Umweltfreundlich basteln

Ab Juli 2006 muss bleifrei gelötet werden

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Bleifrei gelötete Elektronikbaugruppen sind ab Mitte 2006 für die meisten industriell gefertigten Geräte vorgeschrieben. Dem privaten Elektronikbastler kann dieses Gesetz, genannt RoHS, zwar egal sein. Doch was bedeutet es für ihn eigentlich, wenn es nur noch bleifreies Lötzinn gibt? Und wie kann er alte Geräte noch reparieren?

"Bleifrei" - da denkt man an den Autokraftstoff, der ja seit einigen Jahren nicht mehr verbleit ist und so die Umwelt nicht mehr mit dem giftigen Schwermetall belastet. Hier ist allerdings das Lötzinn gemeint, das üblicherweise die Bauelemente der Elektronik miteinander verbindet. Das enthielt bislang nämlich zu mehr als einem Drittel gar nicht Zinn, sondern Blei - nicht aus Kostengründen, sondern weil damit der Schmelzpunkt sinkt und so die empfindlichen Bauteile beim Löten nicht beschädigt werden:

Die klassische, in der Elektroniklötung seit Jahrzehnten verwendete eutektische Legierung aus 63% Zinn und 37% Blei schmilzt bei 183°C schlagartig wie Eis, was saubere Lötstellen bei niedrigeren Temperaturen als mit Zinn alleine ermöglich. Mit zusätzlichen 2% Silber sinkt der Schmelzpunkt sogar auf 179°C und der Preis steigt, doch ist weniger Flussmittel erforderlich, was bei SMD-Lötungen (surface mounted devices - direkt ohne Anschlussdrähte auf die Platine gelötete Bauteile) wichtig ist.

Bleifrei-Lötstraße in der Computerfertigung von Fujitsu-Siemens Augsburg (Bild: Fujitsu Siemens Augsburg)

Ab 1. Juli 2006 wird die europäische RoHS-Richtlinie ("Restriction of Hazardous Substances" - Einschränkung gefährlicher Substanzen) neben den Substanzen Quecksilber, Cadmium, sechswertiges Chrom, polybromierte Biphenyle (PBB) und polybromierte Diphenylether (PBDE) auch die Verwendung des giftigen Schwermetalls Blei in der Elektronik auf ein Minimum beschränken.

Dazu gehört die Anschaffung neuen, bleifreien Lötzinns und ein Umbau und Austausch der industriellen Lötanlagen, die mit den neuen bleifreien Lötzinnmischungen oft nicht harmonieren (manche heute üblichen Stahlwandungen der Lötbäder werden von den neuen Mischungen sogar angegriffen und aufgelöst!), aber auch der Austausch der zu verlötenden elektronischen Bauelemente, die dann natürlich auch "bleifrei verzinnt" sein müssen.

Die Bauelemente sind bislang nämlich ebenfalls mit bleihaltigen Zinn-Kontaktierungen versehen, da reine Zinnoberflächen etwas schlechter verlöten und zudem zu Zinnwucherungen ("Whiskers") führen, die Kurzschlüsse verursachen. Mehr als 0,1 Gewichtsprozent Blei sind in der Elektronik aber zukünftig nicht mehr zulässig - von Spezialfällen mit erhöhtem Umgebungstemperaturbereich in Militär-, Telekommunikations- oder Automobilelektronik zunächst einmal abgesehen - weshalb schon die bleihaltige Verzinnung der Anschlussdrähte von Bauelementen zuviel sein kann.

Selbst die Chips müssen "entbleit" werden

Die Halbleiterwerke, beispielsweise bei Philips, haben schon seit einigen Jahren die Bleifrei-Umstellung vorbereitet und bei einigen Baureihen bereits vollzogen. Bis Mitte 2005 - also ein Jahr vor dem endgültigen Aus - wollte man fertig sein, wobei die Umstellung von der jeweiligen Gehäusebauform bestimmt wird, nicht von der Art des verbauten Halbleiters. Das Jahr 2005 wurde dann in den Elektronikunternehmen verwendet, um die Restbestände an "Blei-Halbleitern" aufzubrauchen.

Ursprünglich war dabei geplant, neue "bleifreie" Baureihen der Bauelemente einzuführen, sodass der Kunde entscheiden kann, ab wann er "bleifrei" einkauft. Doch das erwies sich als unsinnig, wie Andrew Whittard, Global Process Improvement Manager bei Philips Semiconductors berichtet: An der Umstellung führt ja ohnehin kein Weg vorbei; dafür entstünde der Aufwand einer doppelten Logistik - für jedes Bauelement zwei Lagerplätze und zwei Bestellnummern.

