Partykiller Handy?

Spontanität statt Genuss: die SMS-Generation feiert schwer berechenbar

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Neue wissenschaftliche Untersuchungen belegen, was so mancher Gastgeber auch schon alleine schmerzlich herausfinden musste: die mobile Kommunikation macht immer unverbindlicher und unberechenbarer, wo sich Cliquen treffen, um zu feiern.

Mobil und stets auf der Suche nach Action, das war immer schon das Motto sich vergnügender Kneipengänger. War hier nichts los, stieg man ins Auto und fuhr nach da, war da auch nichts los, fuhr man weiter nach dort und war dort auch nichts geboten, ging es wieder nach hier. Auf der Suche nach der ultimativen Action konnte der ganze Abend draufgehen, während andere sich einfach in ihre Stammkneipe setzten und abwarteten, was geschah. Unerwartet viel Action fand sich dann, wenn sich zwei Action-Sucher auf dem Weg in die nächste Kneipe auf einer Kuppe versehentlich auf derselben Fahrspur begegneten. Dummerweise war damit dann die Partyzeit auch schlagartig für die Betroffenen vorbei.

Etwa 1994 kamen dann die ersten Handys auf. Damit musste man nicht mehr zuhause am Telefon sitzen, um zu erfahren, was am Abend wohl angesagt sein würde. Stattdessen konnte man sehr wohl spazieren oder ins erste Café gehen und auch selbst Freunde oder Freundinnen dazu einladen (…"ich sitze gerade auf dem Monopterus, die Sonne geht bald unter, es ist fantastisch, möchtest Du herkommen?"…).

Die hohen Gebühren machten dies anfangs noch zu einem Luxusvergnügen, heute dagegen haben nur Säuglinge noch kein eigenes Handy. Ganze Abende werden "online", per Telefon und SMS geplant (Telekommunikativ überfordert?). Langeweile und peinliches, öders alleine Herumsitzen in der leeren Kneipe wird so zuverlässig vermieden, ebenso wie ständiges Herumfahren – denkt man zumindest. Klar wird alles etwas oberflächlicher, aber dafür trifft man dann auch zuverlässig die Leute an, die man wirklich sehen wollte.

Leute suchen Party – Party sucht Leute

Fatal ist dies allerdings für Privatpartys, wie sie gerade jetzt in der Zeit zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige Hochkonjunktur haben: ein Gastgeber schmückt die Wohnung, beschafft Essen und Getränke, organisiert Musik und Platz zum Tanzen und lädt viele Leute ein, in der Hoffnung, dass zumindest einige kommen und nicht schon anderweitig auf andere Partys verpflichtet sind.

Schon früher endeten diese Veranstaltungen meist damit, dass entweder zu wenig Leute kamen, diese vorzeitig oder umgekehrt viel zu spät wieder gingen, oder aber – weil jeder auch noch drei Freunden von der Party erzählt hatte – es kamen viel zu viele und selbst auf dem Boden war kaum noch ein Platz zum Sitzen zu finden.

Mit der Verbreitung der Mobiltelefone wurde das Feiern für den Gastgeber noch problematischer, weil sich nun ständig auch noch per Handy Gäste meldeten, die orientierungslos die Party oder zumindest verzweifelt einen Parkplatz suchten, sodass der Gastgeber ständig am Telefon hing und kaum dazu kam, die bereits anwesenden Gäste zu begrüßen und zu bewirten.

Hups, wo sind meine Gäste?

Mit der heutigen Kultur des ständigen gegenseitigen Austauschens, wo wohl am meisten los ist, wird das Partyverhalten jedoch noch chaotischer und es entstehen Flashmob-ähnliche Zustände (Ein bisschen Spaß muss sein): völlig unvoraussehbar verlassen plötzlich viele Gäste die eine Party, um eine andere, die angeblich besser ist oder wo zumindest die wichtigeren Leute sind, heimzusuchen. Und von Heimsuchen kann dann auch wirklich die Rede sein, wenn auf einmal 100 Leute in einer Zwei-Zimmer-Wohnung stehen, was in Großstädten sonst eigentlich nur vorkommt, wenn dieselbe gerade zur Vermietung ausgeschrieben ist.

