Hoffnung für nicht-elitäre Akademiker?

Der Wissenschaftsrat wünscht sich als Kompensation zu den 10 Spitzenuniversitäten ein "differenziertes Universitätssystem" für den Unterbau

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„Mehr Geld, mehr Freiheit und mehr Chancen für Bildung und Forschung“ versprach die zuständige Ministerin, Annette Schavan (CDU), am 1. Dezember vergangenen Jahres im Deutschen Bundestag. Bis 2009 sollen zusätzlich sechs Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung fließen, damit die deutsche Hochschullandschaft international konkurrenzfähig bleibt (oder – je nach Standort – wieder wird), wissenschaftliche Nachwuchskräfte auf hohem Niveau ausgebildet und Absolventen mit bestmöglichen Voraussetzungen in das außeruniversitäre Berufsleben starten können.

So weit, so gut, und also verkneift sich der pflichtschuldig begeisterte Betrachter vorerst die Frage, womit diese und andere Projekte finanziert werden sollen. Wer Geld hat, spricht nicht darüber, und das Bundesministerium hat es offenbar. Allein für den schon in der vergangenen Legislaturperiode initiierten Wettbewerb Exzellenzinitiative, mit dessen Hilfe Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und Spitzenuniversitäten gefördert werden sollen, stehen 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung.

Spätestens als die Mitglieder der Fachkommissionen von Deutscher Forschungsgemeinschaft und Wissenschaftsrat am 20. Januar die „Gewinner“ des ersten Auswahlverfahrens bekannt gaben, war allerdings allen Beteiligten klar, dass auch diese Summe erstens begrenzt ist und zweitens nicht jeder Lehr- und Forschungseinrichtung zugute kommt. Von den 74 Universitäten, die insgesamt 319 Antragsskizzen einreichten, dürfen nur 36 im April einen Vollantrag abgeben. Bei den zehn potenziellen Spitzenuniversitäten zeigte sich zudem das altbekannte Nord-Süd-Gefälle, dem ein Ost-West-Gefälle seit einiger Zeit assistiert. Neben der FU Berlin und Bremen schaffte es mit Aachen nur eine Universität außerhalb Bayerns und Baden-Württembergs in Runde 2. Die restlichen sieben Leuchttürme stehen im Süden der Republik, namentlich in Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, München (Ludwig-Maximilians-Universität & Technische Universität), Tübingen und Würzburg.

Die Einsicht, dass die anderen Universitäten und die Fachhochschulen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden können, versteht sich eigentlich von selbst, wurde durch die teilweise heftigen Reaktionen auf den Vorentscheid aber offenbar noch einmal gefördert. Eine Woche nach der Bekanntgabe hat nun der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem vorgelegt, die wohl als Vermittlungsbemühungen verstanden werden und den aussortierten Hochschulen das deprimierende Gefühl nehmen sollen, nur Bildungstempel zweiter oder dritter Klasse zu sein.

Die Institution, die sich als Beratergremium für die Bundesregierung und die Regierungen der Länder versteht und in der 32-köpfigen wissenschaftlichen Kommission 24 Forscher sowie 8 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beschäftigt, legt zunächst Wert auf die Feststellung, dass der Aufgabenbereich der deutschen Hochschulen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich angewachsen ist. Diese Entwicklung liegt selbstredend nicht nur in den Fortschritten der Wissenschaft und dem an sich erfreulichen Umstand begründet, dass 1950/51 noch 110.000 Studentinnen und Studenten gezählt wurden, während heute rund 2 und in wenigen Jahren vermutlich 2,2 Millionen eingeschrieben sind.

