Verlorene Kriege und Kollateralschäden

Auf dem 22. Chaos Computer Congress wurde eine bedrückende Bilanz in Sachen Datenschutz und Überwachung gezogen

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Auf dem 22. Chaos Computer Congress in Berlin tummelt sich wieder die Computer-Nerds- und Hacker-Gemeinde. Der 1984 ins Leben gerufene Chaos Computer Club erfreut sich unter vornehmlich jungen und schwarz gekleideten Hackern ungebrochener Beliebtheit. Noch bis Freitag kann man sich auf vier parallelen Panels rund um die Uhr mit Neuigkeiten aus Wissenschaft, Technologie, Politik und Community versorgen oder sich im Hackcenter am neuesten Code erproben und sich mit Gleichgesinnten treffen. „Beim Hacken geht es um Freiheit und darum, die Technologie und die Welt zu verstehen“, rief am Dienstag Tim Pritlove der versammelten Gemeinde bei der Eröffnungsrede zu. Gleichwohl war gerade der erste Tag von kritischen Tönen gezeichnet und zog eine eher bedrückende Bilanz in Sachen Privacy und Überwachung.

„Private Investigations“ lautet das Motto des diesjährigen Kongresses, von dem sich über 3000 Datenreisende aus der ganzen Republik und dem angrenzenden Ausland angesprochen fühlten. In Scharen fielen sie in das renovierte Kuppelgebäude des Congress Centrum Berlin am Alexanderplatz ein, dessen utopische 70er-Jahre-Architektur an einen Science-Fiction-Film von Stanley Kubrick denken lässt.

Sonderlich fortschrittsversessen oder der Zukunft zugewandt will es auf dem Kongress allerdings nicht zugehen. Die Zeiten der fröhlichen Utopien und digitalen Heilsversprechen sind augenscheinlich vorbei. Themen wie „Biometrische Feldtests in Europa“, „Elektronische Gesundheitskarte und Gesundheitstelematik – 1984 reloaded“ oder „Die Technik im neuen ePass“ geben nunmehr den Ton an und halten einem vor Augen, dass die Gegenwart von der Zukunft längst eingeholt und vor Fakten gestellt worden ist, deren Konsequenzen sich allenfalls noch begrenzen lassen.

Schon die Keynote von Joichi Ito, umtriebiger Computerveteran und unter anderem Mitglied bei Creative Commons, betrachtete die viel beschworene offene Gesellschaft samt ihrer barrierefreien Netzwerke aus einer abgeklärten Perspektive. Wirtschaftsmonopole hätten den hart erkämpften freien Zugang zu den Wonnen des Informationszeitalters wieder reglementiert und wollen ihn sich bezahlen lassen. Die Macht von Wirtschaftsmonopolen im Informationszeitalter, so Ito mit Blick auf Microsoft und die üblichen Verdächtigen, sei dabei vollkommen unterschätzt worden: „Money is lonely and likes to go where other money is.“ Anhand von Profiling-Aktivitäten in den USA zeigte Ito auf, welche Gefahren für Demokratie und Privatsphäre von solchen Informationstechnologien ausgehen.

Auch auf politischer Ebene können viele der zivilgesellschaftlichen Schlachten, an denen sich nicht zuletzt der Chaos Computer Club beteiligt hat, als verloren gelten. Biometrische Pässe, elektronische Gesundheitskarten, Vorratsdatenspeicherung – die politischen Weichenstellungen und deren Umsetzung allein im letzten Jahr lesen sich beinahe wie ein Worst-Case-Szenario. Im Windschatten der Hysterie, die nach den Ereignissen am 11. September 2001 in New York geschürt worden ist, sind die Freiheitsrechte in vielen Ländern dem dabei entfachten Sicherheitsbedürfnis geopfert worden.

