Die Mao-Bibel unter Beobachtung

Die Bush-Regierung hat nach dem 11.9. die Überwachung der US-Bürger drastisch und teilweise heimlich ausgebaut, "watch lists" scheint es nicht nur für mutmaßliche Terrorverdächtige, darunter Friedensaktivisten, zu geben, sondern auch für Bücher

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon bevor US-Präsident Bush 2002, wie er bereits selbst einräumte, dem Auslandsgeheimdienst NSA die Erlaubnis gab, Telefongespräche und Email-Verkehr von Hunderten oder Tausenden von US-Bürgern zu überwachen, wurde dies schon kurz nach dem 11.9. praktiziert. Damals wurden auch bereits unter Umgehung eines Gerichtsbeschlusses Telefongespräche und Emails zwischen den USA und Afghanistan abgehört. Auch der Ende 2001 eilig durch den Kongress gepeitschte Patriot Act, der die Überwachungsmöglichkeiten erweiterte, hatte es der NSA nicht ermöglicht, in den USA selbst abzuhören – und schon gar nicht ohne Gerichtsbeschluss.

Wie so vieles wurde dies von Bush heimlich durch einen Präsidentenerlass angeordnet, was erst vor ein paar Tagen durch einen Artikel in der New York Times bekannt wurde (Schmutzige Nummer). 2004 wurde die Regelung von einem Richter des für die Bewilligung von Hausdurchsuchungen und Lauschangriffen zuständigen Federal Intelligence Surveillance Court (FISA) beanstandet, weil dabei Informationen von der NSA an das FBI weiter gegeben werden. Das Gericht hatte die Sorge, dass, wie auch schon 2002 beanstandet, sich das Justizministerium nicht an das Recht hält (FBI hat sich Lauschangriffe erflunkert). Allerdings hatte Ashcroft gegen den FISA Ende 2002 durchsetzen können, dass die bislang vorhandenen Barrieren FBI und Geheimdiensten im Rahmen des Patriot Act weitgehend eingezogen werden, um einen möglichst ungehinderten Informationsfluss zu ermöglichen (USA: Freier Informationsfluss zwischen Geheimdiensten und FBI).

Die Times hatte die Informationen über den Präsidentenerlass aus dem Jahr 2002 auf Druck der Bush-Regierung noch ein Jahr lang der Öffentlichkeit vorenthalten. Angeblich hätte dies die Aufklärung terroristischer Aktivitäten behindern können, viel eher aber wollte man das Thema vor den Präsidentschaftswahlen und vor der Verlängerung des Patriot Act lieber im Dunklen lassen. Immerhin hat die Times nun mit der lange verzögerten Veröffentlichung die Diskussion auch über Patriot Act wieder in Gang gesetzt. Der Senat hat am Freitag schon einmal gegen eine Verlängerung über den 31.12.2005 hinaus gestimmt.

Bush rechtfertigte die von ihm bewilligten Lauschaktionen, dass sie für die Terrorabwehr notwendig gewesen seien und man dadurch nicht näher genannte Anschlagspläne hätte vereiteln können. Überdies sei alles auch ganz rechtmäßig geschehen, was allerdings viele, selbst in der NSA, nicht überzeugen kann. Allerdings waren angeblich auch einige Kongressabgeordnete darüber informiert, so dass wohl auch hier nicht genügend Kontrolle über die Regierung ausgeübt wurde. Allerdings behauptet der ehemalige demokratische Senator Bob Graham, der im Geheimdienstausschuss saß, dass niemals über eine Erweiterung der NSA-Befugnisse gesprochen worden sei.

Bush hatte, wie auch bei der Schaffung von rechtsfreien Räumen für die Entführung, Inhaftierung und Folterung so genannter "feindlicher Kämpfer", schlicht von Rechtsberatern den rechtlichen Rahmen zurecht biegen lassen. In diesem Fall sind sie, wie die Times schreibt, aber noch geheim, was auch auf ein besonderes rechtsstaatliches Verständnis der Bush-Regierung hinweist.

Überwacht wurden seit 2002 heimlich auch zahlreiche US-Bürger. Wie sich vor kurzem herausstellte, hat man neben anderen US-Bürgern und Menschen, die sich in den USA aufhalten, auch Oppositionelle und Friedensaktivisten u.a. von der 2002 im Pentagon geschaffenen Geheimdienstabteilung Counterintelligence Field Activity (CIFA) abgehört. In aller Regel seien diese, so das FBI gegenüber der Washington Post, keiner Straftat verdächtig gewesen. Die Informationen wurden, auch wenn sich keine Erkenntnisse ergaben, in Datenbanken gespeichert. Vermutlich geraten auf die Weise auch viele Menschen auf die Beobachtungslisten, wodurch sie an Flughäfen strenger kontrolliert und manchmal auch am Flug gehindert werden.

