Schwierige deutsch-polnische Beziehungen

Warum das geplante Zentrum gegen Vertreibungen nicht in Berlin gebaut werden sollte

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Ohne Zweifel, in den Jahren seit 1989 war es schon mal besser bestellt um die deutsch-polnischen Beziehungen als heutzutage. Unvergessen sind noch die Bilder aus dem Jahre 1989, als die damaligen Regierungschefs Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki auf dem ehemaligen Gut der Moltkes im niederschlesischen Kreisau, dem heutigen Krzy?owa (der Ort wurde mit Bedacht gewählt, da sich dort in den Jahren des Nationalsozialismus der Widerstand um Helmuth James von Moltke im sogenannten Kreisauer Freundeskreis versammelte), einen gemeinsamen Gottesdienst feierten. Noch bis heute lobt man in Polen die Rede Roman Herzogs, die er in seiner Funktion als Bundespräsident im August 1994, bei den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstands, hielt.

Bilder der Flucht: Die "Frankfurter Illustrierte" publizierte 1954 Aufnahmen des Fotografen Hanns Tschira. Sie dokumentieren die Flucht der Bewohner des Dorfes Lübchen aus Schlesien. Foto: © Hans Tschira, Reprofotografie: © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Michael Jensch, Axel Thünker

Zum guten Ton in den beiderseitigen Beziehungen, gehört auch die Hervorhebung der Leistungen, um die sich der jeweilige Nachbar verdient gemacht hat. Auf deutscher Seite rühmt man bei jeder Gelegenheit den Freiheitswillen des polnischen Volkes, ohne den der real existierende Sozialismus niemals ins Schwanken geraten wäre und somit auch erst die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte. Auf polnischer Seite ist man den Deutschen bis heute für deren Fürsprache bei der Aufnahme Polens in die NATO und die EU dankbar. Am 22. Juni dieses Jahres versammelten sich in Darmstadt die Staatsoberhäupter der beiden Länder zum bisher letzten Mal, um mit Glanz und Gloria den 25. Geburtstag des von Karl Dedecius gegründeten Deutschen Polen-Instituts zu feiern.

Doch bei aller Harmonie, die Horst Köhler und Aleksander Kwa?niewski in Darmstadt boten, kann es selbst dem desinteressiertesten Beobachter nicht entgehen, dass die Misstöne zwischen den beiden Staaten seit einiger Zeit überwiegen. Die Liste derer ist lang: die enge deutsch-russische Freundschaft, vor allem die neue Gas-Pipeline, die direkt von Russland nach Deutschland durch die Ostsee führen soll, verursacht bei den Polen Misstrauen. Für viele Polen wirkt diese neue, enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland, wie ein historisches Déjà-vu. Nicht ohne Grund machte deshalb die polnische Rechte um Lech Kaczynski einen mit antideutschen Ressentiments gespickten Wahlkampf – mit Erfolg, wie die Parlaments-, und Präsidentschaftswahlen beweisen, was wiederum in Deutschland zu Unverständnis führte. Auch die militärische Unterstützung der USA durch Polen im Irak-Krieg (erstaunlicherweise durch eine postkommunistische Regierung), verursachte hier in vielen politischen und gesellschaftlichen Kreisen nur Kopfschütteln.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Antrittsbesuch in Polen mit dem polnischen Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz. Bild: Regierungonline/Bienert

Doch das allergrößte Problem in den deutsch-polnischen Beziehungen ist schon seit Jahren die Debatte um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen. Der Streit um den Standort für dieses Zentrum ist dabei fortgeschrittener als die Planungen zu realen Gründung dieser Forschungsstätte. Die Polen plädieren gegen Berlin als Standort, aus Sorge, auf deutschem Boden würde nur das Schicksal deutscher Flüchtlinge und Vertriebener im Vordergrund stehen; in Deutschland dagegen treten die Unionsparteien sowie der Bund der Vertriebenen für die Bundeshauptstadt als Heimat für das Zentrum ein. Eine verzwickte Lage, die zu vielen medialen Seitenhieben führte.

Mit Spannung erwartete man deshalb in Polen den Antrittsbesuch der ersten Bundeskanzlerin am 2. Dezember. Schon im Sommer dieses Jahres beobachteten unsere östlichen Nachbarn mit Neugier den Auftritt Angela Merkels beim Bund der Vertriebenen, deren Vorsitzende die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach ist (die polnische Zeitschrift Wprost, so etwas wie der Spiegel in Polen, hatte vor einigen Jahren auf seiner Titelseite eine Fotomontage, in der eine in SS-Uniform steckende, als Domina verkleidete Erika Steinbach, den damaligen Bundeskanzler Schröder peitschte). Dort sprach sich Merkel unter Beifall für Berlin als Standort für das Zentrum aus. Ein paar Monate später, während der Koalitionsverhandlungen, einigten sich Merkel, die Unionsparteien und die SPD, die gegen Berlin als Standort für das Zentrum gegen Vertreibungen ist, auf eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Wie diese Lösung aussehen soll, ist unklar. Während Merkels Besuches in Warschau vermieden jedenfalls sowohl die deutsche als auch die polnische Seite dieses Thema.

Wie es der Zufall so wollte, eröffnete ausgerechnet am 3. Dezember, nur einen Tag nach Merkels Antrittsbesuch in Warschau, das Bonner Haus der Geschichte, eine Ausstellung zum Thema Vertreibung. Unter dem Titel "Flucht, Vertreibung, Integration" versucht das HDG zwar einen europäischen Überblick über das Thema zu geben, doch im Vordergrund steht das Schicksal deutscher Flüchtlinge und Vertriebener. Kein Wunder, laut einer Studie ist jeder vierte Bundesbürger von dem Thema betroffen.

