Der Schatten des Charon

Astronomen bestimmen die Größe des Pluto-Begleiters auf wenige Kilometer genau

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Als Ende der achtziger Jahre erstmals Ideen für eine Raumsondenmission zum Pluto formuliert wurden, schien es noch darum zu gehen, den letzten Planeten zu besuchen, der noch nicht aus der Nähe erkundet worden war. Jetzt steht der Start der Sonde New Horizons zur fernen, eisigen Welt unmittelbar bevor. Und es mehren sich die Zweifel, ob sie in neun Jahren wirklich am letzten Planeten vorbei fliegen wird – oder nicht doch eher am nächsten Vertreter einer anderen Klasse von Himmelskörpern.

Hubble-Aufnahme von Pluto und seinem Mond Charon. Bild: Nasa

„Ich bezeichne New Horizons jetzt manchmal scherzhaft als die erste Mission zum nächst gelegenen Beispiel des letzten Planeten“, sagt deren wissenschaftlicher Leiter Alan Stern vom Southwest Research Institute in Boulder, Colorado. Denn inzwischen wissen die Astronomen, dass Pluto etwa sechs Milliarden Kilometer von uns entfernt nicht allein seine Bahn um die Sonne zieht. Vermutet hatten das der irische Astronom Kenneth Edgeworth und sein niederländisch-amerikanischer Kollege Gerard P. Kuiper bereits vor über 50 Jahren, als sie unabhängig voneinander über die Existenz einer riesigen Wolke kleinerer Himmelskörper jenseits der Neptunbahn spekulierten. 1992 wurde das erste Objekt dieser inzwischen „Edgeworth/Kuiper-Gürtel“ genannten Region nachgewiesen. Mittlerweile sind über tausend bekannt, darunter neun Doppelsysteme.

Im Juli des vergangenen Jahres meldete ein US-amerikanisches Forschungsteam sogar die Entdeckung eines Himmelskörpers, der größer ist als Pluto und etwa dreimal so weit von der Sonne entfernt. Teamleiter Mike Brown vom California Institute of Technology bezeichnete ihn stolz als „zehnten Planeten“, stieß damit aber nicht auf ungeteilte Zustimmung ("It's definitely bigger than Pluto ..."). Andere Astronomen plädieren umgekehrt dafür, stattdessen Pluto den Planetenstatus zu entziehen und ihn zukünftig als Edgeworth/Kuiper-Gürtel-Objekt zu führen.

Bislang unterschieden die Astronomen die vier inneren, erdähnlichen Planeten mit harter Kruste – Merkur, Venus, Erde, Mars – von den großen, im Wesentlichen aus Gas bestehenden – Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun – , die weiter draußen um die Sonne kreisen. Der noch weiter entfernte Pluto passte nicht so recht in die Klassifikation und galt als Ausnahme. Nun zeigt sich mehr und mehr, dass er im Gegenteil eher die Regel repräsentiert – und die übrigen acht Planeten die Ausnahme.

Von der Erde aus ist dieser im Durchschnitt knapp sechs Milliarden Kilometer entfernte Himmelskörper nur eingeschränkt zu beobachten. Selbst die stärksten Teleskope zeigen keine Oberflächendetails. Die meisten Erkenntnisse über Pluto und seinen erst 1978 entdeckten Begleiter Charon stammen aus der Beobachtung so genannter Sternokkultationen, bei denen das Licht eines Sterns vorübergehend von den Planeten verdeckt wird.

Im Jahr 1988 konnte bei einer solchen Okkultation die Existenz einer Atmosphäre auf Pluto nachgewiesen worden. Statt schlagartig zu verschwinden, wie es bei einem atmosphärelosen Himmelskörper zu erwarten wäre, veränderte sich das Licht des Sterns allmählich. Die genauere Analyse der Veränderung deutete auf einen hohen Stickstoffgehalt der Gashülle hin. Damit ist Pluto der vierte Himmelskörper im Sonnensystem, auf dem eine Stickstoffatmosphäre gefunden wurde. Die anderen drei sind der Neptunmond Triton, der Saturnmond Titan – und die Erde.

Auch für das Jahr 1980 war bereits eine Sternokkultation durch Pluto erwartet worden, doch europäische Observatorien stellten fest, dass der Schatten von Pluto die Erde knapp nördlich verfehlt hatte. Umso überraschender war damals die Meldung einer südafrikanischen Sternwarte, die zur erwarteten Zeit eine Okkultation beobachtet hatte. Tatsächlich handelte es sich um Charon, der das Licht des Sterns vorübergehend verdunkelt hatte. Da nur von diesem einen Observatorium Beobachtungsdaten vorlagen, waren die Ergebnisse mit erheblichen Unschärfen belastet. Lediglich eine untere Grenze für den Radius von Charon konnte festgelegt werden. Ob der Helligkeitsabfall auf eine Atmosphäre zurückzuführen war oder aber auf einen Messfehler, war ebenfalls nicht klar.

Darstellung der Sonde New Horizons, wenn sie Pluto begegnet. Bild: Nasa

Am 11. Juli des vergangenen Jahres gab es nun erneut eine Möglichkeit, Charons Passage vor einem Stern zu beobachten. Diesmal richteten zwei Forschergruppen von sieben verschiedenen Orten in Südamerika aus ihre Teleskope auf das seltene Ereignis aus. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature berichten sie von den Auswertungen der gewonnenen Daten. Die Übereinstimmungen sind bemerkenswert. So hat das Team um A. A. S. Gulbis vom Massachusetts Institute of Technology den Charon-Radius auf 606 Kilometer (+/- 8 km) bestimmt, das von Bruno Sicardy, Observatoire des Paris, geleitete Team kommt dagegen auf 603,6 Kilometer (+/- 1,4 km). Beide Gruppen entdeckten keine Hinweise auf eine nennenswerte Atmosphäre, die Obergrenze für atmosphärischen Druck beziffern sie übereinstimmend im Nanobar-Bereich.

David J. Tholen von der University of Hawaii verknüpft die Studien in einem Kommentar mit der Entdeckung von zwei kleinen Pluto-Monden, die Ende Oktober bekannt gegeben worden war. „Das wird die möglichen Mechanismen, durch die sich das System gebildet haben könnte, weiter eingrenzen“, schreibt er. Die neuen, genaueren Daten können zudem mit älteren Beobachtungsdaten neu verknüpft werden: In den achtziger Jahren kreisten Charon und Pluto so um einander, dass sie sich von der Erde aus gesehen mehrfach gegenseitig verdeckten. Die dabei auftretenden Helligkeitsschwankungen hatten die Astronomen genutzt, um Modelle beider Himmelskörper zu errechnen. Diese Modelle können nun neu interpretiert und verbessert werden.

Die Umlaufbahn des Pluto-Systems ist stark gegen die Ebene der Ekliptik geneigt, in der sich die übrigen Planeten größtenteils bewegen. Gegenwärtig bewegt sich Pluto auf diese Ebene zu. Tholen erwartet daher in Zukunft häufiger Okkultationsereignisse, da die Sterndichte im Hintergrund zunimmt. In etwa zehn Jahren könnte es daneben noch ganz besondere Möglichkeiten geben, Okkultationen zu beobachten: Wenn New Horizons das Pluto-System passiert hat, werden die Radiosignale der Sonde wie das Licht eines fernen Sterns von den Himmelskörpern modifiziert werden – für die Astronomen auf der Erde eine einzigartige Informationsquelle.