"Frauen haben im heutigen Irak keinen Schutz"

Zur Situation von Frauen im Irak, gezielten Anschlägen und der Forderung nach Abzug der Besatzungstruppen ein Interview mit Houzan Mahmoud von der "Organisation für die Rechte der Frauen im Irak"

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Fast täglich kommt es zu Erschießungen, Entführungen, Vergewaltigungen und Ermordungen von Mädchen und Frauen durch bewaffnete Gruppen. Frauen im Irak leben heute gefährlicher als in den Jahren zuvor. Besonders, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen und gegen frauenfeindliche Angriffe zur Wehr setzen. Frauenrechtlerinnen werden immer wieder Opfer von gezielten Anschlägen. Eine der ersten, die Morddrohungen erhielt, war Yanar Mohammed, die Präsidentin der Organisation für die Rechte der Frauen im Irak (OWFI), einer irakischen Fraueninitiative. Ihre Gruppe organisiert Demonstrationen gegen Vergewaltigung, Entführung und „Ehrenmorde“. Die Organisation gibt eine Zeitung heraus und unterhält Schutzräume für Frauen, die von Gewalt und Mord bedroht sind. Deren Zahl wächst ständig, seit im Irak fundamentalistische und erzreligiöse Gruppen Auftrieb erhalten. Maike Dimar sprach mit Houzan Mahmoud von der „Organisation für die Rechte der Frauen im Irak“.

Houzan Mahmoud. Bild: OWFI

Die Situation für Frauen im Irak heute soll schlechter sein als in den Jahren zuvor, schlechter als unter Saddam Hussein. Teilen Sie diese Einschätzung?

Houzan Mahmoud: Das ist leider wirklich wahr, denn die Besatzung im Irak und die ständigen, tagtäglichen Terrorattacken haben die Situation für Frauen im Irak verschlechtert. Vor allem fehlt es völlig an Sicherheit für Frauen. Es ist klar, dass sie im heutigen Irak keinen Schutz haben.

Verschiedene Studien von Organisationen wie amnesty international verdeutlichen, dass viele irakische Frauen Angst davor haben, das Haus alleine zu verlassen, dass sie nicht mehr zur Schule und Arbeit gehen, dass es viel mehr Gewalt gegen Frauen gibt in den letzten zwei Jahren. Wie sieht die Situation für Frauen heute aus?

Houzan Mahmoud: Irak ist von den USA und den Alliierten besetzt und sie haben ein Marionettenregime installiert, das kein bisschen Schutz oder Sicherheit für Frauen bietet. Wenn Frauen auf die Straße gehen, ist nicht klar, ob sie wieder gesund und sicher nach Hause kommen. So ist die Situation heute! Tägliche Angriffe auf Menschen, Selbstmordattentate, Vergewaltigung, Entführungen, der Mord an Frauen durch verschiedene, vor allem islamistische Gruppierungen, die die Bevölkerung terrorisieren. Und auch die Besatzungssoldaten selbst haben eine miserable Situation für Frauen geschaffen. Frauen werden in Haft gehalten, manchmal vergewaltigt oder sexuell missbraucht, manche durch US-Soldaten gefoltert. Man kann deutlich sehen, dass sich die Situation für Frauen nach dem Krieg stark verschlechtert hat.

Sie haben uns eingeteilt auf der Grundlage von religiösen Sekten, ethnischem Hintergrund und entlang von Stammeslinien

Weshalb haben die Rechte von Frauen einen solchen Rückschlag erlitten?

Houzan Mahmoud: Dieses Regime, das an die Macht gebracht wurde, besteht vor allem aus reaktionären und rechten religiösen Kräften. Politische islamistische Gruppen, die den Frauen eine islamische Lebensweise auferlegen wollen, wurden gestärkt. Sie bieten Frauen nicht nur keinen Schutz, sondern treiben auch noch die Islamisierung der irakischen Gesellschaft und insbesondere für Frauen voran.

Sie sagten, dass die fehlende Sicherheit einer der Hauptgründe für die schlechte Lebenssituation für Frauen im heutigen Irak ist. Aber was sollte getan werden, um da Abhilfe zu verschaffen?

Houzan Mahmoud: Die Anwesenheit von Besatzungstruppen im Irak bietet islamistischen Terrorgruppen, die Leute unter dem Vorwand des Kampfes gegen die Besatzung gewaltsam umbringen, eine ständige, grundsätzliche Rechtfertigung und Legitimierung. Aber in Wirklichkeit kämpfen sie nicht gegen die Besatzung, sondern wollen nur ihre eigenen finsteren Regeln der irakischen Bevölkerung und besonders den Frauen auferlegen. Das Ende der Besatzung ist also eine Voraussetzung dafür, von der gegenwärtigen Situation im Irak loszukommen.