"Da mittlerweile klar ist, dass das Verlöten bleifreier Bauteile in alten Anlagen und umgekehrt keine Probleme erzeugt und die meisten Kunden fließend umstellen wollen, werden wir für die Bauelemente keine neuen Teilenummern einführen", so Whittard. "Wer vorzeitig umstellen will, bekommt von uns natürlich schon jetzt explizit bleifreie Ware und bei Chips im BGA (Ball Grid Array)-Gehäuse wird es zwei Teilenummern geben, da hier alte und neue Prozesse inkompatibel sind. Doch sonst wird die Umstellung unbemerkt ablaufen." Ein "Bleifrei"-Aufkleber kennzeichnet allerdings zusätzlich die Verpackung "sauberer" Ware.

Da kaum eine Elektronikbaugruppe mit Bauelementen eines Herstellers auskommen dürfte, haben sich die Halbleiterhersteller Philips, ST Microelectronics, Infineon und Freescale zur "E4-Initiative" zusammengeschlossen, in der sie die Bleifrei-Umstellung koordinieren. Wichtig ist dies beispielsweise auch für die Unterhaltungselektronik von Philips, die zwar vorzugsweise, aber nicht ausschließlich konzerneigene Produkte verbauen kann: "Wir versuchen, mit unseren Produkten und Technologien einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der umweltpolitischen Ziele zu leisten", so begründet Rudy Provoost, CEO von Philips Consumer Electronics sein Bleifrei-Engagement. Und natürlich kann er so auch beim Käufer die besseren Argumente haben, solange Bleifrei noch nicht durchgehend vorgeschrieben ist.

Die Unterhaltungselektronik hat bereits früh umgestellt

Die Unterhaltungselektronik aus Japan hat "bleifrei" früh als ökologisches Kaufargument entdeckt und bereits umgestellt. Ebenfalls ein Vorreiter bei bleifreier Fertigung ist die Computerfertigung von Fujitsu-Siemens in Augsburg. Die Lötstraßen sind schon lange umgestellt, nur an den bleifreien Chips mangelte es bislang. "Die ,Grünen Rechner´ sind fest in unserer Unternehmensstrategie verankert und machen mittlerweile ein Viertel unseres Desktop-Umsatzes aus", so Peter Eßer, Executive Vice President Volume Products & Supply Operations bei Fujitsu Siemens Computers. "Der SCENIC C620 Green PC enthält erstmals das neue bleifreie Intel i915GV Chipset, wodurch sich der verbliebene Bleigehalt des Mainboards von 12 g auf ca. 1 g verringert." Erstaunlich, was so ein paar Chips doch bereits für einen Unterschied machen können.

Alle diese Themen betreffen den privaten Bastler zunächst nicht: Niemand kann ihm verbieten, weiter konventionelles bleihaltiges Lötzinn zu verwenden, solange er seine Geräte nur für den Eigenbedarf fertigt und nicht verkauft. Und dies ist unter Umständen durchaus sinnvoll, da die Probleme beim Handlöten mit der bisherigen Zinnmischung deutlich geringer sind. Viele Hobbyelektroniker haben ohnehin noch Zinnvorräte für die nächsten 20 Jahre im Keller liegen, weil die Ein-Kilo-Rolle einst so billig war und sie kaum noch Zeit fürs Hobby finden. Wer nur noch wenig "Blei-Zinn" hat, sollte sich allerdings durchaus überlegen, noch einen Vorrat anzuschaffen, denn ab Mitte 2006 wird es möglicherweise nicht mehr so leicht zu bekommen sein, auch wenn es für Reparaturwerkstätten weiterhin angefertigt wird.

Auch ältere elektronisch geregelte Lötstationen wie dieses Modell von Ersa sind für bleifreies Handlöten geeignet (Bild: W.D. Roth)

Zwar werden irgendwann auch alle Bauelemente und Platinen im Hobbybereich auf "bleifrei" umgestellt sein - und ein Mischen von bleihaltigen und bleifreien Materialien sollte man auf jeden Fall vermeiden. Doch gerade im Hobbybereich - ebenso wie in Reparaturwerkstätten - wird man auch ältere Geräte mit noch bleihaltigen Lötstellen umbauen, reparieren oder erweitern wollen und auch nicht alle teuren Ersatzteile, von Transistoren, ICs, Kondensatoren über spezielle Spulen und Quarzfilter einfach wegwerfen wollen, nur weil sie bleihaltig verzinnt wurden. Umweltschonend wäre dies ja auch ganz bestimmt nicht.

