Hightech-Piraten

Von der Seeräuberromantik zum organisierten Verbrechen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seeräuber? Piraten in der Karibik, Käpt’n Hook, Holzbein, Rumfässer, Schatzkarten, Freibeuter der Meere, Störtebeker...ja, früher war alles besser und für die Frauen gab es gar nichts romantischeres, als von einem gestandenen Seeräuber erobert zu werden. Wer damals von Piraten aufgehängt wurde, sieht dies aber sicher anders und in der unromantischen Gegenwart ist die Piraterie auf hoher See ein knallhartes Geschäft des organisierten Verbrechens geworden.

Das luxuriöse und elegante Kreuzfahrtschiff mit 9000 Tonnen ging mit Vollgas in eine scharfe Kurve. Nichts mehr mit gemütlicher Kreuzfahrt – die Passagiere hingen zitternd in den Kojen, denn die Seabourn Spirit war unter Beschuss! Gerade hatte eine raketengetriebene Granate das Schiff getroffen, ein Besatzungsmitglied verletzt und 151 Passagiere gefährdet. Schwer bewaffnete Piraten in zwei schnellen Motorbooten versuchten gerade, das Schiff zu entern.

Nur einer von über 200 Überfällen durch Piraten in den ersten neun Monaten dieses Jahres, von denen der New Scientist in seiner neuesten Ausgabe berichtet. Über 280 Seeleute wurden in diesen Monaten bereits umgebracht, gekidnappt oder sind spurlos verschwunden – dreimal so viel wie noch vor 10 Jahren. Die modernen Piraten sind militärisch bewaffnet und gnadenlos.

Die Seabourn Spirit (Bild: Seabourn)

Nachdem die Piraten aufgerüstet haben, ist dies nun auch bei den Reedereien der Fall: Von Einbrecheralarm und Thermokameras über Hochdruck-Wasserkanonen bis zu Elektrozäunen. Was die Seabourn Spirit betrifft, die erst letzten Monat vor der Küste von Somalia angegriffen wurde, hatte sich die Crew mit einer Soundkanone gewehrt (Long Range Acoustic Device, LRAD), die ohrenbetäubenden Lärm abstrahlt. Zusammen mit den Ausweichmanövern des Kapitäns hatte dies die Situation gerettet.

Die meisten Schiffe sind allerdings noch nicht gegen die neuen Seeräuber ausgerüstet. "Die meisten Schiffsbesitzer haben kurze Arme und tiefe Taschen", sprich: sie sind für seine Produkte zu geizig, so sagt undiplomatisch direkt Steve Smith von der englischen Marine-Sicherheitsfirma C-Vigil Ltd.. Doch nach etlichen Entführungen und zwei Terroranschlägen auf See wird nicht nur Piraterie versicherungstechnisch als Terrorismus eingestuft. Das US-Militär plant außerdem ein automatisches Überwachungssystem, das mit künstlicher Intelligenz von Satelliten aus Piratenüberfälle entdecken kann, lange bevor Küstenwache oder Schiffsbesitzer merken würden, dass etwas nicht stimmt.

Von Malaysia nach Somalia

Der Weekly Piracy Report zeigt, dass die 900 km lange Meerenge von Malakka zwischen Indonesien und Malaysia besonders gefährlich ist. Dies ist nicht besonders überraschend: die Hälfte der Ölvorräte der Welt und ungefähr 50.000 Schiffe jährlich müssen hier durch, wobei die Küste mit Hunderten von unzugänglichen Inseln und isolierten Häfen gespickt ist, was den Piraten sehr entgegenkommt. Seit Juli 2004 haben deswegen die Regierungen von Indonesien, Singapur und Malaysia die Militärpräsenz erhöht. Doch mit dem Tsunami von Weihnachten 2004 hat auch die Infrastruktur der dortigen Piraten gelitten und die Piratenaktivitäten haben sich verlegt. Die Seabourn Spirit wurde vor Somalia angegriffen, wie 24 andere Schiffe zwischen März und November diesen Jahres. Internationales Interesse löste dies erst aus, als zwei Versorgungsschiffe für das UN World-Food-Programm mit Hilfslieferungen von Piraten beschlagnahmt wurden.

Die Piraten sind heute auch wesentlich organisierter als früher: Sie bestechen Schiffsagenturen, damit die sie ihnen vorab die geplanten Reiserouten und die geladene Fracht mitteilen. Sie hören den Funkverkehr der Schiffe ab, greifen in Holzbooten an, um im Radar unsichtbar zu bleiben und sie tragen Taucheranzüge, um auf den Infrarotkameras nicht gesehen zu werden. Mitunter senden sie auch falsche SOS-Rufe aus, um nichts ahnende hilfswillige Schiffe anzulocken und zu überfallen. Sind sie dann erstmal an Bord, wird die Funkanlage als erstes zerstört, damit die Überfallenen keine Hilfe rufen können.

