Entführung und Folter aus europäischer Sicht

In Großbritannien wird in zwei Fällen über die Verwendung von durch Folter erpresste Informationen diskutiert, Innenminister Schäuble sieht dies weiterhin als selbstverständlich an

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Innenminister Schäuble hat keine Probleme mit dem heiklen Thema. Er will weiterhin daran festhalten, dass für die Sicherheitsvorsorge Folter zumindest insoweit akzeptabel ist, als die mit dieser im Ausland erpressten Informationen unbedenklich benutzt werden sollen. Schäuble erklärte dies gegenüber der Bild-Zeitung im Zusammenhang mit der Sicherheitsvorsorge für die Fußballweltmeisterschaft. Bedenken sieht er "als etwas überzogen" an und fügt hinzu, "um es freundlich zu sagen".

Ob nach dieser Diskussion bald die nächste wieder einsetzen wird, ob man denn auch in Deutschland unter bestimmten Bedingungen ein wenig Foltern akzeptieren müsse, um eine Gefahr abzuwenden, bleibt abzuwarten, auch wenn es zu befürchten ist. Noch bleibt Schäuble bei der etwas weniger problematischen Bekundung, dass durch Folter gewonnene Informationen zur möglichen Gefahrenabwehr verwendet werden sollen, auch wenn damit möglicherweise gegen die Antifolter-Konvention verstoßen wird. Hier heißt es in Artikel 4:

Each State Party shall ensure that all acts of torture are offences under its criminal law. The same shall apply to an attempt to commit torture and to an act by any person which constitutes complicity or participation in torture.

Schäuble hatte schon nichts wirklich daran auszusetzen, dass selbst Gefangene in syrischen Gefängnissen von Deutschen verhört werden können (Alles in Ordnung?). Obgleich allgemein bekannt ist, dass hier gefoltert wird, meinte er, dass die BKA-Mitarbeiter nicht "von Verhaltensweisen profitiert" hätten, "die man als Folter bezeichnen könnte". Allerdings haben sie und die Verantwortlichen in der deutschen Regierung die etwa in Syrien praktizierte Folterung zumindest in Kauf genommen, um an Informationen heranzukommen, selbst wenn im Fall Sammar dieser tatsächlich niemals gefoltert worden wäre. Eine Androhung könnte hier schon reichen. Schäuble scheint aber an der Aufklärung in diesem und anderen Fällen ebenso wenig wie die anderen im Amt befindlichen oder ehemaligen Regierungsmitglieder interessiert zu sein (Die "rote Linie" nicht überschritten).

Die Antifolter-Konvention würde allerdings wohl zulassen, dass Informationen verwendet werden, die unter Folter erpresst wurden, auch wenn sie deren Zulassung als Beweismittel verbietet. Darüber hinaus verbietet die Konvention den Angehörigen von Mitgliedsländern die Teilnahme an Folter (complicity and participation). Offen bleibt dabei, was darunter genauer zu verstehen wäre, etwa nur die Anwesenheit bei einer Folterung oder auch die Befragung eines Gefangenen, der zuvor gefoltert wurde oder davon bedroht ist, irgendwann danach gefoltert zu werden? Schäuble scheint hier keinen größeren Reflexionsbedarf zu haben, sieht die Folter als gegeben an und meint daher auch pragmatisch, dass man nicht zu moralisch auf den Menschenrechten bestehen dürfe, weil man sonst keine Informationen erhalten würde, die man dann gerne auch von Folterregimen entgegennimmt, weil man ja auch nichts direkt damit zu tun hat. Juristisch ist das allerdings kein gutes Argument, politisch ebnet es die weitere Duldung und Anerkennung der Folter:

Wer glaubt, Deutschland könnte sich von Informationen abkoppeln, nimmt die Verantwortung für unsere Sicherheit nicht hinreichend wahr. Erkenntnisse anderer Nachrichtendienste sind für uns unverzichtbar. Wir werden auch in Zukunft jeden Hinweis nutzen, den wir bekommen können. Wenn wir für Informationen anderer Nachrichtendienste eine Garantie übernehmen müssen, dass sie unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien zustande gekommen sind, können wir den Betrieb einstellen.

Innenminister Schäuble

Folterinformationen aus Usbekistan

In Großbritannien bewegt man sich im Augenblick in einer ähnlichen Grauzone, bei er es ebenfalls wie in Deutschland darum geht, wann die rote Linie überschritten wird oder wie weit sie hinausgeschoben werden kann. In einem Fall hat Craig Murray, ein ehemaliger britische Botschafter in Usbekistan, nun im Internet Dokumente veröffentlicht, deren Veröffentlichung in einem Buch das britische Außenministerium verhindern wollte. Murray, der im Oktober 2004 vom Außenministerium von seinem Posten abgezogen wurde, hatte seit 2002 intern sein Ministerium kritisiert, dass die britische Regierung unter Folter in Usbekistan erpresste Informationen verwendet. Zudem hatte er davor gewarnt, dass solche Informationen nicht verlässlich seien.

We receive intelligence obtained under torture from the Uzbek intelligence services, via the US. We should stop. It is bad information anyway. Tortured dupes are forced to sign up to confessions showing what the Uzbek government wants the US and UK to believe, that they and we are fighting the same war against terror.

