Das Blut des Terrors und die Milch der Fiktion

"If these guys live, Israelis die" - Steven Spielbergs "Munich" macht mit Action Politik

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Am 5. September 1972, als ein PLO-Kommando der Gruppe "Schwarzer September" die "heiteren Spiele" der Olympiade von München beendete, beginnt Steven Spielbergs neuer Film. Doch "Munich" ist kein Film über das Olympiaattentat. Der größte Teil erzählt die fiktive Geschichte von fünf Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad, die nach dem Massaker den Auftrag erhalten, die palästinensischen Hintermänner des Anschlags zu töten.

Spielbergs Frage ist weniger, ob Demokratien Terroristen aus Rache töten dürfen. Vielmehr geht es darum, welche Folgen die Vergeltung hat, und wie man mit ihnen umgehen kann - das moralische Dilemma steht im Zentrum, nicht die Antwort darauf. Herausgekommen ist ein höchst ambivalentes Stück Kino, in seinem Realitätsgehalt gering, politisch wie moralisch fragwürdig, aber jedenfalls spannend anzusehen und unbedingt sehenswert. Wieder einmal gerät allerdings hinter der politisch-moralischen Debatte die Ästhetik des Films, der Film als Film in den Hintergrund.

Seit Wochen schon tobt die Debatte. Anfangs schien alles einfach: Während sich die Mehrheit über "prächtige Bildern, Hitchcock-würdige Spannungsbögen, lebensechte Dialoge" freute, hätten allenfalls ein paar unverbesserliche Konservative und bekannte Miesmacher etwas gegen Steven Spielbergs neuen Film "Munich" einzuwenden. Mancherorts wurden gar allein "konservative jüdische Kreise und einige offizielle Vertreter Israels", die "jüdisch geprägte Ostküste" halt, als Kritiker ausgemacht - und vielleicht ist es wirklich übersensibel, hier gleich antisemitische Untertöne zu vermuten -, die Filmkritiker, hieß es hingegen, als ob das allein schon was zu sagen hätte, lobten den Film als "fachlich herausragenden Thriller" - kurzum: "Ein Sturm im Wasserglas."

Werbung, Schweigen im Vorfeld und unglückliche Formulierungen

Doch so einfach, wie es manche gern hätten, liegen die Dinge nicht. Jetzt, wenn "Munich" vier Wochen nach der US-Premiere endlich auch in Deutschland startet, ist klar, dass das Feld der Diskussion um diesen Film komplexer und facettenreicher geworden ist. Das Dümmste an den deutschen Berichten über die Debatte um Spielbergs Film, die während der letzten Wochen die Januar-Feuilletons der Magazin und großen Tageszeitungen füllten, war, dass kaum einer der Autoren und überhaupt keiner der Leser den Film gesehen hatte.

Nur ein paar Chefredakteuren und Herausgebern, sämtlich keine Filmkenner, hatte der deutsche Verleih UIP das Werk schon vor Weihnachten gezeigt, Filmexperten kamen nur auf nachdrücklichen Wunsch der Chefredaktionen in einzelnen Fällen mit ins Kino - eine neue Form der Werbekampagne, mit der man beim Verleih die in den USA bereits laufende Debatte für sich instrumentalisieren, und die Entscheider in den Chefetagen der Medien für die politischen Aspekte des Films gewinnen wollte, damit diese dann das Thema ins Blatt drücken. Offensichtlich ist das Konzept aufgegangen: zum ersten Mal seit "Titanic" ziert ein Filmthema diese Woche wieder das Titelblatt des "Spiegel".

In den Hintergrund geraten ist bei alldem der Film selbst. Heute kann man ihn kaum noch voreingenommen ansehen, man wird hinter jedem Dialogsatz, hinter jeder Einstellung auch nach der politisch-weltanschaulichen Position Spielbergs suchen, nach der Haltung des Films zu den Fragen, die er vermeintlich verhandelt. Zu dieser Situation, die genauso genommen einem Regisseur kaum recht sein kann, hat Spielberg selbst freilich sehr viel beigetragen. Da ist das Schweigen im Vorfeld, die auch Hollywood-Maßstäbe sprengende Geheimnistuerei in Bezug auf das Projekt, da ist der abgeschottete Set, da ist die Weigerung Interviews zum Thema zu geben, da ist dann das Exklusivinterview im "Time"-Magazine, das schon eine Reaktion auf die in Gang befindliche Debatte bildete, da ist die Verpflichtung des aggressiven PR-Profis Eyal Arad, einst Scharon-Berater, der angeblich treibende Kraft daran war, einige entscheidende Filmszenen nachzudrehen, da ist schließlich die unglückliche Formulierung des Regisseurs, der Film sei sein "Prayer for Peace", die Spielberg selbst zwar inzwischen bestreitet, die sich aber längst in den Köpfen festgesetzt hat.

