Rendezvous mit der Quote

Nach 42 Jahren will die ARD den Mord an John F. Kennedy aufgeklärt haben

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John Fitzgerald Kennedy beging gleich nach der Wahl zum 35. Präsidenten der USA im Jahr 1960 einen tödlichen Fehler. Obgleich die Mafia ihm durch Wahlbetrug zu einer hauchdünnen Mehrheit von gut 113.000 Stimmen verholfen hatte, erklärte er der organisierten Kriminalität unmittelbar nach der Wahl den Kampf an. Die Mafia-Bosse Santos Trafficante jr. und Carlos Marcello beschlossen daraufhin seinen Tod – und setzten diesen Plan am 22. November 1963 in die Tat um. Vielleicht war alles aber auch ganz anders.

Seit seiner Wahl 1960 hatte sich Kennedy entschieden gegen die Rassentrennung in den USA eingesetzt. Noch 1962 entsandte er Bundestruppen an die Universität von Mississippi, um den schwarzen Studenten James Meredith zu schützen, damit er sich immatrikulieren lassen konnte. Ein Jahr später gab der US-Bundesstaat als letzter die Rassentrennung im Bildungssystem auf. Aus Wut darüber haben Kennedy die weißen US-Rassisten ermordet.

Oder war es der verrückte Einzeltäter Lee Harvey Oswald? Ihm hatte während seines Aufenthaltes in der Sowjetunion der dortige Geheimdienst schließlich schon „emotionale und politische Verwirrung“ attestiert. Oder es war der militärisch-industrielle Komplex, der wegen Kennedys Gesprächsbereitschaft Moskau gegenüber um Einfluss und Profit fürchtete?

Wer bei so vielen Verschwörungstheorien nicht mehr durchblickt, dem kann geholfen werden, denn: Fidel Castro hat Kennedy ermorden lassen. So lautet die These des Politstreifens Rendezvous mit dem Tod: Kennedy und Castro, der am heutigen 6. Januar zu bester Sendezeit in der ARD gezeigt wird.

Aufgestellt hat die nicht mehr ganz so neue Theorie der Filmemacher Wilfried Huismann. Und wie alle Verschwörungstheoretiker verteidigt der gebürtige Bremer seine Version der Geschichte als die ultimative Wahrheit:

Dieser Film ist ein Schlag für alle Fans antiamerikanischer Verschwörungstheorien, die bei uns, aber auch in den USA selbst, sehr beliebt sind.

Wilfried Huismanns Urteil über seinen Film

Sicher ist auch Huismann in den Zwängen des Medienbetriebes gefangen. Er muss dick auftragen, um Gehör beim Publikum, Ruhm in der Branche und Geld beim Auftraggeber zu erhalten. Drei Jahre Recherchen sollen nicht umsonst sein. Umsonst sollen aber auch nicht die Investitionen sein. Stolze 850.000 Euro hat die Produktion gekostet, an der sich neben der Vertriebsgesellschaft „German United Distributors“, einem Unternehmen von BR, NDR, WDR und Studio Hamburg, auch der japanische Sender NHK beteiligt hat. So stapelt, und das enttäuscht in der Tat, auch der WDR nicht tief. Während der Film gerade einmal die These zu belegen versucht, dass Kontakte zwischen dem mutmaßlichen Attentäter Oswald und dem kubanischen Auslandsgeheimdienst G-2 bestanden haben, erklärt der öffentlich-rechtliche Sender bereits: „Kuba gab den Mordauftrag“. So werden Meldungen produziert.

Der Film: Viele Aussagen, wenig Fakten

Die Version Huismanns lautet so: Zwei Monate vor dem Mord an dem US-Präsidenten ist Lee Harvey Oswald überraschend für eine Woche nach Mexiko-Stadt gereist. Dort wurde er vom kubanischen G-2-Agenten „Carlos“ angeworben. 6.500 US-Dollar habe er dafür erhalten, Kennedy zu erschießen. Die Identität von „Carlos“ bleibt bis zum Ende unklar, ebenso wie die von „Antonio“, einem weiteren Schattenmann, dessen Aussage die Theorie des Films belegen soll.