Wissenschaftlich untersucht haben dieses für Gastgeber ziemlich frustrierende Phänomen in einer Abhandlung, die im International Journal of Modern Physics erscheinen soll, Steffen Trimper und Marian Brandau von der Fachgruppe Statistik der Martin-Luther-Universität Halle. Auch sie waren durch frustrierende Erfahrungen im Bekanntenkreis darauf gekommen, dieses Phänomen des ständigen Absprechens am Mobiltelefon zu untersuchen, von dem der Spiegel im Heft 12/2004 über die "Berliner Handynomaden" berichtet hatte, mit der Geschichte des unglückseligen Toby, dessen Party so gut gelungen war, dass über Handy hinzugerufene Freunde schließlich dazu führten, dass 120 Leute in der Wohnung standen und die Polizei dreimal vorbeischauen musste, obwohl eigentlich nur ein gemütliches Treffen im kleinen Kreis geplant gewesen war. Über die Ergebnisse hat der New Scientist vorab berichtet.

Als Molekularphysiker erinnerte Trimper dieses Verhalten an das schlagartige Schmelzen von Eis, wenn es zu Wasser wird. Sein Kollege Brandau versuchte dagegen, die Theorie sozialer Netzwerke anzuwenden, die Theorie der "kleinen Welt", in der jeder mit jedem über maximal sechs Kontakte verbunden ist. Zusätzlich hatte der Soziologe Duncan Watts mit seinem Team an der Columbia University in New York im Jahr 2002 festgestellt, dass sich diese Reaktionen sogar noch verschärfen können, weil sich Menschen mit ähnlichen Vorlieben auch bei großen Entfernungen deutlich stärker verbunden fühlen. Gerade dies kann unerwartete soziale Kettenreaktionen hervorrufen, bei denen auf einmal wesentlich mehr Leute auf eine Werbekampagne oder einer Veranstaltung reagieren, als erwartet wurde.

“In sein wollen“ löst Fluchtreflex aus

Was die Sache aber gerade für die kleinen, kuscheligen Partys so problematisch macht, ist das unvorhersehbare Gruppenverhalten von Menschen. Man trifft sich ja schließlich nicht mit jedem, man ist bei seinen Kontakten durchaus wählerisch. Sind die auf der einen Party, so wird man nicht auf einer anderen rumhängen wollen. Und genau dies löst den fatalen "Party-Flucht-Reflex" aus: man glaubt, auf einer öden, uncoolen Loserparty festzusitzen und rennt davon, bevor die Anwesenden überhaupt eine Chance haben, mit einem Kontakte zu knüpfen.

Die Abläufe praktisch durchgespielt haben die beiden Forscher in einem Computerprogramm, in dem sie 1000 Partygeher auf 10 virtuelle Partys verteilten, wobei sich alle diese simulierten Partygeher über Mobiltelefone untereinander absprechen konnten. Und sobald die virtuellen Partygäste mit einem ausreichenden Maß an Snobismus programmiert worden waren und nur noch mit ihren bewährten, angesagten Freunden zusammen sein wollten, eskalierte das Computerprogramm in null Komma nichts: plötzlich saßen alle 1000 Leute auf einer einzigen „In-Party“, während neun der virtuellen Gastgeber nur noch vor den zurückgelassenen ungegessenen Kanapees darüber grübeln konnten, womit sie das nun verdient hatten.

Nur im Funkloch tanzt der Bär ungestört

Wer seine Freunde wirklich gut kennt und weiß, dass sie auf seine Party kommen, weil sie wirklich mit und bei ihm feiern wollen, wird mit dem Party-Flucht-Effekt hoffentlich nicht konfrontiert. Wer allerdings meint, die In-Party des Jahres machen zu müssen, um dabei möglichst viele coole neue Leute kennen zu lernen, sollte nicht nur alle wertvollen Dinge vor der Party in Sicherheit bringen, sondern den Gästen mit den Jacken auch gleich die Mobiltelefone abnehmen – oder im Funkloch feiern, so wie seit Jahren ein aus Schaden klug gewordener Handyfanclub im Rheinland. Partykeller in Stahlbeton in bürgerinitiativengeschädigten Orten mit ausgewiesenen Funklöchern sind folglich als Standort für die nächste harmonische Fete ohne mobilfunkinduzierte Fluchtphänomene besonders anzuraten – wenn man die Gäste erst einmal erfolgreich da hin locken kann, versteht sich.