"200 percent confirmed"

Wieder einmal kursiert eine in den meisten Medien kaum hinterfragte Geschichte von der Tötung eines "ranghohen al-Qaida-Kommandeurs"

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Seit Tagen konnte man in vielen Medien lesen, dass ein "ranghohes al-Qaida-Mitglied in Pakistan getötet" wurde (SZ), CIA erschießt al-Qaida-Führer oder Ranghohes Al-Kaida-Mitglied getötet. Die Meldung ging zurück auf einen Artikel in der pakistanischen Zeitschrift Dawn: ‘Senior Al Qaeda commander killed' vom 2.12. Am Tag darauf erklärte der pakistanische Präsident Pervez Musharraf, dass Hamsa Rabia, angeblich "Nr. 3" von al-Qaida getötet worden sei: "Mit 200 Prozent Sicherheit."

Mit Hellfire-Raketen ausgestattete Predator-Drohne. Bild: US Air Force

Aus Pakistan kommen immer wieder einmal Geschichten, die nicht nur viele Versionen haben, sondern auch oft genug nicht stimmen. Auch Präsident Musharraf streut gerne Informationen aus, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Und gerade wenn sich Vorfälle in entlegenen Gebieten wie in der Grenzregion zu Afghanistan ereignen, lassen sich Informationen kaum unabhängig nachprüfen (Orientalischer Krieg gegen Terroristen). Das alles hätte eigentliche Medien, nachdem die Kritik an der Berichterstattung nach dem 11.9. groß war, vorsichtig machen sollen.

Aber die Geschichte vom Tod eines "hohen al-Qaida-Führers" hat viele Komponenten, dien sie vermutlich reizvoll machen. Zunächst war da der Umstand, dass die US-Regierung sich zurückhält und lieber nichts dazu sagt, während auf pakistanischer Seite zunächst anonyme Informanten berichteten, dass ein "hoher al-Qaida-Kommandeur" zusammen mit vier anderen Männern von Raketen in einem Haus in Asirai (Waziristan) getötet wurden, die von einer Predator-Drohne der CIA abgefeuert worden sei. Es könnten aber auch mehrere Drohnen gewesen sein. Andere Zeugen hätten aber davon berichtet, dass sich eine Explosion im Haus ereignet habe. Diese Version wird auch vom pakistanischen Innenminister Sherpao verbreitet. Hamsa Rabia, angeblich der Planungschef von al-Qaida, sei Syrer. Seine Leiche sei mit den Leichen von zwei weiteren Toten, die aus dem Nahen Osten stammten, weggebracht und irgendwo vergraben worden. Gefunden wurden nur zwei Leichen von Einheimischen.

Heikel wäre für Pakistan, wenn die CIA mit Drohnen in den pakistanischen Luftraum eingedrungen wäre und dort Jagd auf mutmaßliche Terroristen macht. Aus diesem Grund werde die pakistanische Regierung nie offiziell zugeben, dass eine CIA-Drohne die Ursache für den Beschuss war. Ähnlich ist es bei der US-Regierung, die Schwierigkeiten vermeiden will, auch wenn die CIA womöglich, obgleich sie gerade unter heftiger Kritik wegen der Verschleppungen steht, es ganz recht ist, wenn Gerüchte zirkulieren, dass der Geheimdienst die Aufenthaltsorte von Terroristen kennt und sie durch gezielten Tötungen jederzeit eliminieren kann. Offenbar hatten die Bewohner des Dorfes jedoch Überreste von Raketen amerikanischer Herkunft gefunden, so dass damit eher die Vermutungen des Beschusses durch CIA-Drohnen gestützt würden. Die westlichen Medien neigen daher auch zu der Version, dass die CIA-Drohne die fünf Männer getötet hat. Und obwohl die Leichen nicht gefunden wurden, neigt man andererseits auch dazu, den Erklärungen der pakistanischen Regierung zu glauben, dass Rabia dabei umkam, der nun aber aus Ägypten stammen soll. Der Innenminister verkündete denn auch, dass der angebliche Tod von Rabia ein "schwerer Schlag" für al-Qaida sei.

