"Erster Krieg des 21. Jahrhunderts"

Die Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine ist mehr als ein Machtkampf zwischen der einstigen Supermacht und ihren Nachbarn

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Beruhigung gegenüber Mittel- und Westeuropa – Verhärtung der Fronten und neue Verhandlungen zwischen Russland auf der einen Seite und der Ukraine und Moldawien, so lauten die Schlagzeilen zwei Tage nach dem Ausbruch des verkürzt als russisch-ukrainischer Gaskrieg bezeichnete Konflikts (Russland sitzt am längeren Hebel). Die Klassifizierung dieser Auseinandersetzung ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Erstens ist eben nicht nur die Ukraine davon betroffen sondern auch das wesentlich kleinere Moldawien sowie Georgien. Beide sollen ebenfalls seit 1.Januar 2006 höhere Gaspreise bezahlen. Moldawien wurde nach dem demokratischen Machtantritt der kommunistischen Partei im Jahr 2001 zunähst als prorussisch bezeichnet. Doch der Konflikt um die abtrünnige Region Transnistrien, wo sich prorussische Eliten für unabhängig erklärt haben, führten zu einer wachsenden Distanz zu Russland und zu einer Hinwendung zum Westen. Somit könnte man auch Moldawien als einen Staat bezeichnen, der der Moskauer Zentralmacht zu aufmüpfig geworden ist und daher nun den Härten und Unbilden der Marktgesetze unterworfen wurde.

Update:

Gestern haben Russland und die Ukraine doch noch eine Einigung erreicht, wie Ria Novosti berichtet. Naftogas schloss mit Gasprom einen 5-Jahres-Vertrag und wird 230 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter zahlen. Aber nur falls das Gas in die Ukraine exportiert wird. Wenn die Ukraine das Gas jedoch an der Grenze von RosUkrEnergo kauft, dann wird es nur 95 US-Dollar kosten (bislang zahlte die Ukraine 50 US-Dollar). RosUkrEnergo, das Gas aus Turkmenistan in die Ukraine liefert, mischt, so Sergei Kupriyanov von Gasprom, das teure Gas aus Russland mit billigerem aus Zentralasien, um so den Preis von 95 US-Dollar erzielen zu können.

Die Transitgebühr für die Durchleitung nach Europa wird von 1,06 auf 1,6 Dollar für 1.000 Kubikmeter pro 100 km Pipeline auf ukrainischem Territorium angehoben. Die Transitgebühr ist mit dem Gaspreis nicht verbunden, für beides wird mit Geld bezahlt. Bislang hatte sich die Ukraine Gas für die Transitgebühr abgezweigt und angeblich auch sonst größere Mengen entnommen. Der Profit floss in die Taschen von Privatleuten, die teils einen großen Reichtum anhäuften. Vermutlich um die unkontrollierte Entnahme unattraktiv, wurde der Preis von Gasprom für den Export auf den Weltmarktpreis angehoben. (Florian Rötzer)

Doch den Konflikt nur als Machtkampf zwischen der russischen Zentralmacht und seinen abtrünnigen Nachbarn zu sehen, greift hier sicher zu kurz. Als erster Krieg des 21.Jahrhunderts wird der Konflikt in der französischen Tageszeitung Le Monde klassifiziert. Nach Ansicht der Verfasser wird hier ein Kampf um die knapper werdenden Ressourcen eingeleitet, der in den nächsten Jahren an Bedeutung zu nehmen werde und der auch die Machtkonstellationen auf dem Planeten neu austarieren dürfte.

Es könne sich eine neue Trennlinie herausbilden zwischen den Anbietern und den Verbrauchern von Ressourcen wie Öl und Gas. Erstere bekommen dadurch wieder eine größere Machtstellung. Das würde im Falle Russlands als Anbieter bedeuten, dass es durchaus in der Weltpolitik wieder eine stärkere Rolle spielen könnte, während der größte Teil Europas - mit Ausnahmen wie Norwegen- und auch China als Verbraucher von Energie in neue Abhängigkeiten geraten dürften, was ihren Einfluss massiv einschränken könnte.

