Leben unter Hartz IV

Ein Jahr nach Beginn der Arbeitsreformen scheint der Protest gegen diese eingeschlafen zu sein

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Hartz IV – monatelang hatte dieser Begriff die Gemüter in der Republik erhitzt. Im Sommer und Herbst 2004 entzündete sich an der Reform des Arbeitslosengeldes eine kurze Protestbewegung. Als die Reform am ersten regulären Arbeitstag des Jahres 2005 in Kraft trat, waren zahlreiche in Arbeitsagenturen umbenannte Arbeitsämter in Polizeifestungen verwandelt worden. Denn die Aktivisten hatten an diesem Tag zur Aktion Agenturschluss aufgerufen. Doch es war eher ein Abschluss der Kampagne und nicht, wie von vielen Aktivisten erhofft, ein neuer Aufschwung der Proteste. Ein Jahr später gab es keine größeren Proteste mehr vor den Ämtern. Doch die Bewegung ist nicht verschwunden. Das zeigte sie auf einer gut besuchten Pressekonferenz, auf der man Bilanz zog und neue Proteste ankündigte.

Anne Allex vom Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen hatte nach einen Jahr Hartz IV nichts zurück zu nehmen von den Kritiken der Protestbewegung. Die Reform habe zu einer Verarmung großer Teile der Bevölkerung geführt. Diese hätten nun teils mit Hunger, Krankheit und Frieren in der eigenen Wohnung zu kämpfen. Eine Einschätzung, die sich auch immer wieder einmal in Pressemeldungen niederschlägt. So frieren Erwerbslose in ihren Wohnungen, weil sie die Heizungen herunterdrehen, um hohe Rechnungen zu vermeiden. Diese oft verstreut erscheinenden Berichte sind jetzt auch in einem pünktlich zum Hartz IV-Jubiläum erschienenen Buch Schwarzbuch Hartz IV gesammelt zu lesen. Dort kommen Erwerbslose und Klienten von Jobmaßnahmen zu Wort.

Teuer und wirkungslos

Schon vor dem Jubiläum erhielten die Hartz-Gegner Bestätigung von unerwarteter Seite. In einer dem Handelsblatt zugespielten Studie waren zuvor mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute zu dem Schluss gekommen, dass sich die Reformpakete Hartz I bis III als weitgehend wirkungslos erwiesen. Die noch von der alten Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Das Fazit ist für die Regierenden desaströs. Hartz IV kostet zwar viel, bleibt aber auf den beschäftigungspolitischen Sektor weitgehend wirkungslos. So heißt es über die Personal-Service-Agenturen, einem Kernstück der Hartzreformen: „Der Einsatz in einer PSA verlängert im Vergleich zur Kontrollgruppe die durchschnittliche Arbeitslosigkeit um fast einen Monat, gleichzeitig liegen die monatlichen Kosten weit über den ansonsten entstandenen Transferleistungen.“

Doch obwohl die Studie die Proteste bestätigen, könnte sie eher zu noch schärferen Einschnitten bei den Betroffenen führen. So fühlte sich gerade der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel durch die Studie in seiner Kritikb estätigt. Die FDP hatte an von ihr mitgetragenen Hartz-Reformen noch zu viele sozialstaatliche Elemente ausgemacht.

Das Ergebnis der Studie war den verantwortlichen Politikern schon bekannt, als der damalige Bundeswirtschaftsministers Clement den berüchtigten Missbrauchsreport veröffentlichte ("Beihilfe zum Missbrauch sozialer Leistungen"?). Die Betroffenen wurden zu Schuldigen erklärt. Während zuvor noch Journalisten einen Monat mit dem Budget eines Hartz-Empfängers zu leben versuchten, begleiteten sie jetzt Kontrolleure auf ihrer Jagd nach angeblichen Hartz IV-Mißbrauchern.

Gegen diese Maßnahmen gab es zwar viel Kritik von den Betroffenen. Aber ein Jahr Leben unter Hartz IV hat auch zur Abstumpfung geführt. Wer jeden Tag die günstigsten Angebote prüfen muss, um nicht hungern zu müssen, wer früher ins Bett geht, um Heizkosten und Strom zu sparen, und dann noch mit Kontrolleuren und behördlichen Telefonabfragen rechnen muss, weil ihm indirekt immer unterstellt wird, er sei ein Betrüger, hat oft gar keine Zeit für Proteste.

Hoffnung auf Protestmix

Selbst Menschen, die tagtäglich mit Problemen der Betroffenen konfrontiert sind, kommen gelegentlich ins Grübeln, warum die „neue Wut“ so schnell verraucht zu sein scheint. „Ich kann mir auch nicht so recht erklären, warum sich nicht mehr Widerstand entfaltet. Es ist dringend an der Zeit, dass auch die letzten Arbeitslosen die Realität begreifen und auf die Straße gehen“, meinte Harald Thomé, Gründungsmitglied der Wuppertaler Sozialberatung Tacheles. Doch die Aktivisten hoffen trotzdem auf neuen Widerstand. So zogen sie auf der Berliner Pressekonferenz nicht nur ein Resümee, sondern blickten auch in die Zukunft.

Der geplante Protestmix soll in der nächsten Zeit konkretisiert werden. Während Großdemonstration für Frühjahr geplant sind, wird auch an Widerstand gegen drohende Zwangsumzüge und die in einer rechtlichen Grauzone agierenden Kontrolleure von der Arbeitsagentur geplant.