Vor die Kamera tritt hingegen Oscar Marino, ein ehemaliger kubanischer Geheimdienst-Mitarbeiter. Laut Marino, der seinen Dienst vor 20 Jahren quittierte und nach Mexiko auswanderte, hat sich Oswald dem G-2 selbst angeboten. „Aus Hass“, wie Marino meint. In den Aussagen anonymer, indirekt zitierter oder im Ausland lebender Zeitzeugen erschöpft sich die Beweisführung leider. Für den Filmemacher führen die Angaben der Interviewten trotzdem eindeutig zu seiner Schlussfolgerung. Aussagen, die Huismanns These widersprechen, werden hingegen als unglaubwürdig abgetan. So dementiert sowohl der ehemalige kubanische Geheimdienstchef Fabián Escalante als auch die damals zuständige Mitarbeiterin der kubanischen Botschaft die These des Auftragsmordes. Huismann tut dies ab. Diese Involvierten, sagt er, hätten eben Angst, „dass ihre Aussage als `Verrat´ gedeutet werden könnte“.

Das Vorgehen ist für Verschwörungstheoretiker typisch: Aussagen, mit denen die eigene These gestützt wird, werden hervorgehoben, andere als nicht schlüssig abgetan. Oder schlichtweg nicht erwähnt. So erklärt Huismann:

Das erste Mal seit dem Abschluss-Bericht der Warren-Kommission 1964 werden neue, belegbare Fakten präsentiert.

Eine starke These, denn immerhin fanden nach der genannten Kommission insgesamt fünf weitere Ausschuss- und Kommissionsuntersuchungen statt, die, wie der Sonderausschuss des Repräsentantenhauses (1976-1979), zu Ergebnissen kamen, die der These Huismanns diametral entgegenstehen.

Die Gegenthesen

Die Frage nach dem Motiv wird von dem Dokumentarfilm schlicht auf politische Antipathie zwischen Castro und Kennedy beschränkt. Weil aus den USA seit der kubanischen Revolution 1959 immer wieder Terrorakte auf Kuba und Attentate gegen Fidel Castro persönlich verübt wurden, habe sich der Revolutionsführer für den Mord am Präsidenten entschieden. John F. Kennedy habe seinerseits zwar eine moderate Position eingenommen, sein Bruder Robert aber habe auf die Eskalation gedrängt. Spätestens damit sind alle Vorlagen für die Story zusammengebracht: Das Duell der Giganten, die Tragödie, der (indirekte) Brudermord – Stoff für großes Quotenfernsehen eben.

Das gesamte Konstrukt Huismanns hat aber allzu schnell auch Kritiker gefunden. Host Schäfer etwa, der elf Jahre als Journalist in den USA arbeitete und im Weißen Haus in Washington akkreditiert war. Er hat an Hand von Originaldokumenten der CIA, des Weißen Hauses, des US-Außenministeriums und der Untersuchungsausschüsse des US-Kongresses die aggressive Außenpolitik der USA gegenüber Kuba untersucht und in seinem Buch Im Fadenkreuz: Kuba dokumentiert. Ein Jahr nach der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht, schreibt Schäfer, sei das US-Außenministerium auf Annäherung zu Havanna gegangen.

Im März 1963 ist die in den USA bekannte Journalistin der Fernsehanstalt ABC und frühere Schauspielerin Lisa Howard in Kuba und interviewt Castro für eine Sondersendung über die Inselrepublik. Der kubanische Ministerpräsident spricht sich nachdrücklich dafür aus, eine gemeinsame Basis für die Annäherung beider Staaten zu finden.

Aus dem Buch „Im Fadenkreuz: Kuba“

Nachdem entsprechende Vermittlungen durch den CIA-Chef John McCone nach Kräften untergraben wurden, plädiert die ABC-Journalistin im Mai in einem Artikel der Zeitschrift War and Peace Report direkt für die Aufnahme von Verhandlungen zwischen beiden Staaten. Unter der Überschrift „Castros Ouvertüre“ fordert Howard, Washington solle doch „einen Regierungsvertreter in geheimer Mission nach Havanna schicken, um zu hören, was Castro zu sagen hat“. Der kubanische Ministerpräsident habe den starken Wunsch zu verhandeln und sei sogar zu Konzessionen bereit.

