Der Geist in der Maschine

"Campus Management" und die Zukunft des Hochschulwesens

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den letzten Tagen mehren sich in der bundesweiten Presse Berichte über die Einführung des weitreichenden elektronischen „SAP Campus-Management-Systems“ an der Freien Universität Berlin. Auf die damit verbundenen Einschränkungen der akademischen Freiheit – etwa wenn es um die Wahl von Seminaren, Abgabetermine für Hausarbeiten und dergleichen mehr geht – reagieren Studierende, aber auch Teile der Lehrenden mit Protesten. Soweit, so typisch für die Einführung einer Organisationstechnologie; und wohl durchaus vergleichbar mit den Effekten von Managementsoftware auf die Arbeit in Krankenhäusern oder die Steuerung industrieller Prozessketten: Viele vorher vorhandenen informellen Freiheiten fallen weg, betriebswirtschaftlich gedachte Optimierungen werden technisch erzwungen. Steuerung wird als Kontrolle missverstanden, Transparenz als Überwachung.

Die FU Berlin wird voraussichtlich nicht die einzige Universität bleiben, die derartigen Ungemach erleiden wird. Ein wichtiger Punkt scheint mir in der Diskussion allerdings zu kurz zu kommen: der Geist, der in das Räderwerk der Maschine gerät, hat diesen vorerst letzten Schritt erst möglich gemacht.

Dass die Technik „Campus-Management-System“ jetzt mit verheerenden Folgen wirksam wird, hat etwas damit zu tun, dass in den letzten zwei Jahrzehnten ein grundlegender Kurswechsel in der Hochschulpolitik stattgefunden hat. Dieser grundlegende Kurswechsel – wer möchte, kann das Etikett „Ökonomisierung“ oder „Vermarktlichung“ draufkleben – ist nicht auf die Hochschulen beschränkt. Jetzt im Sinne einer Verschwörungstheorie mit dem Finger etwa auf das „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) der Bertelsmann-Stiftung zu zeigen, greift auch deswegen zu kurz.

Der grundlegende politische Kurswechsel, das Setzen auf den Markt und auf betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente, wird allerdings dort am deutlichsten sichtbar, wo unterschiedliche und klar voneinander unterscheidbare Systemlogiken aufeinander treffen. Dies gilt für die Hochschulen, die sich im Spannungsfeld zwischen der (prinzipiell) an Wahrheitssuche orientierten Systemlogik der Wissenschaft und staatlichen oder ökonomischen Verwertungslogiken stehen, dies gilt aber ebenso für Behörden, Krankenhäuser oder religiös-karitative Einrichtungen.

Meine These ist also, dass die Einführung eines Management-Systems für die Belegung und Benotung von Seminaren an einer Hochschule ebenso wie die betriebswirtschaftliche Optimierung der Abläufe in einem Pflegeheim oder in einer Behörde von zwei Bedingungen abhängt: der technischen Verfügbarkeit entsprechender Systeme, und der gesellschaftspolitischen Vorbereitung eines Kurswechsels, der das „Überschreiben“ der vorher vorherrschenden Logik erst ermöglicht.

Technische Verfügbarkeit von totalen Managementsystemen

In ausgereifter und quasi totaler Form verfügbar sind computergestützte Management-Systeme spätestens seit den 1980er Jahren. Denkbar wäre allerdings durchaus eine von ihren Effekten her vergleichbare Technologie, die auf von Hand zu erledigende Schreibarbeit, Karteikarten und bürokratische Überwachung basiert. Foucault lässt grüßen.

Computerbasierte Techniken zur Kontrolle und Steuerung betrieblicher Abläufe haben sich konzentrisch ausgebreitet: Die Mitte, auf die ihre Kreise sich beziehen, sind am Markt tätige Unternehmungen, die von jeher an betriebswirtschaftlichen Denkmustern ausgerichtet waren; im Kern: Buchhaltung und die Verwaltung von Waren, Personal und Produktion. Diese Denkmuster in Software zu gießen mag noch verhältnismäßig einfach gewesen sein. Auch bei der Einführung computergestützter Managementsysteme im engeren Kerngebiet dieser konzentrischen Kreise, im wirtschaftlichen Unternehmen, gab es allerdings durchaus Widerstände und Reibungen, wie Untersuchungen zur Durchsetzung von Computertechnologie in Betrieben aus den 1980er Jahren nachzeichnen.