Nun rief zwar eine angeblich zu al-Qaida gehördende Person am Samstag beim arabischen Sender Al-Arabiya an und versicherte, dass Rabia nicht getötet worden sei, auch wenn fünf Menschen dabei umgekommen wären, zwei aus der Gegend, zwei aus Tadschikistan und ein Araber. Das ist natürlich auch nicht sehr verlässlich Stephen Hadley, der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, wollte zwar den Tod von Rabia nicht bestätigen, aber doch auch deutlich machen, dass die USA den pakistanischen Behörden bei der erfolgreichen Jagd auf Terroristen helfe – und auch hier hilfreich tätig war. Wenn er getötet worden sein sollte, so Hadley gleichwohl vorsichtig, dann sei das "eine gute Sache". Rabia sei "ein schlechter Kerl. Es wurde nach der Gefangennahme von Abu Faradsch al-Libbi zum Operationschef al-Qaidas. Er war an der Planung von zwei Anschlagsversuchen auf Präsident Musharraf beteiligt. Und wir glauben, dass er an Anschlagsplänen gegen die USA beteiligt war."

Von den ranghohen al-Qaida-Mitgliedern

Rabia ist also Nachfolger von al-Libbi, der bei seiner Gefangennahme im Mai eben auch als dritthöchster Kommandeur nach Bin Laden und Sawahiri tituliert wurde. Damals feierte die Bush-Regierung die Gefangennahme des "Chefplaners" und die meisten Medien verbreiteten ungefiltert die Erfolgsmeldung. Seitdem hat man von al-Libbi nicht mehr viel vernommen. Nach seiner Gefangennahme wurden auch keine großen Fahndungserfolge oder Festnahmen erzielt, von denen man sicher gehört hätte. Er scheint mithin – trotz der ausgeklügelten CIA-Verhörmethoden ("Dieser Geheimdienst foltert nicht") - keine besonders ergiebige Quelle zu sein. Vermutlich war al-Libbi nur ein kleiner regionaler Fisch, der weder großen Einfluss noch großes Wissen besaß (al-Libbi ist auch einer derjenigen, der in einem geheimen Gefängnis der CIA verschwunden ist). Wahrscheinlich verwechselte man al-Libbi auch mit einem Syrer mit einem ähnlichen Namen, der an den Anschlägen auf die afrikanischen US-Botschaften beteiligt gewesen sein soll und noch immer auf der FBI-Liste der "Most Wanted Terrorists" steht (Die falsche Nummer 3 von al-Qaida).

Auf der befindet sich der "dritthöchste al-Qaida-Mann" nicht, angeblich aber auf einer CIA-Liste der wichtigsten al-Qaida-Mitglieder. Dort sollen 5 Millionen US-Dollar auf ihn ausgesetzt sein. Natürlich kann die Existenz dieser CIA-Liste auch nicht bestätigt werden. Ansonsten ist der Name des Topkommandeurs aber seltsamerweise vor der Nachricht über seinen Tod niemals aufgetaucht. Nach neueren Berichten sollen nun aber nur zwei Menschen, deren Leichen auch gefunden wurden, getötet worden sein. Wie Mohammad Siddiq, der Besitzer des zerstörten Hauses, erklärte, handelt es sich um seinen 17-jährigen Sonn und einen 8-jährigen Neffen. In seinem Haus hätten sich auch keine Fremden aufgehalten und er habe keine Verbindungen zu al-Qaida. Siddiq will auch eine Drohne gesehen haben. Der Mann wird, wenn er tatsächlich al-Qaida-Mitglieder in seinem Haus untergebracht hatte, natürlich versuchen, das zu leugnen. Da allerdings die Beweise in Form der Leichen fehlen, dürfte das schwierig werden. Siddiq wurde von den lokalen Behörden der weitgehend autonomen Provinz nun zu einer Anhörung vorgeladen.

Zu vermuten ist, dass wir die Wahrheit nie erfahren werden, aber dass es bei Bedarf bald einen weiteren dritthöchsten al-Qaida-Chef geben könnte, wenn sich Hamsa Rabia, sollte es ihn wirklich geben, nicht selbst melden oder seine Leiche gefunden würde. Vermutlich wird auch dann wieder auf die Vergesslichkeit setzen können, so dass sich auch die nächsten Erfolgsmeldungen viral verbreiten. Anscheinend finden viele Medien es auch reizvoll, al-Qaida weiterhin als straff hierarchisch organisierte Organisation zu begreifen, in der es eine Nr. 1, eine Nr. 2 usw. gibt, auch wenn andererseits längst bekannt ist, dass al-Qaida nur ein pauschaler Name für ein lose verbundenes Netzwerk von Gruppen ist, in dem die alten Autoritäten wie Bin Laden oder Sawahiri wahrscheinlich nur noch Ansehen genießen, aber kaum noch direkt in die Planung von Aktivitäten verwickelt sein werden.