Der Irre aus Iran

Ahmadinedschads Ehrgeiz

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Der Online-Ausgabe der saudisch-arabischen Zeitung Arab News, die heute ausführlich, natürlich positiv, über das gerade zu Ende gegangene Gipfeltreffen der Organization of the Islamic Conference (OIC) berichtet, waren die Worte des iranischen Präsidenten keine Erwähnung wert. In der europäischen Presse ist die Empörung über die Ausfälle Ahmadinedschads die große Meldung, das OIC-Gipfeltreffen findet sich irgendwo auf den hinteren Seiten. An wen sind die Hetzreden des Ultras gerichtet?

Der iranische Präsident Machmud Ahmadinedschad. Bild: iranische Regierung

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen (vgl. Der Kettenhund) verblüfft Irans "Mystery Man" die Weltöffentlichkeit mit gehässigenWorten, welche unumwunden das Ende des Staates Israel fordern; diesmal aufgepeppt mit einer Relativierung des Holocaust. In seiner Rede Ende Oktober wollte der Ultra Israel noch "von der Landkarte ausradieren", in einem Fernsehinterview in Mekka am Rande der OIC-Konferenz schlug er jetzt vor, den Staat Israel nach Europa zu verlegen:

Ihr habt sie unterdrückt, also gebt dem zionistischen Regime einen Teil Europas, damit sie dort die Regierung einsetzen, die sie wollen. Wir würden das unterstützen.

Vom "humanitären Standpunkt aus ein Fortschritt", so Henryk M. Broder in einem gewitzten Essay, der weniger die Stammtisch ähnlichen Aussagen des iranischen Präsidenten als die reflexhafte Empörung der europäischen Spitzenpolitiker aufs Korn nimmt:

Die Israelis sollen nicht mehr ins Meer gejagt, sondern nur noch auf eine Reise übers Meer geschickt werden. Man könnte es auch so sagen: Europa soll das Problem, das es kreiert und exportiert hat, zurückbekommen. Doch der Empfänger verweigert die Annahme der Sendung, noch ehe sie abgeschickt wurde.

Doch spricht vieles dafür, dass Ahmadinedschad seine irrwitzigen Knallfrösche nicht an die Adresse der Europäer schickt, sondern an das regionale Publikum und die Reaktionen des Westens sind Teil der Botschaft. Der iranische Präsident, der immer deutlicheren Gegenwind vom politischen Establishment in seinem Land zu spüren bekommt – drei seiner vorgeschlagenen Ölminister sind vom Parlament abgelehnt worden, sein Kontrahent Rafsandschani ist ihm "makropolitisch" (vgl. Der Kettenhund) übergeordnet worden - bemüht das (einzige?) größere politische Talent, das ihm zur Verfügung steht, die Stimmungsmache. Mit Methode: Der Ehrgeiz von Ahamadinedschad besteht darin, Iran als profilstärkstes, radikalstes Gegenüber zu den USA und dem Westen allgemein aufzubauen.

Seine Hassreden appellieren an das Ressentiment-Reservoir der islamischen Welt, auf Sympathien für radikale Lösungen. Als Meisterschüler des Großrevolutionären Ayatollahs will er die Gunst nicht nur des iranischen, sondern des großen islamischen Volkes – mit Volkes Stimme. Was er sagt, kennt jeder im Nahen Osten, und die große Zustimmung erhält er bei denen, die sich als Opfer des stets auf Eroberung versessenen, wirtschaftlich und technisch so übermächtigen Westens verstehen. Israel gilt in dieser Sicht als ein Brückenkopf des Westens mitten im "muslimischen Idyll". Von dort aus kann sich das Übel des Westens in der Region ausbreiten. Nicht umsonst bemüht Ahmadinedschad, wie andere Hetzer auch, die bekannte Metapher vom sich ausbreitenden Krebs. Israel als hassenswertes Symbol für den alles zersetzenden Westen genommen – so kann man sich den beinahe ekstatischen Hass auf ein Land erklären, das tausend Kilometer von Iran entfernt ist.

Welche Anhängerschaft Ahmadinedschad mit seiner mekkanischen Vision, die der New Yorker Epiphanie - "Und der Herr leuchtete ihm" - folgt, in Iran und im Nahen Osten erntet, ist die spannende Frage. Immerhin ist der Ex-Militär kein Führer einer radikalen, militanten Organisation, sondern Staatspräsident einer bedeutenden islamischen Mittelmacht, die gerade dabei ist, sich neu zu positionieren und das zu Zeiten, in denen sich die USA als Ordnungsmacht der "Middle East"-Region gründlich den Ruf ruiniert hat.

Dass die ArabNews, eine viel beachtete arabische Publikation, seine Baracken-Erkenntnisse gar nicht erst erwähnt, ist ein gutes Zeichen.