Der "weinende" Christus von Medjugorje

Ein kritischer Blick auf Blutwunder, Tränenwunder und Marienerscheinungen - Teil 3

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Blutende und weinende Statuen, Bilder und Ikonen sorgen Jahr für Jahr für Schlagzeilen. So etwa im Marienwallfahrtsort Medjugorje (Bosnien-Herzegowina), wo eine Skulptur des auferstandenen Christus Tränen abzusondern scheint. Bernd Harder, Medjugorje-Kenner und engagierter Skeptiker, schaute sich die Sache genauer an.

Medjugorje - je nach Route zwei bis vier Autostunden von der Adriaküste entfernt, mitten im Karstgebiet der Herzegowina, einige Kilometer südlich von Mostar - ist der aktuell vielleicht bedeutendste katholische Wallfahrtsort weltweit. Hier soll erstmals im Sommer 1981 die heilige Jungfrau Maria sechs Jugendlichen erschienen sein und ihnen "Botschaften" zu Themen wie Beten, Beichten und Fasten übermittelt haben. Das Besondere an Medjugorje: Im Unterschied zu Marienheiligtümern wie Lourdes (Frankreich) und Fatima (Portugal) dauern die Erscheinungen bis heute an. Drei der sechs Seherinnen und Seher wollen noch immer täglich mit der Gottesmutter in Kontakt stehen, die übrigen drei haben einmal im Jahr, zum immer selben Termin, dieses außergewöhnliche Privileg.

Der "Auferstandene Christus" in Medjugorje wurde zum Schauplatz eines Tränenwunders.

Innerkirchlich ist Medjugorje umstritten. Mit ihrer "Erklärung von Zadar" hat die jugoslawische Bischofskonferenz 1991 das kleine Dorf als "Ort des Gebetes und des Gottesdienstes" anerkannt - und damit de facto als Wallfahrtstätte, wenn auch nicht als "Erscheinungsort". Jährlich pilgern mehr als eine Millionen Menschen in die Franziskaner-Pfarrei mitten im bosnischen Bergland. Besonders an den Jahrestagen des Beginns der Erscheinungen, am 25. Juli, ist Medjugorje von Zehntausenden Gläubigen überlaufen.

Neben einer traditionellen dreizehn Kilometer langen Friedens-Prozession vom Kloster Humac nach Medjugorje und der Jahres-Botschaft der Seherin Ivanka Ivankovic ("Liebe Kinder! Betet für jene Familien, die die Liebe meines Sohnes nicht kennen gelernt haben. Empfangt meinen mütterlichen Segen.") ereignete sich diesmal etwas Außergewöhnliches: Kurz nach dem Ende der Feierlichkeiten, als die meisten Pilger schon wieder abgereist waren, wurde ich gegen 4 Uhr morgens von einem Bekannten geweckt, der die Nacht im Gebet auf dem so genannten Erscheinungsberg ("Podbrdo") verbracht hatte. Auf dem Rückweg zur Pension war er an der Dorfkirche St. Jakob im Ortszentrum vorbeigekommen und auf eine Menschenmenge aufmerksam geworden, die sich um eine Christus-Statue im weiteren Umfeld des Gotteshauses versammelt hatte.

Die fast sechs Meter große Bronze-Skulptur "Auferstandener Jesus" des slowenische Künstlers Andrej Ajdiæ befindet sich seit 1998 in Medjugorje. Und nun begann sie plötzlich zu "weinen". Genauer gesagt: Ein italienischer Pilger hatte bemerkt, dass aus einer Stelle am rechten Bein, knapp unterhalb des Knies, kleine Tropfen einer klaren Flüssigkeit sickerten - von einem "Weinen" konnte also nüchtern betrachtet keine Rede sein, zumal der Vorgang sich äußerst gemächlich abspielte und sich schätzungsweise nur jede Minute ein Tropfen bildete.

Tränen oder Regenwasser

Noch vor Morgengrauen fanden sich zwei Beamte der Dorfpolizei ein, die das Ganze interessiert, aber unaufgeregt verfolgten - und sogar bereitwillig mit einer Taschenlampe assistierten, als ich mich daran machte, einige der Tröpfchen zunächst in einem Glasgefäß und dann mit einem Taschentuch zu sammeln.

Die Gläubigen wischten mit den Fingern und Tüchern die angeblichen Tränen von der Statue ab.

Im Laufe der darauf folgenden Tage war der "Auferstandene Christus" beständig von Pilgern und Neugierigen umlagert, die mit den Fingern, Tüchern oder auch mit ihren Rosenkränzen die Tröpfchen von der Jesus-Statue wischten. Anzumerken ist indes, dass nur die wenigsten von ihnen die gewagte religiöse Deutung der älteren Dragica Stojiæ teilten: "Gott, ich weiß, dass dir Tränen fließen wegen unserer Sünden."

