die US-Medien jedoch den Krieg: „Die Argumentation der Regierung wurde nur ganz selten hinterfragt. Das macht uns nicht Mut hinsichtlich der kritischen Position der Journalisten“, so Jürgen Grimm. Gezeigt habe sich, dass vor allem die New Yorker Medien den Krieg im Irak begrüßten: „Das hängt wohl auch mit dem 11. September zusammen.“

Die deutschen Journalisten, das wurde durch den Ländervergleich deutlich, orientierten sich sehr stark an ihren US-Kollegen. Grimms Interpretation: „Obwohl es auch in der Bevölkerung einen Konsens gegen den Krieg gab, waren die Zeitungen sehr zurückhaltend. Offensichtlich wollten sie den Anti-Kriegs-Kurs Schröders konterkarieren, um die transatlantischen Beziehungen nicht zusätzlich zu verschlechtern.“ Klarer Ausreißer war die „Bild“: „Sie übertrifft in der Berichterstattung über gewalttätige Konflikte im Irak die gesamten untersuchten Zeitungen in Serbien.“ Kaum Überraschungen bot hingegen die Einteilung in tendenzielle Kriegsbefürworter (FAZ, Welt) und Kriegsgegner (Bild, Süddeutsche, taz, Frankfurter Rundschau). Die stärkste Ablehnung des Irak-Kriegs wiesen übrigens die türkischen Medien auf.

Und das Internet?

Das Internet blieb in der Untersuchung der Wiener Forscher außen vor. Sie entdeckten bei Leserbefragungen jedoch, dass „in der Krise die Presse häufiger in Anspruch genommen wird als das Fernsehen. In punkto Orientierungsfunktion sind die Zeitungen dem Bildmedium überlegen.“ Grimm attestierte gar eine „Krise der Bildkommunikation“.

Einzig Johan Galtung, mit 75 Jahren der wohl älteste Teilnehmer der Tagung, dachte in seinen Ausführungen auch das Internet mit: „Ich setze große Hoffnungen in das Netz und die Lokalradios.“ Er verdeutlichte das mit einer Anekdote: Gilt es Medienleute von seiner Art des Friedensjournalismus zu überzeugen, dann wendet er sich nicht an die Chefredakteure („alte Männer mit roten Stiften“). Vielmehr seien junge Leute, und da vor allen Dingen Frauen, von einer neuen Sicht zu überzeugen.

Es ist nicht schlau, ein Bollwerk anzugreifen. Man muss die Schwachpunkte finden. Das ist eine alte Guerilla-Methode.

Johan Galtung