Schmutzige Nummer

Bespitzelungs-Affäre: Präsident Bush unter Druck

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Noch ist die CIA-Affäre um geheime Gefangenenflüge, Gefängnisse und Folter nicht ausgestanden, da ist schon die nächste Geheimdienstaffäre im Anrollen: Präsident Bush soll den größten und geheimsten unter den US-Geheimdiensten, die National Security Agency (NSA – einem geläufigen Scherz nach steht das Akronym für "No Such Agency"), dazu ermächtigt haben, Telefonate und Email-Korrespondenz von US-Bürgern zu überwachen - unter Umgehung der in solchen Fällen nötigen richterlichen Befugnis. Die Opposition gegen Bush wird stärker und deutlicher. Am Freitag hat der Kongress der Verlängerung des Patriot Acts nicht zugestimmt.

Nach einem Bericht, der gestern in der New York Times erschien, soll die National Security Agency nach Angaben von Informanten, die mit der Sachlage vertraut sind, bis zu 500 Menschen in den Vereinigten Staaten ständig ausspioniert haben. Nimmt man diejenigen dazu, deren internationale Telefongespräche und Emails sporadisch belauscht bzw. mitgelesen wurden, geht die Zahl nach Schätzungen der Informanten der New York Times womöglich in die Tausende.

Eigentlich ist die NSA für Auslandsspionage zuständig: Sie soll Codes knacken und mittels Abhörposten in aller Welt auskundschaften, was "ausländische Regierungen, Diplomaten, Handelsvertreter, Drogenbarone und Terroristen" im Schilde führen. Was aber die Überwachung von amerikanischen Bürgern angeht und die Verbreitung von Erkenntnissen über sie, so ist die NSA sehr strengen Regelungen unterworfen. Für inländische Bespitzelungsaktionen seitens der NSA ist eine richterliche Anordnung nötig.

Eine Anweisung von Präsident Bush aus dem Jahre 2002 soll diese Hindernisse umgangen und die NSA dazu autorisiert haben, Amerikaner und Ausländer, die sich in den Vereinigten Staaten aufhalten, ohne Gerichtsbeschluss ("without the court-approved warrants") zu belauschen, um möglicherweise "dirty numbers" zu finden: Verbindungen zu al-Qaida. Manche Experten werten dies als eine kapitale Wende in der Praxis der amerikanischen Geheimdienste, einmal, was den grundsätzlich anders gelagerten Aufgabenbereich der NSA angeht, und zum anderen stellt sich die Frage, ob die Vorgehensweise von der Verfassung gedeckt wird. Zwar hätten einige Senatoren, die von der Sache Wind bekommen hätten, Untersuchungen angestrengt, aber, so ein Informant:

Nothing came of his inquiry. People just looked the other way because they didn't want to know what was going on

Als Erfolg der Überwachung im legalen Halbdunkel wird von den Vertretern der Regierung die Vereitelung eines Attentats angegeben, das ein Lastwagenfahrer aus Ohio namens Iyman Faris 2003 mit Schweißbrennern auf die Brooklyn Bridge ausüben wollte, um die Qaida zu unterstützen. Geplante Anschläge auf britische Pubs und Bahnhöfe sollen ebenfalls verhindert worden sein. Aber bei den meisten, die von der NSA überwacht wurden, konnte kein Verbrechen nachgewiesen werden.

In ihrem Bericht erwähnt die New York Times, dass man die Informationen über die geheime Order des Präsidenten schon seit längerem habe, die Publikation aber ein Jahr lang zurückgehalten habe, um keine Operationen dadurch zu gefährden, dass Verdächtige über Überwachungen in Kenntnis gesetzt würden – als ob Terroristen nicht ohnehin damit rechnen würden, dass sie überwacht werden. Nun kommt der Bericht genau zum Zeitpunkt, an dem über die Verlängerung des auslaufenden Patriot Acts abgestimmt wurde.

"Er ist Präsident, kein König"

Präsident Bush bestätigte in einer gestern gehaltenen Radioansprache, dass er die NSA dazu autorisiert habe, ihr Lauschprogramm in den USA ohne richterliche Erlaubnis durchzuführen und betonte, dass er das höchstgeheime Programm auch weiter durchführen lassen würde, da es ein "vitales Mittel in unserem Kampf gegen die Terroristen ist". Verfassungsrechtliche Bedenken erkannte der Präsident nicht, wohl aber einige Senatoren, die bekannt gaben, dass die NSA-Affäre bei ihrer Ablehnung der Verlängerung des Patriot Acts eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Vorlage zur Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze wurde am Freitag vom Kongress abgelehnt. Entsprechend enttäuscht und wütend die Reaktion des Präsidenten:

Im Kampf gegen den Terrorismus können wir es uns nicht leisten, dass wir auch nur einen Augenblick ohne dieses Gesetz (Patriot Act, Einf. d.V.) auskommen.

Vor Kameras, die gestern ins Weiße Haus durften, demonstrierte Bush seinen Ärger über die Niederlage im Kongress. Die Aktion der Senatoren bringe das Leben der amerikanischen Bürger in Gefahr, sagte er, die terroristische Bedrohung würde anders als der Patriot Act nicht in zwei Wochen auslaufen.

Genau anders herum sehen es die Kritiker, wie etwa der demokratische Senator Russ Feingold, der vor vier Jahren als einziger gegen den Patriot Act gestimmt hatte: die Gefahr sei der Präsident selbst, dessen Vorgehensweise deutlich demonstriere, wie nötig das Land den gesetzlichen Schutz vor solchen Praktiken habe:

The President's shocking admission that he authorized the National Security Agency to spy on American citizens, without going to a court and in violation of the Constitution and laws passed by Congress, further demonstrates the urgent need for these protections. The President believes that he has the power to override the laws that Congress has passed. This is not how our democratic system of government works. The President does not get to pick and choose which laws he wants to follow. He is a president, not a king.