Schließlich ist da auch die Rolle des Drehbuchautors Tony Kushner. Dieser ist bekannt dafür, in besonders geschmacklosen und fragwürdigen Formulierungen dem Staat Israel sein Existenzrecht zu bestreiten - womit er sich nur noch in Nuancen vom iranischen Präsidenten Ahmadineschad unterscheidet. All dies und die sich darum entspinnende Debatte verstellen den Blick auf den Film selbst und seine Ästhetik. Der Film als Film gerät in den Hintergrund.

Der Terror von München: eine Erfolgsgeschichte

Aber was ist es, was man sieht? Bevor man überhaupt einen Menschen sieht, oder irgendetwas anderes, sieht man viele Buchstaben. Aus ihnen formen sich Städte, und eine dieser Städtenamen tritt hervor: "Munich". Ein Einzelfall des Allgemeinen, eine Dramatisierung, auch eine Metapher für einen historischen Augenblick, der die Weltgeschichte beeinflusst hat. Der Terror von München war neu, die Täter waren keine Selbstmordattentäter, sie fühlten sich als Soldaten, und gingen davon aus, mit ihren Geiseln lebend in ihre Heimat zu fliegen. Obwohl es anders kam, war der Terror von München auch extrem erfolgreich, das Attentat vom Olympiadorf war der Beginn einer Welle von Anschlägen, die die 70er Jahre prägten. Diese Folge-Ereignisse und das Wissen um sie sind im Hintergrund dieses Films immer präsent. "München 1972" war kein Einzelfall.

"Inspired by real events" behauptet ein Insert, und dann sieht man endlich Menschen. Junge Männer, es ist Nacht, sie gehen in Gruppen, schleichen um olympische Dorf, und weil man weiß, was gezeigt werden soll, schaut man einfach zu. Und dann ist man doch überrascht: Noch eine Gruppe, offensichtlich amerikanische Sportler, sie versuchen auch spätnachts noch in ihr Quartier zu kommen, sprechen die anderen an, erhalten keine Antwort und verständigen sich dann per Zeichen mit ihnen, sich beim Einsteigen gegenseitig zu helfen. Blöde Amis denkt man, und zugleich: ist das wahr, oder ist das eine Legende? Wo setzt sie ein, die Fiktion? Es dauert, bis man versteht, dass dieser ganze Film von Anfang an fiktiv ist, "inspired by real events", kein Dokudrama.

Jetzt ist die Gruppe drin, Musik setzt ein, die irgendwie orientalisch ist, und nicht wirklich gut passt, und dann geht es schon los, der Sturm auf das Quartier der Israelis. Das ist schnell geschnitten, virtuos inszeniert, auf grobkörnigem Film aufgenommen, der ein bisschen altmodisch anmutet, fast so wie die Fernsehaufnahmen von damals. Blut spritzt, viel Blut, es wird gestochen und gehakt, auch mal geschossen, dann beschleunigt sich die Chronologie: Der Mann mit dem weißen Hut, die Fernsehbilder aus aller Welt, Genscher, Familien am TV, die Hubschrauber, Journalisten, auch arabische Familien, Fürstenfeldbruck. Die israelische Nationalhymne erklingt, wird zur Filmmusik, die Toten bekommen einen Namen.

Diese Szenen, in denen Spielberg die Stunden zwischen Hoffen und Bangen in der Connollystraße und das entsetzliche Ende von Fürstenfeldbruck zeigt, sind nur Exposition. Aber sie sagen schon alles über das prekäre Verhältnis dieses Films zur dokumentierbaren Realität. Wenn Spielberg Dokumentaraufnahmen in seine Spielszenen mischt, ist das mehr, als nur geschickt: er beutet es aus, um seinem Actionfilm di weihe zusätzlicher Authentizität zu geben.

Leichen pflastern ihren Weg

Was nun folgt ist die Geschichte von Avner (Eric Bana), einem Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad. Er hat eine junge hübsche Frau, die bekommt gerade ein Kind. Avner bekommt nach dem Massaker von der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir den Auftrag, die palästinensischen Hintermänner des Anschlags von München zu töten. Unter seiner Führung, offiziell nicht Mitglied beim Mossad, aber faktisch angeleitet von dessen Führungsoffizier Ephraim (Geoffrey Rush) führen fünf Agenten in den kommenden Jahren diese Aufträge aus.

