Blair will "antisoziales Verhalten" ausrotten

Mit einem groß angelegten und propagierten Plan von Hilfen und Strafen will die britische Regierung für mehr Respekt sorgen, in einem Modellprojekt dürfen die Menschen auch die Überwachungskameras ihrer Gemeinde beobachten

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In Großbritannien hat Regierungschef Tony Blair ein Programm vorgestellt, das "antisoziale Verhalten" vor allem bei Jugendlichen noch schärfer zu bekämpfen, um zu einer "modernen Kultur des Respekts" zu finden, wofür auch eine Website eingerichtet wurde. Ausgeweitet werden sollen dafür nach dem Respect Action Plan etwa die Handlungen, die sofort bestraft werden können, überdies sollen Familien, die ihre Nachbarn nachhaltig stören, bis zu drei Monaten aus ihren Wohnungen verbannt werden können. Und in einer Gemeinde wird auch – schließlich ist man in Großbritannien Pionier in Sachen Überwachungskameras – ausprobiert, den Bürgern Zugang zu den Überwachungskameras zu geben, um selbst auf die Jagd auf Rowdys und Bösewichter zu gehen.

Tony Blair macht zur Bekanntgabe seines Respekt-Planes auch einen Respekt-Besuch, bei dem er als Vorbild ein Graffiti wegspritzt – oder zumindest so tut

Schon seit 6 Jahren können Strafen (Anti-Social Behaviour Order - ASBO) für antisoziales Verhalten angeordnet werden, das breit angelegt ist und von Pöbeleien, Bedrohungen, Ruhestörung, Bildung von Gruppen, Anbringen von Graffitis oder Wegschmeißen von Abfall auf Straßen bis hin zum Betteln, Fluchen, rassistische oder beleidigende Äußerungen, Spucken oder übermäßigen Alkoholgenuss reichen können. Verhängt werden können Geldstrafen, Verhaltensabmachungen, Ausgangs- und Aufenthaltsverbote. Bei Nichtbeachtung droht Jugendlichen Erziehungshaft, auch die Eltern können bei Kindern zur Verantwortung gezogen werden (Prävention ist auch in der Verbrechensbekämpfung angesagt).

Im Kern diese (antisozialen) Verhaltens liegt ein Mangel an Respekt für die Werte, die fast jeder in diesem Land teilt: die Berücksichtigung der Anderen, die Anerkennung, dass wir alle Verantwortlichkeiten ebenso wie Rechte haben und uns anständig und gut verhalten sollen. Die Meisten von uns lernen den Respekt von unseren Eltern und unseren Familien. Später werden sie darin durch gute Schulen und durch andere Menschen gestärkt, die wir in unserer Umgebung kennen. Manchen jedoch lernen diese Werte nicht oder entscheiden sich dafür, sie nicht zu beachten. Wenn das geschieht, schwindet der Sinn dafür, was akzeptabel ist und was nicht.

Tony Blair

Jetzt wird die Bremse für das schlechte Verhalten, kann sich Blair durchsetzen, noch einmal weiter angezogen. Der Staat steht nach seiner Ansicht für das Verhalten seiner Bürger in der Pflicht, um die anständige Mehrheit zu schützen und ein ordentliches Gemeinwesen zu bewahren. Man habe mit den ASBOs und anderen Maßnahmen schon Fortschritte erzielt, meint Blair. Aber man müsse sich nun mehr auf die Ursache des antisozialen Verhaltens konzentrieren, die in den Familien, in den Schulen und Gemeinden liegen. Blair will nicht nur mit Strafen agieren, sondern es soll auch mehr Geld in Aktivitäten wie den Sport fließen, in denen gegenseitiger Respekt gelernt wird und positive Rollenmodelle vorhanden sind. Aber man wird die Eltern stärker zur Verantwortung ziehen, wenn ihre Kinder etwa die Schule schwänzen oder sich ungehörig im Klassenzimmer aufführen. Schulen müssen auffällige Kinder melden. Die von den Schulen wegen antisozialen Verhaltens ausgeschlossenen Kinder sollen dann extra betreut werden, während den die Eltern "Parenting Orders" erhalten.

Respect is a way of describing the very possibility of life in a community. It is about the consideration that others are due. It is about the duty I have to respect the rights that you hold dear. And vice-versa. It is about our reciprocal belonging to a society, the covenant that we have with one another. More grandly, it is the answer to the most fundamental question of all in politics which is: how do we live together? From the theorists of the Roman state to its fullest expression in Hobbes's Leviathan, the central question of political theory was just this: how do we ensure order? And what are the respective roles of individuals, communities and the state?

Tony Blair

Es soll Programme für problematische Familien geben, die aber zu ihrem Glück auch mit Entzug von Geldern gezwungen werden können. Bürger sollen die Möglichkeiten mit "Face-the-Public"-Versammlungen erhalten, die Behörden dazu zu bringen, schärfer gegen bestimmte Missstände in Gemeinden vorzugehen. Das ist ein Bestandteil des "Neighbourhood Policing", das sehr stark an das amerikanische Vorbild der "Neighbourhood Watch" erinnert, allerdings aber eher nach innen auf Verhaltensdisziplinierung gerichtet ist. Verstärkt wird es durch mehr Nachbarschaftspolizisten (Police Community Support Officers).

Aber natürlich wird auch auf Strafe gesetzt. Für viele respektlosen Handlungen sollen schnell Verwarnungen mit einer Strafgebühr von 120 bis 150 Euro ausgesprochen werden können, auch für unter 16-Jährige. Bei leichten Vergehen sollen die Täter durch soziale Arbeit diese wieder gut machen können. Bislang konnten nur Gebäude geschlossen werden, in denen neben schwerer Belästigung für die Anwohner auch Drogen im Spiel waren. Nun sollen alle Gebäude und Wohnungen bis zu drei Monaten gesperrt werden können, wenn hier andauernde Belästigungen geschehen, oder, wie sich Blair ausdrückt: "Properties from hell will be 'shut and sealed'."

Dass das alles natürlich auch mehr Überwachung bedeutet, macht nicht zuletzt ein Modellversuch in Shoreditch, einem Stadtteil von London, klar. Hier wird ein Kabelfernsehkanal eingerichtet, der eine breitbandige Internetverbindung, ein digitales Fernsehprogramm und zahlreiche andere Dienste für eine wöchentliche Gebühr von 5 Euro anbietet. Eines der Hauptangebote ist der Zugang zu den lokalen 400 (!) Überwachungskameras. Ab März wird die vom Staat geförderte Shoreditch Digital Bridge für 1000 Bewohner von zwei Straßen zum Testen geöffnet. Am Ende sollen 20.000 Haushalte angeschlossen sein.

Mit dem "Community Safety Channel" soll das Viertel zu einem sicheren Ort werden, weil die überwachenden Augen sich vermehren und jeder heimlich in seinem Zimmer jeden ausspäht, der sich draußen aufhält, wo man sich sowieso nur im Lichtkegel der Kameras bewegen kann. Beobachtet jemand auf dem Bildschirm ein antisoziales Verhalten oder gar ein Verbrechen, dann kann er dies gleich der Polizei melden. Und überdies sollen die neuen Freizeitüberwacher auch verdächtige Personen mit Bildern einer "rogue gallery", also einer Schurkenliste, vergleichen können.