Der Pfarrer von Medjugorje, Pater Ivan Sesar, äußerte sich nur widerwillig und sehr zurückhaltend zu dem Phänomen vor seiner Kirchentür: Es sei zu früh, um "was für Erklärungen auch immer abzugeben, denn all dies wäre unnötiges voreiliges Handeln". Sesar sprach sich dafür aus, die Flüssigkeit analysieren zu lassen - "die Fachleute werden wohl das ihre sagen. Wir Franziskaner haben zu diesem Zeitpunkt keinen Standpunkt dazu."

Der "Vater" der Bronze-Skulptur, Andrej Ajdiæ, wurde von der kroatischen Tageszeitung "Veæernji list" mit dem vermeintlichen Wunder konfrontiert und reagierte anscheinend eher indigniert, denn der Reporter merkte am Ende seines Artikels an: "Er (Ajdiæ) war beleidigt durch unsere Nachfrage, ob er denn nicht im Inneren der Bronzestatue eine kleine Wasserpumpe eingebaut habe."

Zurecht - möchte man angesichts dieser journalistischen Gedankenakrobatik dem ehrenwerten Goldschmied Andrej Ajdiæ beispringen. Denn die Erklärung "Schwindel" ist in diesem Fall genauso abwegig wie die Annahme eines göttlichen Zeichens. Gerhard Hubmer, der bei dem Unternehmen VAI (Voest-Alpine Industrieanlagenbau) als Prozessmodell-Entwickler tätig ist, vermittelte mir nach meiner Rückkehr den Kontakt zu seinem Kollegen Dipl.-Ing. Dr. Dieter Paesold, Fachverantwortlicher im Bereich Forschung und Entwicklung bei der "voestalpine Stahl Linz".

Und der machte sich dankenswerter Weise sogleich ans Werk: Zwar ergab die Analyse des Küchentuches keine Hinweise auf die Herkunft der austretenden Flüssigkeit, da zu wenig Substanz darin vorlag und somit der Blindwert eine eindeutige Aussage nicht zuließ. Bei den grün-blauen und graubraunen Belägen um die Austrittsstelle am Knie der Statue herum aber handele es sich um Korrosionsprodukte der Metalle Bronze, Kupfer und Zinn - was darauf schließen lässt, dass die Flüssigkeit normales Regenwasser ist.

Hier berührt ein Medjugorje-Pilger die Christus-Statue mit einem Rosenkranz.

Ein Rätsel blieb dabei kurzzeitig bestehen: Die starken grauen Beläge könnten laut Analyse des Metallexperten "zusätzlich Wasserinhaltsstoffe wie Kalk, Gips, Magnesiumsulfat etc. enthalten, die schwerlöslich nach Verdunsten des Wassers ausfallen und aushärten. Allerdings ist es, falls es sich um Regenwasser handelt, schwer, das Vorhandensein von solchen Salzen der Alkali beziehungsweise Erdalkalimetalle (Ca, Mg) zu erklären." Eine Nachfrage beim Künstler Andrej Ajdiæ ergab jedoch, dass er die ganze Skulptur mit Beton ausgefüllt hat. Damit war "die umfassendste Erklärung, die allen mir bekannten Fakten am besten gerecht wird" (Paesold), gefunden.

Webtipps "Religiöse Wunder"

Religiöse Wunder und Zeichen üben auch im 21. Jahrhundert auf Gläubige wie Nicht-Gläubige Faszination aus. Manchmal erscheinen sie in alltäglichen Situationen wie beim Anschneiden einer Tomate oder Aubergine.

Sie verblassen jedoch neben spektakulären Ereignissen wie dem "Blutwunder des Heiligen Januarius", das zweimal jährlich in Neapel zu beobachten ist: In einer Glasflasche befindet sich angeblich das Blut des Heiligen, und während einer Zeremonie verflüssigt es sich auf unerklärliche Weise. Allerdings ist nicht geklärt, ob es sich bei dem Inhalt des Fläschchens überhaupt um menschliches Blut handelt.

Der Chemiker Luigi Garlaschelli hat sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Mischung von Chemikalien handelt, die Blut recht ähnlich sieht und thixotrope Eigenschaften aufweist, d.h. es verflüssigt sich bei mechanischer Beanspruchung. Einige von Garlaschellis Beiträgen in Fachzeitschriften sind im Volltext online verfügbar, ebenso wie Beiträge von Joe Nickell, der im Namen der US-Skeptiker-Organisation CSICOP paranormale Phänomene untersucht. Bei Interesse an einem hausgemachten Blutwunder helfen die italienischen Skeptiker mit einem Rezept aus.

Bernd Harder ist Pressesprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und Autor des Buchs "Medjugorje - Wallfahrt für Millionen" (Pattloch 2005). Der Text erschien in ähnlicher Form unter dem Titel "Blut und Tränen" in der Zeitschrift Skeptiker (3-2004). Bearbeitung: Inge Hüsgen und Klaus Schmeh