Gespielt werden sie von hochkarätigen Darstellern: Daniel Craig, Mathieu Kassovitz, Ciaran Hinds, Hanns Zischler. Es sind sämtlich Europäer, und dieses Schwergewicht auf europäischen Schauspielern ist ungewöhnlich für Spielberg, der noch mit keinem von ihnen zuvor gedreht hatte. Auch die Schauplätze des Films - gedreht wurde tatsächlich in Budapest und Malta - gleichen einer Reise durch Europa: Rom, Berlin, Paris, London, Athen.

Leichen pflastern diesen Weg. Aber auch merkwürdige Begegnungen: Mit kiffenden RAF-Sympathisanten - Moritz Bleibtreu und Meret Becker in sehr authentischen Nebenrollen - mit skrupellosen Schiebern und zwielichtigen "Kontaktpersonen". Die Moral ist einfach: "I trust you, you are paying in cash and dont make speeches." Die interessanteste Begegnung ist die mit einer französischen Großfamilie, die unter paradiesischen Bedingungen außerhalb von Paris lebt, regiert im aufgeklärten Absolutismus von einem "Papa" (Michael Lonsdale). Der kämpfte einst in der Resistance, aber sein Fazit ist bitter: "We paid this price so Nazi scum could be replaced by American and Gaullist scum. We don't deal with governments."

Milch und Blut

Vielleicht war es in den 70ern, mitten im Kalten Krieg ja tatsächlich so leicht, gegen ein wenig Cash den Aufenthaltsort eines jeden Terroristen zu erfahren. Spielbergs Film atmet auch viel Nostalgie, viel Sehnsucht nach einer Epoche, in der angeblich alles, selbst Terror und Gegenterror noch etwas leichter und nonchalanter gehandhabt wurden. Auch das schmutzigste Geschäft atmet noch die Romantik der Zeit - und darüber übersieht man leicht, dass der Terror schon damals eine Frage der Ökonomie war.

Wir begegnen auch Opfern. Einem alten Mann, der um sein Leben bettelt, und gerade erst Milch gekauft hat - was dem Film nebenbei Gelegenheit gibt, Milch und Blut, Unschuld und Schuld höchst pittoresk auf römischem Marmor zu vermischen. Einem jungen Mädchen, das in einem bürgerlichen Pariser Salon sehr hübsch Klavier spielt, und dem man gleich den Vater töten wird. Einem netten älteren Herrn der vor seinem Hotelzimmer auf dem Balkon steht, und eine Zigarette raucht, von der er nicht weiß, dass es die letzte seines Lebens ist.

Die auf solche Begegnungen folgenden Morde sind actionreich in Szene gesetzt, hervorragend choreographiert. Auf dieser Ebene erscheint der Film vor allem als große Hommage: auf die 70er, das Kino New Hollywoods, und auf einige Alt-Meister, auf Jules Dasins "Rififi", Thriller von Melville, das Polit-Kino von Costa-Gavras, vor allem an John Frankenheimer und auch Sidney Pollak. Darum ist "Munich" härter, weniger sentimental geraten, als andere Spielberg-Filme, er ist kühl und effizient. Man kann trotzdem streiten, ob der Film als solcher, als Polit- und Terrorthriller, wirklich gut funktioniert. Denn das Motiv dieser Hommage bleibt im Dunkeln. Ihr Grund ist vielleicht nur, dass auf diese Weise die Ästhetik der 70er abgepaust werden sollte. Jenseits solcher Pastiches gilt auch in "Munich" weiterhin, was man über Spielbergs Filme schon länger wusste, was aber bei Pollack und Frankenheimer ganz anders ist: Spielberg erzählt nie Liebesgeschichten, er weiß mit Frauen nicht viel anzufangen, seine Erwachsenen sind immer große Jungen, die sich mit ihren Vätern versöhnen müssen.

Manchmal wirken die fünf Mossad-Agenten wie eine schwule Männer-WG, dann wieder eine Gruppe spielender Kinder. Sie sind unerfahren, dilettantisch in der Ausführung ihrer Taten, und das, was den Mossad an dem ganzen Film am meisten beleidigen müsste, ist die Unterstellung, solche Leute mit einem solchen Auftrag zu betrauen.

Logik contra Appeasement

Aber all das führt an einem großen Teil dieses Films vorbei, denn, "Munich" ist auch ein Message-Film, und was man sieht, soll in jedem Fall etwas bedeuten. Was die Vorlage des Films angeht, die Beziehung der Filmhandlung zu den "real events", ist bereits viel geschrieben worden. Dass der 1984 veröffentlichte Roman "Vengeance" des kanadischen Journalisten George Jonas eine trübe Quelle ist, wird auch von Spielbergs Lager kaum bestritten.