Problem: Alt und Neu verträgt sich nicht

Das Mischen bleihaltigen und bleifreien Lötzinns kann einerseits infolge des veränderten Eutektikums zum unkontrollierten Verschieben des Schmelzpunkts auch nach unten führen: Lötstellen, die bereits bei 150°C oder gar - bei Mischungen mit Blei und Wismut - unter 100°C schmelzen und somit bei üblichen Betriebstemperaturen beispielsweise in Netzteilen oder in der Nähe von Röhren bereits weich werden, sind die mögliche Folge. Andererseits führen solche unkontrollierten Materialmixe auch zur Verschiebung des Schmelzpunkts nach oben mit unzulässig hohen Löttemperaturen, Kristallbildung und kalten Lötstellen. Dies ist besonders problematisch, weil mit bleifreiem Lötzinn auch gelungene Lötstellen nicht mehr glatt und glänzend sind wie beim heutigen bleihaltigen Löten, sondern aussehen wie eine heutige sogenannte "kalte", also misslungene Lötstelle.

Wer sich und der Umwelt etwas Gutes tun will und allein aus diesem Grund möglichst schnell auf bleifreies Löten umstellen will, könnte dabei übrigens einem Irrtum unterliegen: Nicht nur ist ungeklärt, was mit dem bereits vorhandenen bleihaltigen Lötzinn geschehen soll - es zu entsorgen, würde die Umwelt deutlich mehr belasten, als es regulär aufzubrauchen. Doch auch das bleifreie Lötzinn ist keineswegs besonders gesund: Statt Blei enthält es neben dem Zinn noch Kupfer und Silber sowie mitunter noch Wismut. Silber macht es nicht nur teuer, es ist auch - obwohl es sich um ein Edelmetall handelt - beim Löten chemisch aggressiv und geht stärker in die Atemluft über, als es das an sich niedriger schmelzende, aber im Eutektikum chemisch stärker gebundene Blei tut. Wismut wiederum wird zusammen mit Blei gefördert, wodurch die Umweltbelastung erhalten bleibt und senkt die Schmelztemperatur auf nicht mehr praktikable Werte.

Eine weitere Problematik: die neuen bleifreien Lötzinne haben nicht denselben Schmelzpunkt wie das heutige Material; sie liegen stets einige Grad darüber, von der Wismut-Mischung abgesehen. Typisch sind 20 bis 30° höhere Schmelztemperaturen. Dr. Werner Kruppa, Leiter Forschung & Entwicklung des Lötzinnherstellers Stannol GmbH empfiehlt eine Temperaturerhöhung an der Lötspitze um ca. 20-30°C gegenüber den bisherigen bleihaltigen Prozessen. Außerdem ist auf einen guten Wärmeübergang zu achten.

Für ungeregelte Billig-Lötkolben ist dies kein Problem: Sie werden heiß genug, es dauert nur eventuell etwas länger, bis gelötet werden kann. Eher schon für die Bauelemente, die gerade beim ungeübten Bastler durch das Löten stark beansprucht werden - hier könnte die höhere Löttemperatur genau das entscheidende Quäntchen zuviel sein.

Nicht jedes alte Lötgerät kann "bleifrei"

Moderne, stufenlos temperaturgeregelte Lötkolben sind ebenfalls unproblematisch und haben genug Reserve, man muss den Stellknopf für die Temperatur nur etwas höher drehen. Es gibt jedoch auch Lötgeräte, deren Betriebstemperatur fix eingestellt ist; speziell die noch vor einigen Jahren recht verbreitete Magnastat-Technik von Weller hat hier Probleme, da sie die Temperatur der Lötkolbenspitze nicht elektronisch, sondern über den Verlust der Magnetisierbarkeit eines Schaltelements beim Erreichen der gewünschten Schalttemperatur regelt. Eine Temperaturanpassung ist hier nicht möglich; die Arbeitstemperatur ist dem Heizelement des Lötkolbens fest einkonstruiert.

Zudem sollte auch der Gelegenheitsbastler bei der Verwendung von bleifreiem Lötzinn über eine Abzuganlage für die von der Lötstelle ausgehenden Gase nachdenken. Die 30° mehr Löttemperatur verursachen nämlich auch eine verstärkte Gasentwicklung aus der Kolophoniumfüllung des Lötzinns - und dieser Qualm kann dadurch ebenso gefährlich und krebserregend werden wie Zigarettenrauch. Apropos: In Räumen, in denen gelötet wird, sollte weder geraucht, gegessen noch getrunken werden - auch nicht mit bleihaltigem Lötzinn. An den Händen haftende Blei- oder andere Metallspuren könnten sonst über die Lebensmittel oder Zigaretten in den menschlichen Organismus gelangen. Und auch die Zähne als "dritte Hand" zum Halten des Lötzinns sind tabu.