Hightech-Krieg auf hoher See

Auf der Gegenseite sind inzwischen bewaffnete Sicherheitsbeamte, Begleitschiffe oder gar Unterstützung per Hubschrauber und Flugzeug angesagt, während Kapitäne mit schusssicheren Westen ausgerüstet werden. Nur auf Schiffen mit brennbarer Ladung, wie beispielsweise Gas-und Öltankern sind Elektrozaun mit 9000 Volt oder Schießereien an Bord tabu. Hier sind stattdessen CS-Gas, Pfefferspray, Gleitschaum oder gar Klebstoffpistolen, die Angreifer in einem großen klebrigen Glibberhaufen begraben, angesagt. Doch auch an dem alten, zuletzt durch eine „South Park“-Folge bekannt gewordenen Witz der Brown Note, deren tiefe Töne ungewollte Darmbewegungen auslösen sollen, sodass die Piraten plötzlich die Hosen gestrichen voll haben, werde ernsthaft weitergeforscht, behauptet der New Scientist.

Ungefähr 200 "fliegende Holländer" befahren mittlerweile die Meere: Geisterschiffe ohne Vergangenheit, die nach Überfällen verschwunden sind, umlackiert wurden und neue, falsche Papiere und einen neuen Namen bekamen. Sie dienen nun Schmugglern oder Piraten als Mutterschiff, von dem die kleinen, wendigen Motorboote aus angreifen. Ähnlich den in Südafrika oder bei Lkw-Fahrten in den Ostblock üblichen GPS-Systemen, die das Fahrzeug und seinen Verbleib noch verfolgen lassen, wenn es entwendet wird, werden nun auch Schiffe mit solchen Satellitensendern ausgerüstet. Beispielsweise von der französischen Firma Ship-Loc, die ähnlich dem zur aktiven Identifizierung dieneden Radartransponder beim Flugzeug Satellitentransponder für Schiffe herstellt, mit denen diese ständig ihre Position über Satellit zu ihrem Eigentümer zurückmelden. Wird das Schiff überfallen, kann über den Transponder Alarm ausgelöst werden, doch auch wenn dies nicht mehr möglich ist, verschwindet das Schiff anschließend nicht von der Erdoberfläche, da ein kleiner Satellitentransponder auf einem großen Schiff auch für technisch gut ausgerüstete Piraten nicht auf Anhieb zu finden ist.

Schiffsverfolgung per Satellit

Ein alternatives System ist das Automatic Identification System (AIS), bei dem über normalen Funk regelmäßig eine Identifikation über das betreffende Schiff und seine Ladung an die umliegenden Häfen und andere Schiffe ausgestrahlt werden. Alle Passagier- und Frachtschiffe über 300 Tonnen sollen dieses Signal seit diesem Jahr abstrahlen, so die International Maritime Organisation. Damit lassen sich "Phantomschiffe" natürlich leicht enttarnen; andererseits werden so die Piraten überhaupt erst auf lohnende Objekte aufmerksam gemacht.

Alle Maßnahmen helfen jedoch nichts gegen Verräter innerhalb der Mannschaft. In diesem Fall ist auch eine per Satellit zu entdeckende Auffälligkeit durch ungewöhnliches Verhalten des Schiffes nicht unbedingt zu erwarten. Zudem sind Schiffe mittlerweile auch schon mehrfach Ziel von Terroristen geworden, die genauso wie Saddam Hussein nicht nur Krieg gegen Menschen, sondern auch gegen die Umwelt ausrufen und Öltanker angreifen, um eine Ölpest auszulösen oder die Wirtschaft damit lahm legen wollen, dass sie wichtige Schifffahrtswege wie die Meerenge von Gibraltar oder Hormuz oder den Suez- oder Panamakanal blockieren, indem sie dort ein großes Schiff versenken.

Die amerikanische Militäragentur Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency) konzipiert deshalb das System Panda (Predictive Analysis for Naval Deployment Activities), das "merkwürdiges Verhalten" von Schiffen automatisch erkennen und Alarm auslösen soll. Die dahinter liegenden Algorithmen sind ähnlich denen, mit denen Banken Kreditkartenmissbrauch anhand untypischer Abbuchungen frühzeitig entdecken können.