Diesen Artikel, fährt Schäfer fort, habe auch der Assistent des US-Vertreters bei den UN, Botschafter William Attwood, gelesen. Attwood kannte Castro aus dem Jahr 1959, als er ihn, noch als Journalist, interviewt hatte. Am 12. September 1963 trifft er sich mit Lisa Howard, informiert darüber seinen Vorgesetzten, den US-Botschafter bei der UNO Adlai Stevenson, sowie das Außenministerium und erhält bereits am 20. September die Genehmigung von Präsident Kennedy, mit dem kubanischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, Carlos Lechuga, Kontakt aufzunehmen. Auch Justizminister Robert Kennedy, laut Huismann ein fanatischer Castro-Hasser, befürwortet die Kontakte bei einem Gespräch vier Tage später und erörtert mit Attwood die Möglichkeit, Castro zum Beispiel in Mexiko zu treffen. „Die Dokumente, die die Gesprächsbereitschaft Kennedys beweisen, wurden erst 2003 – 40 Jahre nach der Ermordung des Präsidenten – veröffentlicht“, schreibt Schäfer. All dies belegt vor allem eines: Monate vor dem Mord in Dallas wusste die Regierung in Havanna von der Gesprächsbereitschaft in Washington. Ein Mord wäre völlig widersinnig gewesen.

Neben Indizien oder Beweisen, sagt Schäfer, fehle dem Film auch das Motiv Kubas. Mit keinem Wort würden zudem die späteren Mordanschläge auf Friedensnobelpreisträger Martin Luther King am 4. April 1968 in Memphis und auf Präsidentschaftsbewerber Robert Kennedy am 6. Juni in Los Angeles erwähnt. Dieser Kontext ist aber wichtig, denn:

In beiden Fällen sind Menschen betroffen, die eine Veränderung in der Innen- und Außenpolitik anstreben, insbesondere die Beendigung des Vietnamkrieges sowie auch eine Verständigungspolitik gegenüber Kuba.

Auch sei in beiden Fällen eine Täterschaft Kubas nie in Erwägung gezogen worden – „eine derartige Behauptung wäre einfach zu absurd gewesen“. Auf weitere Ungereimtheiten weist der Buchautor Lothar Buchholz hin. Huismann behaupte, Oswald habe sich wochenlang um einen Arbeitsplatz entlang der Fahrtstrecke von Kennedy bemüht.

Das hat er nicht und konnte es nicht. Denn die Route durch Dallas wurde erst eine Woche vor dem Attentat durch den Secret Service festgelegt.

Lothar Buchholz, Autor des Buches „Labyrinth der Wahrheiten - Todesschüsse auf Kennedy“

Der mediale Umgang

Während fehlende Beweise durch eine schmissige Aufmachung und Bewerbung durch den WDR und andere Beteiligte ersetzt werden, drängt die Frage nach dem Sinn. Diese ist vielleicht am ehesten in dem finanziellen Aufwand zu suchen. Die 850.000 Euro Produktionskosten müssen schließlich wieder eingespielt werden. In der Fachzeitschrift Digital Production erklärte Huismann während der Produktionsphase:

Wenn die ARD noch stärker als bisher merkt, dass wir in der Lage sind, große Dokumentarfilme herzustellen, die international vermarktbar sind, dann werden sie sehen, dass damit auch Geld zu verdienen ist.

Wilfried Huismann

Eine solche Erklärung ist erstaunlich ehrlich. Denn glaubwürdig war der Film als unabhängige Analyse zu keinem Zeitpunkt. Von dem Medienecho euphorisiert, erklärte sich Huismann in der Tageszeitung Die Welt zunächst zum Anhänger Kennedys („Ich habe John F. Kennedy immer sehr bewundert ...“), und dann zum Kritiker Kubas („Aber ich habe im Laufe der Zeit auf Kuba ... die dunkle Seite des Systems kennen gelernt.“).

Angehenden Journalisten gibt Huismann nach Auskunft der Universität Trier, an der er lehrt, einen praktischen Rat für den Einstieg in den Beruf: „Sie sollen einfach mal mit einer Idee zu den Polit-Magazinen gehen“. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass die Redaktionen für interessante Themen dankbar seien. Das ist ihm schon mit seinem Film „Verrat in Santiago“ über den 1973 ermordeten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gelungen. Dessen Rivale und späterer Diktator Augusto Pinochet sei eigentlich ein glühender Anhänger Allendes gewesen, heißt es in dem Film. Am Putsch habe er teilgenommen, um sich selbst zu schützen.

Mit solchen Thesen kann man es als Glück im Unglück bezeichnen, dass Wilfried Huismann nicht in den 50er Jahren in Deutschland gefilmt hat.