Der Mann, der Merkel die Ideen gibt

Christoph Heusgen ist der außenpolitische Berater der Kanzlerin und steht für einen stärkeren Schulterschluß mit den Bush-Kriegern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hinter einer starken Frau steht immer ein Mann, könnte man in Umkehrung eines Bonmots sagen. Auch Kanzlerin Angela Merkel braucht Fachmänner, die ihr bei der strategischen Planung helfen oder bei schnellen Entscheidungen soufflieren: Welche Akzente setzt frau beim Tete-a-Tete im Weißen Haus? Wie agiert das offizielle Deutschland in der Iran-Krise oder beim Erdgas-Streit zwischen Moskau und Kiew? Wie bringt man die EU-Kuh vom Eis, das nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden ziemlich dünn geworden ist?

Für alle diese Fragen hat sich die Bundeskanzlerin einen Experten gesucht, der – zumindest für ihre Ziele – ein Höchstmaß an Qualifikation mitbringt: das CDU-Mitglied Christoph Heusgen. Im Kanzleramt, wo es für alle Politikerfelder der Bundesministerien jeweils eine zusätzliche eigene Abteilung gibt, ist er für die Außenpolitik zuständig. Genauso wenig wie Gerhard Schröder als Bundeskanzler die internationalen Beziehungen allein dem zuständigen Minister – und politischen Rivalen – Joschka Fischer überlassen wollte und mit Hilfe seines Beraters Bernd Mützelburg immer wieder eigene Akzente setzte, will Merkel dieses Feld an Fischers Nachfolger Frank-Walter Steinmeier (Der neue starke Sozi) und dessen Staatssekretär Reinhard Silberberg, beides gestandene Sozialdemokraten, überantworten. Dabei soll Heusgen helfen.

Augenblicklich konzentriert sich die öffentliche Kritik auf den Außenminister. Er war 1998-1999 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragter für die Nachrichtendienste und ab 1999 Chef des Bundeskanzleramtes. In seiner Funktion hatte Steinmeier sicher Kenntnis über den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad während des Irak-Krieges und müßte auch über die sogenannte Folterflüge der CIA auf dem Laufenden gewesen sein. Doch bei aller diesbezüglichen Aufregung sollte nicht übersehen werden, dass Steinmeier auch ein Architekt des Schröderschen Schulterschlusses mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem französischen Amtskollegen Jacques Chirac war – die sogenannte Achse Paris-Berlin-Moskau. Im Unterschied zur Kanzlerin, die einen Besuch im Kreml bisher nicht für nötig befunden hat, versicherte Steinmeier bei einem Antrittsbesuch in Moskau weiter sein Interesse an einer "strategischen Partnerschaft" mit Rußland.

An diesem Punkt unterscheidet sich Heusgen. Er ist zwar nicht ganz so verbissen pro-amerikanisch wie Friedbert Pflüger, den Merkel ursprünglich für das Amt vorgesehen hatte. Aber mit seinem diplomatischen Geschick wird er vermutlich eher und schneller eine Kursänderung erreichen, die Berlin von Moskau entfernt und wieder Washington annähert, als der oft ungalante Pflüger. Zu den Dingen, die er "gerne anders machen würde", wie er mit Understatement formuliert, gehört jedenfalls ein Mehr an Engagement für die kleineren und kleinen Mitgliedsstaaten der EU, insbesondere für die "baltischen Tiger" Estland, Lettland und Litauen, die sich allesamt durch eine mehr oder weniger schroffe Diskriminierung ihrer russischen Minderheiten auszeichnen und sich gegen das "Alte Europa" mit der von Bush geführten Koalition verbündeten.

Statt der Abstimmung mit dem Kreml will Heusgen eine Wiederbelebung des "Weimarer Dreiecks" Paris-Berlin-Warschau – wohl wissend, dass für Warschau die Torpedierung der von Putin und Schröder vereinbarten Ostseepipeline ganz oben auf der Agenda steht. Mit Paris scheint das Ganze auch nicht abgesprochen. Zu bedenken geben sollte schließlich seine Positionierung zum nahöstlichen Brandherd: "Für ihn war es ein Fehler, daß Schröder sich 2002 im Wahlkampf von vornherein gegen jede Beteiligung Deutschlands an einer bewaffneten Intervention festlegte", wußte die FAZ am 18. November 2005. Dieser schlimme Fehler wird sich bei einem US-Angriff auf den Iran also nicht wiederholen.

Von 1993 bis 1997 arbeitete Heusgen im Büro von Außenminister Klaus Kinkel – also in jener Zeit, als der FDP-Mann zu den schärfsten Fürsprechern einer Bundeswehr-Intervention auf dem Balkan zählte (bekannt sein Bonmot, die Serben müßten "in die Knie gezwungen" werden) und die Beteiligung der deutschen Luftwaffe an Kampfeinsätzen in Bosnien-Herzegowina durchsetzte. Von 1999 bis zu seinem aktuellen Wechsel nach Berlin war Heusgen dann Büroleiter von Javier Solana, den "Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der EU. Seine Bedeutung in dieser Funktion war nicht zu unterschätzen: Er lieferte die Konzepte, die Solana dann öffentlichkeitswirksam vertrat.