Die Mao-Bibel sollte man lieber nicht lesen

Aber auch die Überwachungsmöglichkeiten, die der Patriot Act ermöglicht, bestätigen, dass die Bush-Regierung ihren Krieg gegen den Terrorismus, der nicht nur im Ausland, sondern vor allem auch an der "Heimatfront" geführt werden müsse, auf Kosten von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit führt. Mit der angeblichen Verteidigung der Freiheit schrumpft diese Stück für Stück. Der Patriot Act, der schon mit seinem Titel so tut, als wäre die Erweiterung der Überwachung ein Dienst am Vaterland, erweiterte die Befugnisse der Sicherheitsbehörden beim Überwachen der Kommunikation, bei Hausdurchsuchungen und bei der Einsicht in Daten von Banken, Unternehmen, Krankenhäusern und Bibliotheken. All das ist weitgehend auch ohne konkreten Verdacht möglich und geschieht heimlich, wenn auch mit Genehmigung des FISA oder mit so genannten National Security Letters. Jährlich 30.000 solcher Genehmigungen zum Abhören oder zu Einsicht in Daten von US-Bürgern werden über die National Security Letters von der FBI ausgestellt, ohne dass diese von eine Richter genehmigt oder vom Kongress kontrolliert werden.

Dass die Überwachung der Bibliotheken, wodurch sich Leseverhalten oder auch Nutzung der mit dem Internet verbundenen Computer einsehen lässt, nicht nur auf dem Papier steht, hat nun ein Fall an der University of Massachusetts at Dartmouth deutlich gemacht. Brian Williams, Professor für Islamische Geschichte, und Robert Pontbriand, Professor für Kulturgeschichte, berichten, dass ein Student wegen des Ausleihens eines Buches in den Blick des Heimatschutzministeriums geraten ist.

Für eine Arbeit über den Kommunismus in dem Kurs über Faschismus und Totalitarismus von Pontbriand sollte sich der Student eine Mao-Bibel bzw. das Rote Buch (Die Worte des Vorsitzenden Mao) ausleihen. Da Pontbriand, wie er sagt, den Studenten empfiehlt, direkt zu den Quellen zu gehen, suchte der Student sich eine offizielle Version des von der damaligen chinesischen Regierung veröffentlichten Buches über die Fernleihe zu besorgen. Dazu musste er persönliche Angeben machen. Kurz darauf standen zwei Angehörige des Heimatschutzministeriums vor der Tür seines Elternhauses. Sie erklärten, das Buch – immerhin aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts – befinde sich auf einer "Beobachtungsliste", weswegen sie der Sache nachgehen müssten. Sie hatten das Buch dabei, berichtete der Student Pontbriand und Williams, aber übergaben es ihm nicht.

Das Heimatschutzministerium, so Pontbriand, überprüfe offensichtlich zumindest die Fernausleihe der Universitätsbibliotheken. Und offenbar sei dies auch ohne richterliche Anordnung geschehen. Williams, der für seine Forschung Kontakte mit Menschen aus Bosnien, Mazedonien, Tschetschenien oder Usbekistan pflegt, geht auch davon aus, dass seine Telefongespräche abgehört werden: "Mein Gefühl sagt mir, dass viel mehr gelauscht wird, als wir denken." Williams wollte eigentlich im nächsten Semester einen Kurs über Terrorismus anbieten, überlegt aber nun, ob er damit seine Studenten nicht Gefahren aussetzt, weil sie vom Heimatschutzministerium verdächtigt werden könnten: "Ich muss mit Schaudern daran denken, was die Regierung von all den Studenten halten wird, die ich al-Qauida-Websites habe beobachten lassen. Mao Tse-Tung hingegen ist völlig harmlos."

Update:

Paul Saffo hatte den Artikel aus Southcoast Today, wie er berichtet, einem Bekannten geschickt, der beim Heimatschutzministerium arbeitet. Seine Antwort ist nicht uninteressant:

"This is clearly intended to be a scare story. I'm sure, lots of information was left out - especially about his 'time abroad' and other associations. I assure you that DHS does not have 'agents' that investigate people who che ck out library books. This story, I'm sure, was intended as another bullet against renewal of the Patriot Act. If the 'Gorelick Wall' between intelligence and counter-terrorism is erected as before, then you can count the days before our country is attacked again. What people do not know is how successful we've been at neutralizing the bad guys - and the Patriot Act has played a significant role."