Diese Sichtweise dürfte längst auch bei den europäischen Politikern und Experten Konsens sein. So bezeichnet der Sprecher für Energie und Technologie der Bündnisgrünen Hans-Josef Fell den Konflikt als Beginn europäischer Ressourcenkonflikte. Als Konsequenz schlägt Fell eine gemeinsame europäische Energiepolitik vor und übt sich gleich selber gleich im kalten Krieg: „Dies bedeutet in der Gasversorgung den großflächigen Ausbau von Biogaserzeugung, statt des Baus einer Ostseepipeline für klimaschädliches und politisch gefährliches Russenerdgas.“ Die Volte vom „gefährlichen Russengas“ könnte bald zu einem breiteren europäischen Konsens werden. Immerhin gab sich selbst Bodo Ramelow ganz antimonopolistisch gegen den Gasmonopolisten Gasprom.

Gefährliches Russengas

Der Streit um das russische Gas hat durchaus Vorläufer. Vor über 20 Jahren gab es eine heftige Auseinandersetzung über die Frage, ob die BRD langfristige Verträge mit der Sowjetunion zur Gasversorgung schließen sollte. Während damals die Friedensbewegung und ihr politisches Umfeld vehement dafür eintrat und diesen Schritt auch aus Ausbruch aus der US-Vorherrschaft apostrophierte, wandten sich konservative Kreise im Einklang mit den USA dagegen. Sie fürchteten eine Aufweichung des westlichen Blocks im Kalten Krieg und einen zunehmenden Einfluss der Sowjetunion.

Diese Fronten haben sich teilweise aufgelöst und sind einer neuen Unübersichtlichkeit gewichen. Eine Option ist der Versuch eines gemeinsamen Agierens gegen Russland, was eine stärkere Kooperation mit den osteuropäischen Staaten wie Polen und dem Baltikum einschließen und größere Konflikte mit Russland bedeuten könnte. Eine andere Herangehensweise ist ein stärkerer Schulterschluss mit Russland auch gegen den Willen vieler osteuropäischer Länder. Dafür stand der Ex-Bundeskanzler und jetzige Gasprom-Mitarbeiter Schröder bei seiner Entscheidung um den Verlauf der russischen Pipeline. Diese Position, sich nicht in den Konflikt einzumischen, hat zumindest in Deutschland viele Fürsprecher auch im grünen Milieu. So hieß es kürzlich in einem Kommentar in der taz unmissverständlich:

Für Deutschland erhöht die neue Ostsee-Gaspipeline aus Russland die Versorgungssicherheit, weil Querelen mit den Transitländern eine geringere Rolle spielen. Aus deutscher energiepolitischer Sicht ist der Bau richtig - und nationale Interessen verfolgen auch alle anderen Staaten. Sich im Preisfindungsstreit zwischen Kiew und Moskau funktionalisieren zu lassen, weil ein Lieferstopp auch für Erdgas nach Deutschland droht, ist weder wirtschaftlich noch politisch richtig. Die Mittel- und Osteuropäer müssen selbst einen Weg finden, sich mit ihrem mächtigen Lieferanten zu arrangieren.

AKW-Lobby wittert Morgenluft

Dahinter stecken bei grünennahen Gruppen sicherlich auch die Befürchtungen, dass im Gefolge der Debatte um das russische Gas die AKW-Befürworter wieder mehr Gehör finden könnten. Tatsächlich hat Bundeswirtschaftsminister Michael Glos den von vielen Umweltgruppen als zu moderat kritisierten rot-grünen Ausstiegsbeschluss in Frage gestellt. Er plädierte für eine langfristige Nutzung der Atomkraftwerke und wurde dafür vom sozialdemokratischen Koalitionspartner heftig kritisiert.

Die Union hat hier nur wieder einen Anlass gesucht hat, um ihre energiepolitische Differenz zum Koalitionspartner deutlich zu machen. Schließlich sprachen sich erst wenige Tage vor Jahresende einige Unionsministerpräsidenten gegen den Atomkompromiss aus. "Ich glaube, dass die Strompreisentwicklung in den nächsten Monaten und die Entwicklung auf dem europäischen Energiemarkt mit dem Bau weiterer Kernkraftwerke die Sozialdemokraten zum Nachdenken bewegen wird", erklärte der CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger Ende Dezember der Financial Times Deutschland.

Eine Debatte über das „gefährliche Russengas“ dürften solche Anliegen fördern. Wie lange die Sozialdemokraten den Atomausstieg dann noch als ihr "Erbgut" verteidigen werden, wenn eine solche Position Wählerstimmen kosten könnte, wird interessant zu beobachten sein.