Das Haus der Geschichte arbeitet in seiner Ausstellung mit vielen Originalexponaten, Einzelschicksalen und Interviews mit noch lebenden Zeitzeugen. Doch das wissenschaftliche Fundament für diese Ausstellung lieferte die Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Historikern. Schon seit Jahren forschen die Historiker der beiden Länder gemeinsam an dem Thema Vertreibung, deren Ergebnis das 4-bändige Werk "Die Deutschen östlich der Oder und Neiße. 1945-1950" ist, welches sowohl in polnischer als auch in deutscher Sprache erschienen ist und heute als das ultimative Standardwerk zu dem Thema gilt.

Besonders polnische Historiker haben in den letzten Jahren intensiv an dem Thema gearbeitet. Der Grund dafür ist einfach: „Am Beispiel von Flucht und Vertreibung lässt sich zeigen, wie sich das stalinistische Regime in Polen etablieren konnte. Er hat eine Volksgruppe gegen eine andere ausgespielt.“, sagt W?odzimierz Borodziej, Mitherausgeber des oben erwähnten Werks und Autor zahlreicher, auch in Deutschland erschienener Bücher. Borodziej gehört zu einer Garde junger polnischer Historiker, die sich nach 1989 an das bis dahin tabuisierte Thema Vertreibung traute. Bis zum Niedergang des kommunistischen Regimes sprach man in Polen von den wieder gewonnenen, urpolnischen Gebieten und berief sich dabei auf die Grenzen des mittelalterlichen Polen der Piasten-Dynastie. Mit dieser Sprachregelung tabuisierte das Regime in Polen jedoch nicht nur die deutsche Vergangenheit Pommerns, Schlesiens und Ostpreußens, sondern auch die polnische Vergangenheit der Gebiete östlich des Bug, die nach 1945 an die Sowjetunion fielen und deren polnischen Bewohner in den Westen umgesiedelt wurden. Bezeichnenderweise nannte man diese Gruppe in Polen offiziell als Repatrianten, als Rückkehrer in die Heimat.

Nach 1989 begannen auch polnische Künstler und Schriftsteller sich für die deutsche Vergangenheit ihrer Heimat zu interessieren, und darüber zu arbeiten. So veröffentlichte 1995 der Danziger Schriftsteller Stefan Chwin den Roman "Hanemann" (die deutsche Übersetzung erschien 1997 unter dem Titel "Der Tod in Danzig"), in dem er sich mit der Vertreibung der Deutschen aus Danzig befasst, deren Heimatstadt nach 1945 zu seiner polnischen Heimatstadt Gdansk wurde. Auch für die in Niederschlesien lebende und in Deutschland bekannte Autorin Olga Tokarczuk, spielt die deutsche Vergangenheit ihrer Heimat eine Rolle, die sie auch immer wieder literarisch verarbeitet. So lässt sie in ihrer Erzählung "Peter Dieter" (2000 im Erzählband "Der Schrank" auf deutsch erschienen), den gleichnamigen, ehemaligen Flüchtling nach Niederschlesien zurückkehren und auf der Schneekoppe sterben, wo sich die polnischen und tschechischen Grenzer die Leiche gegenseitig heimlich zuschieben, um sich selber unnötige Formalitäten zu ersparen. Was sich auf den ersten Anblick makaber liest, ist im Grunde genommen eine wunderbare Metapher, in dem das Desinteresse der Polen und Tschechen für die deutsche Vergangenheit ihrer Heimat beklagt wird.

Gleichzeitig dürfte eine solche Metapher auch in Deutschland angewendet werden. Für die bundesdeutsche Literatur und Geschichtsforschung war das Thema Vertreibung aufgrund einer falsch verstandenen Political Correctness über lange Jahre hinweg ein Tabu. Erst durch den 2001 erschienen Roman von Günter Grass "Im Krebsgang" folgte im deutschen Kulturbetrieb eine Entdeckung des Themas. Seitdem ist die Zahl der Publikationen und Dokumentationen zu dem Thema fast schon inflationär.

Trotzdem ist eine größere Kenntnis der Deutschen zu dem Thema ausgeblieben. Bis heute erheben vor allem der Bund der Vertriebenen und die mysteriöse Preußische Treuhand ihre Stimme zu dem Thema, stellen Forderungen an die östlichen Nachbarn. Bedauerlich und mit einem erschreckenden Ergebnis, wie eine Umfrage von Allensbach im Auftrag des HDG in Polen und der Tschechischen Republik ergab. 61 % der Polen und 38 % der Tschechen halten es für wahrscheinlich, dass Deutschland eines Tages ehemals deutsche Gebiete und Besitztümer in Polen, bzw. Böhmen/Mähren zurückfordern wird.

Schon dieses Ergebnis zeigt, wie unsinnig und gefährlich die Diskussion um Berlin als Standort für das Zentrum gegen Vertreibungen ist. Vielmehr sollte man die Zusammenarbeit zwischen deutschen Historikern und ihren polnischen und tschechischen Kollegen fördern und sie vor allem auch in der Öffentlichkeit betonen. Nur so ist es möglich, auf beiden Seiten Ängste und Stereotypen im gemeinsamen Haus Europa abzubauen, und nur so kann auch ein zukünftiges Zentrum gegen Vertreibungen erfolgreich arbeiten, egal, wo es entstehen wird.