Mit der Zeit hat sich das Interesse, entsprechende Managementsysteme zu verkaufen und einzusetzen, auf Kreise jenseits des Zentrums ausgedehnt: die ökonomischen Abteilungen der Verwaltungen, später dann auch die von ihren Eigenlogiken her ganz anders aufgestellten Teilbereiche, etwa die Krankenpflege oder die akademische Lehre. Die Passungsschwierigkeiten und die Sichtbarkeit der damit drohenden Verluste der Spielräume lokaler Praktiken sind in diesen Bereichen ungleich größer. Dementsprechend heftiger fallen die Debatten aus, dementsprechend stärker die Proteste. – Soweit zur technischen Verfügbarkeit.

Trotz großer Proteste, trotz der so durch die Vorgaben einer Software erzwungenen Veränderungen alltäglicher Praktiken war die Durchsetzung von betriebswirtschaftlich orientierter Managementsoftware auch in vielen „äußeren“ Handlungsfeldern bereits erfolgreich; insofern jedenfalls, als dort derartige Software zumindest nominell eingesetzt wird. Ein ganz anderes Thema wären die Umgehungsstrategien und sich neu einspielenden Praktiken, mit den enger gewordenen Spielräumen umzugehen, zu schummeln und so trotz totaler Kontrolle – auf Kosten möglicherweise eigener Zeit, auf eigenes Risiko – nicht der totalen Vermarktlichung anheimzufallen. Bleiben wir bei der nominellen Einführung, bei den durchaus spürbaren Wirkungen der Softwaretechnik.

Gesellschaftspolitische Einbettung und größerer Kontext

Die technische Verfügbarkeit mit ihren ganzen Marketinginstrumenten stellt die eine Voraussetzung dar; die andere ist die gesellschaftspolitische Vorbereitung oder Einbettung des Überschreibens der inhärenten Logik. Oder anders gesagt: gesellschaftliche Kämpfe, die zuerst einmal mit Softwaretechnik wenig zu tun haben. Wenn wir die Hochschulen betrachten, so wird auch hier eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz sichtbar, alle sozialen Zusammenhänge zuerst als ökonomische Zusammenhänge zu betrachten. Dieses Primat der Ökonomie, dass in den letzten Jahren allmählich und schrittweise die Oberhand in der hochschulpolitischen Debatte gewonnen hat, führt jetzt dazu, dass die Einführung von Campus-Managementsystemen denkbar wird, ja sogar unausweichlich erscheint, und dass die Proteste dagegen relativ verhalten verlaufen.

Es gäbe eine ganze Reihe von Entwicklungen, die sich alle in den größeren Kontext der Ökonomisierung der Hochschulen einordnen lassen. Das Feld reicht dabei von eher unsichtbaren Prozessen – wie etwa der zunehmenden Bedeutung von Drittmitteln für die Forschung, der leistungsbezogenen Mittelvergabe oder der Einführung betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente in den engeren Verwaltungsbereich der Hochschulen – bis zu den großen öffentlichen Debatten der letzten Jahre. Dazu zählt die Debatte um Elitehochschulen und den internationalen Standortwettbewerb. Näher eingegangen werden soll auf zwei weitere Großthemen, die die Ökonomisierung der Hochschulen deutlich machen: die Einführung von Studiengebühren und der „Bologna-Prozess“, also die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge.

Einführung von Studiengebühren

Die heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Einführung von Studiengebühren haben diese nicht verhindern können, aber zumindest sichtbar gemacht, dass es hier zu einer gravierenden Veränderung kommt. Von Befürwortern der Studiengebühren wird in dieser Debatte immer wieder die angebliche Steuerungswirkung herausgegriffen, die manchen sogar wichtiger ist als der – aus Sicht gut verdienender Politiker und Wirtschaftsfunktionärn – minimale finanzielle Beitrag. Diese Steuerungswirkung soll helfen, das Studier-Interesse mit den Instrumenten von Angebot und Nachfrage abzubilden und damit zugleich Qualitätskontrolle und Verteilung finanzieller Mittel sicherstellen.

Je nach Ansatz wird dabei auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert: Studierende ziehen Universität A der Technischen Hochschule B vor, in der Hochschule geht es um Fächer und Fachbereiche, bis hin zu einzelnen Veranstaltungen, die – angeblich aufgrund besserer Lehrqualität – anderen gegenüber präferiert werden. All diese Entscheidungen lassen sich ökonomisch modellieren, und mit finanziellen Beiträgen versehen, als Markt gestalten. Im Hintergrund steht dabei die Idee einer Orientierung des Studiums – und damit auch der Entscheidungen der Studierenden – an der mit dem Studienabschluss im Berufsleben erzielbaren Rendite. Das muss nicht für jede Studiengebührendebatte gelten. Die in Deutschland ist jedenfalls ganz klar am Denkschema von Angebot und Nachfrage, der Privatisierung öffentlicher Leistungen und der individuellen Bezahlung ausgerichtet. Die Studiengebühren-, Studienguthaben- und StudienCredit-Debatten berühren sich an zwei Punkten mit der technischen Umsetzung: Der Geist wird ökonomisiert und die zum Wirksamwerden des Marktmodells notwendige Erfassung und Verwaltung technisch ermöglicht.