„We lost the war – Welcome to the world of tomorrow“, lautete der unmissverständliche Titel eines Vortrags von CCC-Urgestein Frank Rieger und dem niederländischen Aktivisten Rob Gonggrijp am ersten Abend. Der Vortrag schlug einen ausgesprochen defätistischen Grundton an und zeichnete das wenig freundliche Bild einer Welt, deren politische Systeme nur noch „Demokratie-Shows“ gleichen und deren Akteure vom Wind der Globalisierung von den Märkten geblasen werden. Prekärerweise steht dies in Zusammenhang mit einer Informationstechnologie, die einmal für mehr Demokratie, Partizipation und Freiheit Sorge tragen wollte. Stattdessen wird von ihr heute Rationalisierung, Überwachung und Kontrolle in großem Maßstab mitverantwortet.

Traditional democratic values have been eroded to the point where most people don’t care anymore. So the loss of rights our ancestors fought for not so long ago is at first happily accepted by a majority that can easily be scared into submission. “Terrorism” is the theme of the day, others will follow. And these “themes” can and will be used to mold the western society into something that has never been seen before: a democratically legitimated police state, ruled by an unaccountable elite with total surveillance, made efficient and largely unobtrusive by modern technology.

Frank Rieger

Und nun - was tun?

Das dystopische Szenario blieb auf dem Kongress nicht unwidersprochen. Die beiden Referenten selbst gaben Handlungsempfehlungen aus, die sich vor allem um Anonymität und Privacy drehten und von verschlüsselter Kommunikation, geschlossenen Nutzergruppen, dezentralisierter Infrastruktur bis zur sorgfältigen Wahl des eigenen Internet-Providers nach Privacy-Kriterien reichten. Andere sahen in einer Stärkung offener Netzwerke, alternativer Medien und gemeinfreier Inhalte einen geeigneten Weg.

Viele der Vorträge auf dem Kongress befassten sich darüber hinaus mit der Unzulänglichkeit von Überwachungstechnologien. So zeigte etwa die BioP-II-Studie, die sich mit der Einsatztauglichkeit von biometrischen Merkmalen (Finger, Gesicht und Iris) in Reisedokumenten befasste, eine extrem hohe Fehlerrate bei der Iris-Erkennung von älteren Leuten oder bei der Gesichtserkennung von Brillenträgern (97% mit dunkel-braunem Brillengestellt werden nicht identifiziert!).

Der niederländische IT-Journalist Benno de Winter zeigte die Absurdität der Vorratsdatenspeicherung, wie von der jüngst verabschiedeten EU-Richtlinie vorgesehen, auf: Zwar werden die Kommunikations- und Transaktionsdaten von Telefonie und Email-Verkehr gespeichert, doch andere, weit verbreitete Kommunikationsformen wie Instant Messaging, P2P, Bulletin Boards, VoIP und Bilder-Messages werden gar nicht berücksichtigt. Allein über den holländischen Provider XS4ALL flossen in diesem Jahr geschätzte 53.600.000.000.000 Datenpakete, die 46 Millionen CDs an Speicherplatz benötigen würden. Nur ein Teil davon fällt jedoch unter die Kontrolle des neuen Gesetzes. Gleichwohl sah auch de Winter die Notwendigkeit der Anonymisierung beim Surfen und empfahl beispielsweise die Email-Plattform www.epostmail.org, mit der anonymer Mail-Verkehr gewährleistet ist.

Als Erfolg in Sachen behördlicher Transparenz wertete der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss das am 1. Januar 2006 in Kraft tretende Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz kommt), dessen ebenso langwieriges wie turbulentes Entstehen er anschaulich schilderte. Jedem Bürger wird gestattet, Akteneinsicht in behördliche Vorgänge zu nehmen. (Gesetzestext). Manchen der Zuhörer wird der mit viel Verve gehaltene Vortrag allein schon wegen seiner positiven Botschaft gefallen haben, aber auch, weil Tauss gut vermitteln konnte, dass hartnäckiges Einmischen sich lohnt. Davon wollte auch Joi Ito nicht abrücken, als er die Hacker-Gemeinde aufrief, sich weiterhin in allen gesellschaftspolitischen Belangen einzumischen: „Voice is more important than votes“.