Es ist unklar, ob es jemals einen klaren Auftrag der israelischen Regierung zur Liquidierung der Attentäter und ihrer Hintermänner gegeben hat. Die angeblich gnadenlose Reaktion Israels ist reine Fiktion. Als Filmszene gehört dies zu den starken Momenten: Mit Geheimdienst-Offizieren sitzt Golda Meir am Tisch und diskutiert Israels Reaktion auf das Münchener Attentat. "München" ist noch in einem weiteren Sinn eine Metapher: Es ist die Stadt Adolf Hitlers und die "Hauptstadt der Bewegung", und es ist der Ort der "Münchner Konferenz", der tiefsten Selbstdemütigung aller Demokratien auf dem Höhepunkt des Appeasement. Das ausgerechnet hier israelische Sportler ermordet wurden, nur weil sie Juden waren, hat eine bittere Logik. Nie wieder, das ist die Logik in Golda Meirs Argumentation, sollen Juden sich vom Terror demütigen lassen. Auf den Mord-Exzess von Fürstenfeldbruck soll Gegenwehr, nicht Appeasement die Folge sein.

Doch im Folgenden stellt Spielberg genau diese Erkenntnis infrage bis zur Denunziation. Er legt Meir einen Satz in den Mund, den sie mit ziemlicher Sicherheit nie aussprach, und vermutlich nicht akzeptiert hätte: "Every civilization finds it necessary to negotiate compromises with its own values." Dieser Satz ist vielleicht treffend auf George W. Bush gemünzt. Doch die Logik der israelischen Politik ist gerade die, die eigenen Werte zu verteidigen. Israel übt nicht Rache, sondern Vergeltung. Israelis nehmen keine Geiseln, sie töten nicht gezielt Unschuldige. Ohne "Kollateralschäden" zu verteidigen oder zu akzeptieren, auch ohne der israelischen Politik hier in jedem Fall Recht zu geben, ist das die fundamentale Differenz zwischen dem Terror der Palästinenser und der Vergeltung der Israelis: Israel zündet keine Splitterbomben in Schulbussen, sondern es tötet gezielt Auftraggeber und Hintermänner.

Spielbergs PLO

Auch die, die "Munich" nicht mögen, loben gern die Darstellung der Olympiageiselname. Aber warum? Gut, Spielberg hat keinen Splatterfilm gedreht, und das muss man auch nicht von ihm verlangen. Aber er zeigt doch später sehr deutlich und detailliert, wie die Mossad-Leute einen alten unbewaffneten Mann in Ruhe erschießen, wie die Frau eines Palästinenserführers nicht verschont wird, als sie zufällig in die Schusslinie gerät, wie eine Frau, die kurz zuvor einen der Gruppe umbrachte, mit drei Schüssen auf ihren nackten Körper getötet wird - eine vulgäre Szene in Art von 70er-B-Pulp-Movies, die Amerikas Öffentlichkeit einem Spielberg überraschend leicht verzeiht, während man nicht wissen will, was Oliver Stone für sie hätte büßen müssen.

Gezeigt wird hingegen nicht, was in der Connollystraße wirklich geschah. Spielberg zeigt nicht, wie gnadenlos das PLO-Kommando agierte, dass es die Geiseln zum Teil folterte, dass die beiden Toten im Hotelzimmer vor den Augen ihrer lebenden Kameraden kastriert wurden. Er zeigt nicht, dass eine Geisel, der von Kugeln getroffene Gewichtheber Josef Romano auf dem Teppich verblutete, während die anderen zusehen mussten.

Tatsächlich gibt Spielberg den palästinensischen Opfern ein Gesicht. Alles dies sind auch Mörder oder Schreibtischtäter, daraus macht der Film kein Hehl, aber es sind auch Menschen. Spielberg allerdings zeigt sie nur als das. Er unterschlägt, was aus ihnen Unmenschen macht. Und das ist dann so, als würde man in einem Film über das Dritte Reich nur ein paar Nazis zeigen, die gut Klavier spielen, oder Goethe-Gedichte mögen.