Ihre Organisation ist für das Ende der Besatzung und den Abzug der Besatzungstruppen. Aber was denken Sie, was würde danach sein, glauben Sie wirklich die Lage im Irak würde sich dann verbessern?

Houzan Mahmoud: Wir haben die Anwesenheit dieser Truppen in den letzten zwei Jahren gesehen. Sie haben nichts getan, sie haben den Frauen im Irak und der Gesellschaft keine grundlegenden Verbesserungen verschafft. Sie hier zu haben, ist also nutzlos, und sie haben sogar noch mehr Elend über unsere Gesellschaft gebracht. Sie haben uns eingeteilt auf der Grundlage von religiösen Sekten, ethnischem Hintergrund und entlang von Stammeslinien, und sie haben ein Regime geschaffen und installiert, das uns nicht repräsentiert. Es ist nur durch und durch proamerikanisch. Alles in allem haben sie nach dem Fall von Saddam Hussein keine gute Lösung gebracht. Wir denken, wenn die Besatzung endet, wird es nicht so schlimm sein wie zuvor, denn der Irak heute hat sich in ein Schlachtfeld verwandelt zwischen all diesen islamischen Gangstern und politischen Gruppen, die nur die Gesellschaft terrorisieren. Auch die Regierung, die sie in den letzten zweieinhalb Jahren installiert haben, ist nutzlos. Wir glauben, dass die irakische Bevölkerung nach dem Ende der Besatzung zumindest die Probleme vom Hals hat, der sie sich durch die Besatzung gegenübersieht.

Aber nun wurde ein Frauenministerium gegründet und ein Viertel der Sitze der Nationalversammlung sind für Frauen reserviert. Macht das Ihrer Meinung nach keinen Sinn?

Houzan Mahmoud: Dass Frauen im Parlament repräsentiert sind, ist nicht alles. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass diese Frauen, die nun im Parlament sitzen, nicht die irakischen Frauen repräsentieren. Sie wurden dort hineingebracht und dazu ausgewählt, um die Interessen der USA zu repräsentieren, nicht etwa, weil sie etwas für die irakischen Frauen getan hätten. Nicht weil sie etwa Frauenrechtsaktivistinnen wären. Die meisten dieser Frauen sind den irakischen Frauen unbekannt. Und mehr noch, sie sind Teil dieses reaktionären Parlaments, das aus reaktionären religiösen Stammesgruppen besteht, und diese Frauen sind Anhängerinnen dieser Politik. Sie sind nicht dort, um wirklich etwas für die Verbesserung der Lebenssituation und Lebensumstände der Frauen zu tun oder zum Schutz der Frauen. Es ist nur zwei oder drei Monate her, dass diese Frauen eine Resolution ins Parlament einbringen wollten, die es Ehemännern oder „Beschützern“ erlauben sollten, Frauen zu schlagen, wenn sie nicht gehorsam wären. Das zeigt doch, dass diese Parlamentarierinnen genauso reaktionär sind.

Sie wollen eine Lebensweise wie die in Iran, Saudi-Arabien oder Afghanistan unter den Taliban durchsetzen

Es gab viele Bemühungen von Menschen- und Frauenrechtsaktivisten für die Gleichberechtigung von Frauen in der neuen Verfassung. Ihre Organisation hat die Frauen aufgefordert, die Abstimmung zu boykottieren. Weshalb?

Houzan Mahmoud: Weil diese Verfassung wieder nur von einer Handvoll Leute geschrieben wurde, die von den USA und ihren Alliierten und der gegenwärtigen reaktionären Regierung rausgepickt wurden. Und tatsächlich ist es eine Verfassung, die Frauen- und Menschenrechte voneinander trennt und sie verletzt, denn sie haben die Verfassung auf der Grundlage der Scharia und des islamischen Rechts entworfen. Diese Verfassung ist nicht zum Guten der Bevölkerung. Sie war nur Teil einer Prozedur, um die Regierung, die im Augenblick an der Macht ist, zu legitimieren. Es hat nichts zu tun mit unseren Rechten und Freiheiten und Ansprüchen. Es war vor allem ein Stück Papier.

Ihre Kritik fiel noch harscher aus. Ihre Organisation, die Organisation für die Rechte der Frauen im Irak, sagte, diese Verfassung bringe den Irak zurück ins finstere Mittelalter. Worauf gründen Sie diese Einschätzung?

Houzan Mahmoud: Es ist ein Desaster, dass die Verfassung auf dem Islam, einer Religion basiert, als Grundlage für eine Gesetzgebung. Weshalb sollte die irakische Verfassung auf dem Islam begründet sein? Warum sagen sie, dass alle irakischen Gerichte und Richter die Scharia kennen und verstehen müssen und auf dieser Grundlage entscheiden? Wir hatten so etwas nie zuvor - und in der Verfassung steht auch nicht viel drin über Rechte der Frauen. Die Verfassung repräsentiert die reaktionäre Gesinnung derjenigen, denen zur Macht verholfen wurde, und wir haben von ihnen bis jetzt nichts Gutes erfahren. Vor zwei Wochen hat der Erziehungsminister einen Beschluss verabschiedet, um Studentinnen und Studenten an der Universität getrennt zu unterrichten, in verschiedenen Räumen, wo sie vorher zusammen studiert haben. Sie wollen die Studentinnen sogar dazu zwingen, sich zu verschleiern. Das sind nur die ersten Resultate der reaktionären Verfassung. Sie wollen Frauen und Männer trennen und eine Lebensweise wie die in Iran, Saudi-Arabien oder Afghanistan unter den Taliban durchsetzen.

Kampf gegen die Herrschaft der Islamisten über das Leben der Frauen

In letzter Zeit gab es im Irak viele Angriffe auf Frauenrechtsaktivistinnen, sogar Morddrohungen und gezielte Tötungen. Ist Ihre Organisation davon auch betroffen?

Houzan Mahmoud: Ja, natürlich. Unsere Präsidentin Yanar Mohammed war die erste Frau im Irak, die als Frauenrechtsaktivistin und ihrem mutigen Kampf gegen die Scharia Morddrohungen erhielt. Die Verletzung von Frauenrechten und die Bedrohung von Aktivistinnen geht ständig weiter. Unsere Organisation ist ständig in Gefahr, denn wir sind die erste Frauenorganisation innerhalb des Irak, die weltweit bekannt ist für ihren Kampf für Freiheit, Gleichberechtigung und Säkularität im Irak und das sehr unverblümt fordert. Und wir sind auch bekannt dafür, dass wir kompromisslos gegen die Besatzung kämpfen. Wir denken, dass das, was jetzt im Irak geschieht, das Resultat der Besatzung ist.

Wie kämpfen Sie für die Rechte der Frauen. Was sind die Hauptaktivitäten Ihrer Organisation?

Houzan Mahmoud: Wir unterhalten Schutzräume, Frauenhäuser für diejenigen, die von Gewalt und Mord bedroht sind, wir haben eine Menge Demonstrationen organisiert. Wir sind die einzige Frauenorganisation, die Frauen in Bagdad gegen Vergewaltigung und Entführung und die Tötung von Frauen auf die Straße brachte, und wir organisierten eine internationale Kampagne dagegen. Das war 4 Monate nach der Besetzung. Wir haben den 8. März öffentlich in Bagdad gefeiert und tausende Frauen schlossen sich den Demonstrationen für Freiheit, für die Trennung von Staat und Religion an. Wir haben viele Konferenzen über die Gleichberechtigung der Frau abgehalten, für eine egalitäre irakische Verfassung. Wir kämpften gegen die Resolution 137, dass die Scharia als Gesetzgebung eingeführt werden sollte. Wir veröffentlichen in Bagdad eine Zeitung mit dem Titel „Gleichberechtigung“. Wir gehen an Arbeitsplätze, in Gefängnisse, in Fabriken, um das Bewusstsein der Frauen über ihre Rechte, Gleichberechtigung und Freiheit zu fördern, und auch, um sie gegen die Besatzung zu und für ein Ende der Herrschaft der Islamisten über unser Leben zu mobilisieren.

Ihre Organisation ist in ihren Äußerungen und Forderungen sehr säkular und sehr radikal. Glauben Sie, dass Sie damit die Frauen – und auch die Männer – im Irak erreichen und überzeugen?

Houzan Mahmoud: Das sind keine unbekannten, keine ungewohnten Ideale für die irakische Bevölkerung, denn wir hatten immer eine säkulare Gesellschaft im Irak. Wir hatten nie einen islamischen Staat, wir hatten nie eine Gesetzgebung, die rein auf der Scharia fußte. Weshalb sollte das also seltsam und fremd für die Leute sein? In Wirklichkeit stoßen wir damit auf große Zustimmung und es ist ein wichtiger und auch anziehender Teil unserer Organisation. Ich glaube wirklich nicht, dass es in unserer Gesellschaft seltsam sein könnte, wenn man die säkulare Geschichte des Irak und seiner Bevölkerung berücksichtigt.