Alternativen für die zweiten Plätze: verschärfte Konkurrenz

Neben Forschung, Lehre und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei die zunehmende Selbstverwaltung, die Einführung gestufter Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses, eine weitgehende Neuordnung der Personalstruktur, aber auch der notwendige Wissenstransfer in die Praxis zu berücksichtigen. Aus dieser Perspektive gehören schließlich auch politische und kulturelle Aufgaben zum profilbildenden Selbstverständnis einer Hochschule:

Die Art und Weise, wie Wissenschaft an einer Universität forschend betrieben und in der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden weitergegeben wird, hat nicht allein den Spezialisten, sondern auch den gebildeten, dem Gemeinwohl verpflichteten Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen zum Ziel. (...)
Es bedarf (...) besonderer Anstrengungen, damit die Universität neben dem Ausbildungsauftrag auch ihren Bildungsauftrag erfüllen kann. (...) Neben der Vermittlung von Fachwissen gehört es zu den wesentlichen Aufgaben der heutigen Universität, sich diese Traditionen immer wieder neu anzueignen, die dagegen gerichteten Tendenzen kritisch aufzuarbeiten, aber auch das Gedankengut von Aufklärung und Demokratie weiterzuentwickeln, um dadurch die freie Wissenschaft in einem freien Gemeinwesen zu stärken.

Wissenschaftsrat

Unter diesen Umständen plädiert der frühere Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl, dafür, das Ideal einer egalitären Hochschullandschaft auszugeben, ohne die Diskussion deshalb mit Vorurteilen und unsachgemäßen Bewertungsmaßstäben zu belasten. Das langfristige Ziel besteht seiner Ansicht nach nicht in der ausschließlichen Förderung von Spitzenuniversitäten oder dem Aufbau prominenter Exzellenzcluster, sondern in einem „differenzierten Universitätssystem“, das seine Aufgaben individuell an der eigenen Stärke und Leistungsfähigkeit orientiert.

Für einen Teil der Universitäten wird sicherlich das traditionelle Modell Leitbild bleiben, wonach eine Universität in der Breite der Fächer Forschung, Lehre sowie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gleichermaßen betreibt. Eine Universität muss sich aber auch in einem oder mehreren Bereichen auf Forschung und Nachwuchsförderung konzentrieren können, um dort mit internationalen Spitzenforschungseinrichtungen zu konkurrieren. Genauso viel Anerkennung verdient es, wenn eine Universität sich in einigen Bereichen in erster Linie für exzellente Lehre und Ausbildung engagiert.

Karl Max Einhäupl

Dass damit ein verschärfter Konkurrenzkampf einhergehen könnte, wird von Einhäupl und seinen Kollegen nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern ausdrücklich gewünscht. Hier geht es nicht um eine handelsübliche fachliche Differenzierung, sondern „explizit“ und „funktional“ um eine qualitative Abgrenzung im Hinblick auf Forschung und Lehre, Nachwuchsförderung, Praxisbezug und dergleichen mehr.

Der Zweck, der die Mittel heiligen soll, liegt auf der Hand. Von einem differenzierten Universitätssystem versprechen sich die Ratgeber eine Leistungs- und Qualitätssteigerung, mehr Flexibilität und Transparenz, ein verbessertes Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage sowie eine präzise Zieldefinition für alle Organisationseinheiten der Hochschulen, um damit einen „operationalisierbaren Leistungsbegriff und eindeutige Verantwortungszuschreibungen“ zu ermöglichen.

Die 13 Empfehlungen des Wissenschaftsrats reichen von einer effektiveren Kompetenzverteilung über die Verbesserung des Qualitätsmanagements und die Gewinnung neuer Einnahmequellen aus dem privatwirtschaftlichen Sektor bis hin zur Flexibilisierung tradierter, aber nicht immer bewährter Personalstrukturen. Sogar an ein leistungsbezogenes, diffiziler abgestuftes Besoldungssystem wurde gedacht, obwohl das Gremium den Wissenschaftlern im Land der Dichter und Denker nach wie vor „ein hohes Maß an intrinsischer Motivation“ attestiert. Die geforderten Maßnahmen sind – verglichen mit den hiesigen Defiziten im Bereich Reformbereitschaft und –tempo – zum Teil ungewöhnlicher Natur:

Wenn die Leistungen und das Engagement für den Nachwuchs nachlassen, sollte dies auch Konsequenzen haben können, bis hin zur Entbindung einzelner Hochschullehrer oder institutioneller Bereiche von Aufgaben in der Nachwuchsausbildung.