Zudem werden die Palästinenser amerikanisiert. Man kann Spielberg wohl kaum ernsthaft vorwerfen, dass es in seinem Nahen Osten keine Hamas, keinen Islamismus und keinen Dschihad gibt. Das gab es 1972 noch kaum. Aber es gab leidenschaftlichen Antisemitismus, Holocaustleugnung. Spielbergs PLO sagt "We want to be a nation." Das wird jeder Amerikaner verstehen. Sie sagt auch, was schon ET und auch sonst jeder zweite Spielberg-Held irgendwann sagt: "Home is everything." Die Sehnsucht, "nach Hause" zu gehen… da versteht der Amerikaner Spielberg auch die palästinensischen Terroristen. Man versteht, warum US-Autoren von "Terror light" sprechen.

Der Film eines Amerikaners über sein eigenes Land

Die Israelis sagen so etwas nicht. Der Held Avner schert sich nicht um seine Heimat, sondern stellt sich gegen die von seiner Mutter artikulierte Position der israelischen Gründerväter offen gegen die Idee eines Heimatlandes für Juden, er zieht am Ende freiwillig die amerikanische Diaspora vor. Seine eigene Familie sei die einzige Heimat, die er kenne, sagt er seiner Frau. Ansonsten ist er ein Zauderer, mehr Hamlet als James Bond: "All this blood comes back to us." Immerhin erwidert sein Kollege martialisch: "The only blood which matters to me is jewish blood."

Aber natürlich ist dies nicht in erster Linie der Film eines Juden über Israel, sondern der eines Amerikaners über sein eigenes Land. Auch wenn Spielberg sich solcher Interpretation in Interviews verweigert: Es geht offenkundig auch um Bushs "War against Terror". Spielbergs Frage ist nicht, ob Demokratien Terroristen "aus Rache töten dürfen", wie der "Spiegel" behauptet. Dies schon deswegen falsch, weil es hier nicht um Rache geht, sondern um Vergeltung. Spielberg will sowieso etwas anderes, er will vielmehr die These illustrieren, dass Gewalt nur neue Gewalt erzeugt. Er will zeigen, welche Folgen Vergeltung hat, und das moralische Dilemma ins Zentrum rücken.

Diese Einsicht ist schlicht, zu schlicht. Denn Spielberg legt nicht die Mechanismen der Vergeltung offen, sondern verdrängt die Unterschiede. Nicht immer ist Mord gleich Mord. Einmal mehr muss man daran zweifeln, dass Hollywood differenzierte Filme machen kann, die über sehr schlichte moralische Gegensätze hinauskommen.

"Munich" behauptet Folgen des israelischen Gegenterrors, die es in Wahrheit nicht gab. Kein Mossad-Agent, der sich in Interviews öffentlich zu Wort meldete, hat heute ähnliche Gewissensbisse wie Avner. Im Gegenteil: Alle sind überzeugt, das Richtige getan zu haben - verständlicherweise, wenn man sich das Olympiaattentat und seine Folgen noch einmal vergegenwärtigt. Der Westen hingegen gefiel sich in Appeasement, und überließ Israel die Schmutzarbeit: Die deutsche Regierung ließ die überlebenden Terroristen unter fadenscheinigen Umständen ausfliegen. Und der gesamte Westen duldete den Auftritt Arafats, der vor der UNO mit Pistole die Taten von München verteidigen durfte.

Auch am Ende dominiert Ambivalenz: Einerseits eine fürchterliche Kitschorgie, die schlechteste Szene des Films: Avner schläft mit seiner Frau, die Sex-Szenen sind mit Bildern der letzten Sekunden der Geiseln in Fürstenfeldbruck verknüpft. Doch dann folgt der Schwenk auf die beiden World-Trade-Tower, und auch dieser Schwenk ist kitschig, aber doch auch ein fetter Verweis: Die Geschichte ist nicht zuende. Man kann das lesen als "Gewalt gebiert neue Gewalt", aber auch als "Der arabische Terror geht weiter und wird schlimmer." Oder wie es eine Filmfigur formuliert: "If these guys live, Israelis die." Dies ist die eigentliche bittere Wahrheit und zugleich die gefährliche moralische Versuchung von "Munich". Dass er uns auch zeigt, wo Bushs "War against Terror" sein Recht hat.

Ein letztes Problem von "Munich" ist das der fiktionalen Geschichtsschreibung. Wie auch in "Der Untergang" gibt der Film Ereignissen Bilder, die niemand je gesehen hat, von deren Ablauf keiner etwas weiß. Er suggeriert eine "Wahrheit", die es nicht gibt. Spielbergs Version der Geschichte wird sich als Faktum in den Köpfen festsetzen, zumindest vorläufig. Das verstellt nicht nur den Blick auf die historische Wahrheit, es verstellt auch den Blick für die künstlerischen Stärken von "Munich".