Bologna-Prozess und die internationale Konkurrenzfähigkeit

Eine zweite – anfangs nur Insidern bekannte, mit dem Wirksamwerden der entsprechenden Beschlüsse jetzt öffentlich diskutierte Entwicklung – hat den Namen „Bologna-Prozess“. Vordergründig geht es um die Schaffung eines kompatiblen, einheitlichen europäischen Hochschulraums. Tatsächlich führt die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen und Europäischen Transferpunkten (ECTS) zu einem landläufig als „Verschulung“ bezeichneten Prozess: Inhalte in möglichst standardisierter Form werden in Module gepackt, diese Module werden insofern aufgewertet, als ihr Abschluss schon Teil des Gesamtabschlusses ist, Interdisziplinarität innerhalb des Studiums wird abgewertet (zugunsten einer potenziellen Interdisziplinarität nach dem ersten Abschluss), Lehrleistungen genauso wie Studierendenarbeit wird über die Währungseinheit ECTS verrechenbar gemacht, und die Studiengänge werden zeitlich gestrafft.

Auch hier wiederum kommt es zu einer doppelten Berührung: Unter dem Schlagwort der „internationalen Konkurrenzfähigkeit“ werden alle Studiengänge an einem nur für einige Fächer sinnvollen Modell ausgerichtet; die Vermittlung marktverwertbarer Kenntnisse wird wichtiger als Wissenschaftlichkeit. Gleichzeitig heißt Modularisierung und Verdichtung des Stundenplans: der Kontroll- und Verwaltungsaufwand erhöht sich, belegte Module und ECTS-Punkte müssen in einem weit höheren Maße erfasst werden, als dies beim klassischen Vorlesungs- und Seminarbetrieb mit Scheinvergabe der Fall war. Im Rückgriff auf die Arbeitswelt kommt es dabei zudem zu einer Subjektivierung der Kontrolle: nicht mehr extra dafür angestellte Personen kontrollieren, via Software wird es vielmehr möglich, sich selbst zu disziplinieren und in das Räderwerk des Managementsystems einzufügen.

Wider die Ökonomisierung der Hochschulen

Beide Entwicklungen führen zusammen mit den Debatten um Eliteuniversitäten, mit einer Umstellung auf Drittmittelforschung, damit, dass vergleichbare Software zur Buchhaltung oder zur Personalverwaltung schon länger in die Kernbereiche der Universitätsverwaltungen Einzug gehalten hat, oder dass zwischen Hochschulen öffentliche Mittel nach Leistung vergeben werden, jetzt dazu, dass die nun auch softwaretechnische – und damit relativ stark in alltägliche Praktiken eingreifende – Ökonomisierung des Hochschulwesens weitgehend hingenommen wird.

Es gab genügend Zeit, sich an die allmähliche Erwärmung zu gewöhnen. Schritt für Schritt kam es und kommt es zur Überschreibung der akademischen Eigenlogik. Vorerst bedroht sind jedenfalls Kernbereiche der akademischen Freiheit. Es lohnt sich, dagegen zu protestieren. Darauf zu hoffen, dass sich die entgangenen Spielräume schon irgendwo wiederfinden mögen, hat zwar in der Geschichte der Hochschulen vielfach funktioniert, kann diesmal aber riskant sein.

Übrigens: Es geht nicht nur um die aktuelle Situation der heutigen Lehrende, Forschenden und Studierenden. In einer vernetzten Gesellschaft sind die Folgen derartigen Handelns vielfältiger. Schon jetzt haben wir eine Studierendengeneration, die mehrheitlich eher an der Beschleunigung des Studiums und der zukünftigen Rendite als am Erwerb akademischen Wissens und ganzheitlicher Bildung interessiert sind. Hochschulen multiplizieren Denkhaltungen: Eine ökonomisierte Hochschule enttäuscht nicht nur diejenigen, die heute an Wissenschaft interessiert sind, sondern katalysiert auch die Ökonomisierung der Restgesellschaft. Auch deswegen gilt es, sich jetzt dagegen zu wenden.