Craig Murray in einem Telegramm an das britische Außenministerium

Die Dokumente, die das Außenministerium nicht in Murrays Buch sehen wollte und wegen derer er entlassen wurde, betreffen die Diskussion zwischen ihm und dem Außenministerium. Es handelt sich um seine Telegramme, die er nach London geschickt hat, und um eine rechtliche Stellungnahme des Ministeriums, in der abgestritten wird, dass eine Verwertung von Informationen, die usbekische Staatsangestellte von Gefangenen in Usbekistan unter Folter erpresst haben, nicht gegen die Antifolter-Konvention verstößt. Murray war und ist der Meinung, dass dies gegen Artikel 4 – complicity in torture - verstoße:

There is nothing in the Convention to this effect. The nearest thing is article 15 which provides:

"Each State Party shall ensure that any statement which is established to have been made as a result of torture shall not be invoked as evidence in any proceedings, except against a person accused of torture as evidence that the statement was made."

This does not create any offence. I would expect that under UK law any statement established to have been made as a result of torture would not be admissible as evidence..:Gutachten des Rechtsberaters des britischen Außenministeriums

Und es gibt noch einen weiteren Fall, der ebenfalls die rechtliche "Grauzone" im Antiterrorkampf zum Thema hat. Dabei geht es um einen Vorfall, bei dem griechische Polizisten und britische Geheindienstmitarbeiter kurz nach den Anschlägen in London pakistanische Migranten angeblich illegal verschleppt und misshandelt haben sollen (Im Trüben Fischen).

Entführt oder verhaftet? Unklarheit über den Vorfall in Griechenland

Letzte Woche hatte die griechische Zeitung Proto Thema den Vorgang noch einmal in einem langen Artikel aufgegriffen und einen der drei britischen Geheimdienstmitarbeiter, die an den Verhören der zeitweise Inhaftierten beteiligt waren, namentlich genannt, was in Großbritannien für Aufsehen sorgte. Die griechische Staatsanwaltschaft hat nach einer Anzeige des Anwalts der Verhörten eine Ermittlung eingeleitet. Sowohl die griechische als auch die britische Regierung hatten zunächst versucht, den Vorfall möglichst unter Verschluss zu halten. Jetzt sagen selbst Mitglieder der pakistanischen Gemeinde in Athen, dass die Vorwürfe von den Medien übertrieben dargestellt worden seien.

Nach Mohamed Jamil, dem Präsidenten einer pakistanischen Kulturorganisation, seien die Aussagen der 28 von der Polizei festgenommenen Pakistanis falsch verstanden worden. Er führt dies auf eine schlechte Übersetzung zurück, über die sich auch die Betroffenen beklagt hätten. Jamil fordert, die Aussagen mit anderen Übersetzern zu wiederholen.

Am 15. Juli waren in Athen offenbar in Zusammenhang mit einem Telefonanruf aus Großbritannien, der in einem Zusammenhang mit den Anschlägen steht, sieben pakistanische Migranten festgenommen und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort verschleppt worden. Dort wurden sie mehrere Tage von griechischen Sicherheitskräften im Beisein von britischen Geheimdienstmitarbeitern verhört und dann wieder mit verbundenen Augen auf einer Straße freigelassen. Das scheint bislang unbestritten zu sein, in Zweifel steht allerdings, ob die Briten hinter der Inhaftierung stehen und ob die Gefangenen misshandelt oder gefoltert wurden, wie ursprünglich berichtet worden war. Wie es derzeit aussieht, sind zwar die Gefangenen bedroht und geschlagen, aber nicht gefoltert worden.

Die britische Regierung hat mittlerweile eingeräumt, dass drei britische MI5-Mitarbeiter bei den Verhören anwesend waren. Der britische Außenminister Straw hatte die Geschichte zuerst eine Lüge genannt. Nun zieht man sich darauf zurück, er habe damit nicht sagen wollen, dass keine britischen Geheimdienstmitarbeiter anwesend, sondern nur, dass sie nicht an der Entführung und Misshandlung beteiligt gewesen seien.

Wie der Observer nach Recherchen herausgefunden haben will, seien die Pakistanis nicht wirklich verschleppt, sondern von griechischen Sicherheitskräften wegen einer mutmaßlichen Verbindung zu den Londoner Attentätern verhaftet worden. Dabei seien ihnen die T-Shirts über den Kopf gezogen worden, man habe aber ihre Augen nicht verbunden und ihnen auch keine Kapuzen aufgesetzt. Bislang aber liegen keine Haftbefehle vor, die Festgenommenen scheinen auch keinem Richter vorgeführt worden zu sein. Auch die Art der Freilassung spricht nicht gerade für eine normale, nach den Regeln des Rechts ablaufende Verhaftung. Eine gegen grundlegende Gesetze des Rechtsstaats verstoßende Verschleppung sowie die Mitwirkung daran wäre freilich auch dann ein Vergehen, wenn niemand misshandelt wurde.

Genauere Einzelheiten über den ganzen Vorfall sind weiterhin unbekannt. Sir Menzies Campbell von den Liberalen fordert wegen der Schwere der Vorwürfe und den vielen Inkonsistenzen einen Untersuchungsausschuss zu dem Vorfall. Großbritannien sehe nicht gut aus, wenn der Vorfall in Griechenland von der Staatsanwaltschaft untersucht werde und die Briten nichts machen.