Unter ihrer beider Federführung entwickelte sich die EU zu einer Interventionsstreitmacht. Heusgen selbst rechnet die EU-Militäreinsätze in Mazedonien (2001), in Kongo/Ituri (2003), die Übernahme der Besatzungsaufgaben von der SFOR durch eine EUFOR in Bosnien (2004) sowie die Einmischung in die Krisen in der Ukraine (2004) und in Moldawien/Transnistrien (noch andauernd) zu seinen Erfolgen. Um nur beim Beispiel Mazedonien zu bleiben: Auf Druck von Solana/Heusgen musste die Regierung in Skopje im August 2001 einem Waffelstillstand mit den albanischen Aufständischen zustimmen, die das Land mit einem mehrmonatigen Bürgerkrieg überzogen hatten. Das sogenannte Ohrid-Abkommen wurde von einer NATO-geführten Besatzungsmacht mit Bundeswehrbeteiligung garantiert, die ohne UN-Mandat in das Land entsandt wurde. Es sah vor, dass die aufständischen UCK-Terroristen entwaffnet – und ohne weitere Strafverfahren als Minister in die neue Regierung aufgenommen wurden. (http://www.juergen-elsaesser.de/de/artikel/template_artikel.php?nr=112) Die "Zeit" bilanzierte Mitte November 2005: "Auch an seiner Analyse liegt es, daß die EU heute Polizisten auf den Balkan, Soldaten in den Kongo und militärische Beobachter nach Indonesien schickt. Elf Missionen laufen derzeit unter europäischer Flagge, auf vier Kontinenten. Und Heusgen will noch mehr. Schon in der kommenden Woche sollen 50 Polizisten in Rafah den kleinen Grenzverkehr zwischen Israel und den ehemals besetzten Gebieten überwachen."

Als Leiter von Solanas "Strategieplanungs- und Frühwarneinheit", in der Amtsumgangssprache auch als Politischer Stab bezeichnet, war Heusgen außerdem der Kopf der 2003 vom Europäischen Rat verabschiedeten EU-Sicherheitsdoktrin. Seinem geschickten Händchen ist es zuzuschreiben, dass darin nicht von "preemptive", sondern von "preventive" Interventionen die Rede ist – damit die Nähe zur aktuellen US-Strategie nicht allzusehr auffällt. In diesem Leitliniendokument findet sich ansonsten alles, was zur militärischen Weiterentwicklung der EU für notwendig erachtet wurde, unter anderem – so Heusgen im O-Ton – "die Gründung eines Militärstabs und eines –komitees, der Aufbau eines guten Verhältnisses zur NATO, ... und der Abschluß des Berlin-Plus-Abkommens, das die militärische Zusammenarbeit der EU und der NATO regelt", sowie die Einrichtung einer europäischen Rüstungsagentur, "die dazu beitragen soll, die Kapazitäten besser zu bündeln".

In diesem Rahmen war ebenfalls vorgesehen, das Amt eines EU-Außenministers (und damit kaum noch kontrollierbare Vollmachten für Javier Solana) sowie ein integriertes EU-Oberkommando zu schaffen. Dieser Vorstoß liegt mit dem Sieg des Nein bei den EU-Referenden in unseren Nachbarländern erst mal auf Eis. Für Heusgen ist das allerdings kein Grund zum Verzagen: Er will die außenpolitischen Vorgaben der abgelehnten EU-Verfassung über "prozedurale Einzelschritte" durchsetzen, etwa indem die EU-Ratspräsidentschaft Solana entsprechende Vollmachten per ordre de mufti überträgt. Motto: Wo ein politischer Wille ist, findet sich auch ein juristischer Weg.

Die schnelle Eingreiftruppe der EU übt derweil schon mal, wie zuletzt Ende November im Rahmen der Stabsrahmenübung Milex 2005. "Das Szenarium auf der fiktiven Insel Atlantia – gut dreitausend Kilometer von Brüssel entfernt, so beschreibt die EU bisher ihren militärischen Aktionsradius – wird in militärischen Kreisen der Union schon seit Jahren benutzt. Die Namen klingen künstlich, die beschriebene Lage ist es kaum. Diesmal ... hat man das Geschehen bis zu einem Punkt real durchgespielt, an dem ein Einsatz vom zuständigen Brüsseler Gremium, dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), tatsächlich hätte beschlossen werden können", berichtete die FAZ am 22.12.2005 (siehe auch Die Nato soll Pipelines und Energieressourcen sichern).

Heusgen wird in seinem neuen Amt diese Planungen vorantreiben helfen.

Vom Autor erschien zuletzt: "Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan".