Ratten riechen in Stereo

Je nachdem, ob ein Geruch zuerst im linken oder im rechten Nasenloch ankommt, wissen Ratten, wo die Futterquelle liegt

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Einmal, maximal zweimal schnüffeln reicht, dann wissen Ratten, ob der Duft von Futter rechts oder links von ihnen liegt. Indische Wissenschaftler berichten in der Fachzeitschrift Science (Bd. 311, S. 666-670), dass die Nager Gerüche sozusagen in Stereo verarbeiten. Stereo-Riechen bedeutet wörtlich, dass sie Gerüche räumlich wahrnehmen. Sie können also feststellen, aus welcher Richtung ein Duft kommt – je nachdem, ob die Duftmoleküle zuerst das linke oder das rechte Nasenloch erreichen und ob es links oder rechts intensiver riecht. Aus dieser Zeit- und Intensitätsdifferenz errechnet das Gehirn die Richtung der Futterquelle.

Eine solche Arbeitsweise des Gehirns war bislang nur beim Gehör bekannt. Tiere und Menschen können die Richtung von Geräuschen gut feststellen, weil der Schall unterschiedlich viel Zeit zu den beiden Ohren braucht. Das dem Geräusch zugewandte Ohr wird schneller erreicht, um den Kopf herum braucht der Schall etwas länger.

Schnuppernde Ratte (Bild: Science)

Die Nasenlöcher von Ratten sind allerdings nur drei Millimeter voneinander entfernt. Können die Tiere bei diesem kurzen Abstand tatsächlich feststellen, ob ein Duft zuerst im linken oder im rechten Nasenloch zu riechen war? Forscher hatten schon länger vermutet, dass Ratten und andere Säugetiere Gerüche in Stereo auswerten können. Bislang fehlte allerdings der verhaltensbiologische Beweis zur Untermauerung dieser Hypothese.

Ein Unterschied von 50 Millisekunden reicht

Ja, sie können es, berichten nun die indischen Wissenschaftler um Raghav Rajan von der University of Agricultural Science in Bangalore. Wenn ein Duftstoff zum richtigen Zeitpunkt im Atemzyklus ihre Nase erreiche, könnten Ratten bereits dann seine Position identifizieren, wenn die Duftmoleküle mit einem zeitlichen Unterschied von nur 50 Millisekunden in den beiden Nasenlöchern ankommen.

Ratten lassen sich trainieren, die Position von Gerüchen anzuzeigen. Sie schnüffeln durch ein rundes Fenster und trinken dann vom rechten oder linken Wasserspender – je nachdem, aus welcher Richtung sie den Duft gerochen haben. Eine solche Wahrnehmung ist nur möglich, weil die Tiere räumlich (in Stereo) riechen können. Sie können feststellen, ob ein Duft zuerst im rechten oder zuerst im linken Nasenloch ankam. Hier kam der Duft von links (Bild: Science)

Die Wissenschaftler hatten 14 Ratten darauf trainiert, die Position von Geruchsquellen anzuzeigen. Die Tiere bekamen zunächst nichts zu trinken. Dann wurden die durstigen Nager in eine Plexiglasbox gesetzt, die vorne eine kleine runde Öffnung zum Schnüffeln hatte. Die Forscher setzten in einem zufälligen Muster Geruchsstoffe links oder rechts von der Versuchskiste frei. Die Ratten sollten die Seite anzeigen, aus der der Geruch kam, indem sie an einem Wasserspender auf ihrer linken oder ihrer rechten Seite leckten. Nur wenn sie die richtige Seite wählten, bekamen sie als Belohnung Wasser. Leckten sie am falschen Spender, blieb dieser trocken.

Wie gut riechen Ratten mit einem Nasenloch?

Der entscheidende Versuch, ob die Ratten tatsächlich beide Nasenlöcher zur Lagebestimmung einer Geruchsquelle nutzen, bestand darin, den Tieren abwechselnd eines der Nasenlöcher unter Narkose luftdicht zuzunähen. Sind beide Nasenlöcher wichtig, musste die Treffergenauigkeit der Nager von mehr als 80 Prozent rapide abnehmen. Dieses Ergebnis trat auch prompt ein. Die Tiere entschieden sich viel häufiger für die Seite, auf der das Nasenloch noch frei war. Damit lagen sie natürlich immer dann falsch, wenn die Duftprobe von der zugenähten Seite kam.

Hier kam der Duft von rechts (Bild: Science)

Um auszuschließen, dass die Ratten wegen operationsbedingten Schmerzen in der Nase nicht mehr peilungsgenau riechen konnten, dachten sich die Forscher ein zusätzliches Experiment aus. Sie trainierten zwei Ratten darauf, durch das Lecken an den Wasserspendern die Identität zweier Gerüche und nicht ihre Position anzuzeigen. Am linken Spender lecken bedeutete Geruch A und am rechten Spender Geruch B. Das bekamen auch die gehandicapten Tiere mit fast 100-prozentiger Sicherheit hin. Ein Nasenloch reicht also aus, um einen Geruch zu identifizieren. Für die genaue Richtung der Quelle müssen aber schon beide funktionstüchtig sein.

Eigene Nervenversorgung für jede Nasenseite

Die Nasenschleimhaut von Ratten hat in jedem der beiden Nasenlöcher ihre eigenen Nervenverbindungen. Diese leiten die durch Geruchsreize ausgelösten Signale weiter zum linken und rechten Riechkolben an der vorderen Basis des Gehirns. Hier findet die erste Verrechnung und räumliche Einordnung der Gerüche statt. Die indischen Forscher wiesen nach, dass im Riechkolben 90 Prozent der Nervenzellen unterscheiden können, von welcher Seite ein Reiz kommt. Von hier wandern die Signale weiter zum Riechhirn in der linken und rechten Hälfte der Großhirnrinde, wo weitere Entscheidungen darüber gefällt werden, ob der Geruch zum Beispiel schon bekannt ist oder welche Erinnerungen damit verknüpft sind.