No purpose, no design

Woody Allen kommt in "Match Point" zu ganz und gar bitteren Erkenntnissen

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Es wollte schon allmählich langweilig werden. Das Licht ging aus, der Swing ertönte oder wahlweise auch etwas Klassik. Der Vorspann leuchtete weiß auf schwarz und danach war man in Manhattan, bei Anwälten mittleren Alters, Ärzten, Redakteuren oder Schriftstellern. Schöne Frauen oder kleinere Sinnkrisen sorgten für Unruhe, und der bebrillte Regisseur selbst glänzte mit Gefuchtel und One-Linern. Seit Jahrzehnten liefert Woody Allen pro Jahr einen Film, fast ausschließlich feine Boulevard-Komödien mit intellektuellem Wortschatz. Jetzt ist er Siebzig, dreht seine Filme plötzlich in England und blickt mit „Match Point“ recht finster in die Welt.

Das Licht geht aus, Caruso singt, der Vorspann leuchtet weiß auf schwarz und danach ist man in London bei einem jungen Iren aus bescheidenen Verhältnissen, weit weg also von Manhattan. Chris Wilton, ein ehemaliger Tennisprofi, nimmt Kontakt zur englischen Oberklasse auf, einer Schicht, die sich gehörig abzuschotten weiß. Er freundet sich mit den Geschwistern Tom und Chloe Hewett an und ist geschmeichelt von deren Interesse. Chloe verliebt sich in ihn, und Chris geht weniger aus Gegenliebe darauf ein, eher weil alles so gut läuft.

Echte Leidenschaft kann er indessen für Toms Freundin Nola entwickeln, die auch nicht dem Stand der Hewetts entspricht. Durch die Verbindung mit Chloe steht Chris eine glänzende Karriere in Aussicht, durch die Verbindung mit Nola ein Rückfall ins sparsame Kleinbürgerleben. Doch selbst als Nola schwanger wird, versucht er eine Entscheidung so lange wie möglich durch Lügen und Tricks hinauszuschieben. „Es ist ein Film über das Glück. Über die Widersprüche von Ehrgeiz und Leidenschaft.“ sagt der Regisseur, „Und über die Straflosigkeit.“

Eine ähnliche Geschichte war bereits 1989 in „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ zu erleben. Da lässt ein Arzt kaltblütig seine lästige Geliebte um die Ecke bringen und lebt den Rest seines Lebens glücklich weiter. Ein Ausnahmewerk in Allens im Grunde behaglichen Bildungsbürger-Kino. Im Jahr seines siebzigsten Geburtstags hätte man ihm eigentlich keine großen Neuerungen mehr zugetraut.

Doch „Match Point“ ist nun sein erster Film, der komplett außerhalb der USA gedreht wurde, zudem mit einer völlig ungewohnten Hauptfigur. Anknüpfend an seine früheren düsteren Gedanken hat er ein richtig bitteres Werk geschaffen, das mit Leichtigkeit beginnt, in die klassische Tragödie führt, dann aber Katharsis, Strafe oder Besserung verweigert. Allenfalls die Möglichkeit der Verdammnis wird angedeutet. Und das ist ja auch kein Trost.

Einmal wird kindischerweise Dostojewskis „Schuld und Sühne“ ins Bild gerückt. Da kommt Woody Allen, der Bildungshuber, wieder zum Vorschein. Oft hat er sich unzufrieden über seine Filme geäußert, es mithin mit bleischwerer Ernsthaftigkeit versucht, um seinem Vorbild Ingmar Bergmann nachzueifern.

Dass Humor kein Hindernis für ein tiefes Drama sein muss, scheint er aber nun verinnerlicht zu haben. So kitzelt er die Betrachter von „Match Point“ bisweilen noch mit witzigen Passagen, etwa dem Kommissar, der mitten in der Nacht aufschreckt, weil ihm die entscheidende Theorie ins Hirn schießt. Glückliche, fiese oder komische Wendungen bleiben jederzeit möglich, was den Film spannender macht als die meisten Possenspiele über New Yorker Neurosen.

Die Auswahl der Darsteller kommt der Perfidie sehr zu Gute. Die englischen Oberschichtler mit Brian Cox als Vater Hewett und der liebenswerten Emily Mortimer als Chloe sind leider fürchterlich nett. So wünscht man dem Sünder Chris (Jonathan Rhys-Meyers), dass er weder der Versuchung Nola (Immerhin Scarlett Johansson) widersteht, noch dass er den Hewetts Kummer macht, sondern mit deren Hilfe Karriere. Chris' Lage ist somit ausgesprochen daumenschräublich, eine genauestens ausgedachte Zwickmühle. Doch da es im Leben selbst, laut Allen, „no purpose, no design“ gibt, hilft der unglückseligen Nola weder Gott noch Hollwood-Mechanik. Nur das alte Rindvieh Glück liegt bis zum Schluss noch auf der Lauer.

Mit „Match Point“ hat Woody Allen auf seine alten Tage nochmal eine kleine Diskussion über die Existenz Gottes ausgelöst. Gotteshass, Nihilismus und Mangel an Moral wurde ihm wegen des Filmes vorgeworfen. Jahrzehntelang hatte er sich so beflissen mit religiösen Themen beschäftigt, eines seiner Theaterstücke sogar „God“ genannt und in „Hannah und ihre Schwestern“ zwischenzeitlich und völlig zu Recht die Marx Brothers als Sinn des Lebens entdeckt. Und jetzt, da er mit der These „Ist alles bloß Zufall“ endlich ein plausibles Ergebnis seiner Forschungen vorweisen kann, erntet er von religiöser Seite dumpfen Widerspruch.

Dann muss er eben noch mehr Filme drehen, gerne außerhalb Manhattans und gerne ohne Woody Allen als Hauptdarsteller. Dann geht wieder das Licht aus, Swing oder Klassik erklingt, die Titel leuchten weiß auf schwarz, und weiter geht die heitere Sinnsuche.