Wissenschaftsrat

Das Papier zielt erkennbar auf ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und macht deshalb auch vor Selbstkritik nicht halt. Der Wissenschaftsrat, der das vorrangige, mehrheitsfähige Ziel einer qualifizierten Berufsausbildung für den nicht-akademischen Arbeitsmarkt bislang durch den massiven Ausbau von Fachhochschulen erreichen wollte, gibt heute zu, dass in diesem Sektor weder durch den Ausbau der Studienplätze noch durch die Erweiterung des Studienangebots wesentliche Fortschritte erzielt werden konnten.

Der bisherige Verlauf des Ausbaus der Fachhochschulen und der große Widerstand gegen die Verlagerung einzelner Fächer von den Universitäten an die Fachhochschulen zeigen, dass der Bedarf an Studienangeboten, die auf wissensintensive Tätigkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft vorbereiten, in absehbarer Zeit nicht auf diese Weise befriedigt werden kann.

Wissenschaftsrat

Langfristig wird das deutsche Bildungswesen deshalb immer wieder alte Denkgewohnheiten und Verhaltenmuster überwinden müssen und den Dualismus von Universitäten und Fachhochschulen möglicherweise durch „neue, innovative Hochschultypen“ überwinden. Dass diese Aufgaben nicht nur auf akademischer Ebene gelöst werden können, weiß auch der Wissenschaftsrat.

Mehr Studenten in "innovativen" Hochschulen

Zeitgleich ist deshalb eine zweite Studie mit Empfehlungen zum arbeitsmarkt- und demographiegerechten Ausbau des Hochschulsystems erschienen, in dem die notwendigen Rahmenbedingungen verdeutlicht werden. Hier plädieren die Autoren angesichts wachsender Studentenzahlen für einen deutlichen Ausbau der Studienplatz- und Lehrkapazitäten, um das „Reservoir an Talenten“ voll ausschöpfen und international konkurrenzfähig bleiben zu können. In absehbarer Zeit muss es nach Ansicht des Wissenschaftsrates gelingen, 35 Prozent eines Altersjahrgangs zu einem Studienabschluss zu führen, deutlich mehr als 40 Prozent sollen ein Studium aufnehmen und zu diesem Zweck mindestens 50 Prozent überhaupt erst einmal die Hochschulzugangsberechtigung erlangen.

Auch diese Vorschläge gehen eher in die Breite als in die Spitze, insofern besteht durchaus die Chance, dass das gesamte Bildungssystem in Deutschland über kurz oder lang von einer Reformwelle erfasst wird und sich dann qualitativ besser, kostenbewusster und studentenfreundlicher präsentiert, als das heute der Fall ist. Die Gefahr, dass mit Projekten wie der laufenden Exzellenzinitiative vermeintliche Eliten in den eng begrenzten Mittelpunkt des Interesse rücken und sich der Schwerpunkt des universitären Lebens endgültig Richtung Forschung verschiebt, wird damit aber nicht automatisch gebannt. In diesem Fall wäre aber auch das Projekt eines differenzierten Universitätssystems zum Scheitern verurteilt. Denn welches Kapital sollten die nicht prämierten Hochschulen aus finanziellen Benachteiligungen und schweren Imageschäden schlagen?

Die Veröffentlichungen des Wissenschaftsrates bringen wichtige Aspekte in eine komplexe Diskussion ein, parken aber auch viele konkrete Probleme auf verbalen Gemeinplätzen vom Format der „neuen, innovativen Hochschultypen“. Jetzt ist wieder die Politik am Zug, und vielleicht fließt tatsächlich die eine oder andere Überlegung in den „Hochschulpakt 2020“ ein. Mit ihm sollen langfristig grundsätzliche Strukturreformen verfolgt werden, aber Genaueres ist selbst auf bundesministerieller Ebene bis dato nicht zu erfahren.

Über den genauen Inhalt des Paktes werden wir uns noch in diesem Jahr verständigen. Es ist gut, dass wir in den nächsten Jahren mehr Studierende bekommen. Wir sind an all diesen Talenten sehr interessiert.

Annette Schavan