Hellasgate

Abhörskandal in Griechenland: Wer war der Lauscher im Mobilfunknetz?

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Die gesamte griechische Regierung war (Vodafone)-Live, ohne es (angeblich) zu wissen und zu wollen. Über ein Jahr wurde drahtlos angezapft und geistlos vertuscht.

In der griechischen Staatsverfassung ist unter Artikel 5a, Absatz 2 zu lesen:

Jeder hat den Anspruch, an der Informationsgesellschaft teilnehmen zu können. Die Erleichterung des Zugangs zu Informationen, die elektronisch verbreitet werden, sowie die (Erleichterung) der Produktion und Verbreitung der (Information) ist eine Pflicht des Staates, die jederzeit mit Beachtung der Artikel 9, 9a und 19 besteht.

Die Regierung Karamanlis hat den Artikel offensichtlich allzu wörtlich interpretiert. Wie sonst ist zu erklären, dass die gesamte Regierung, sowie einige Privatpersonen von bisher unbekannten Tätern monatelang abgehört wurden?

Premierminister Karamanlis im März 2004 im Vorfeld der Olympiade zusammen mit dem IOK-Vorsitzenden Jaques Rong und der Organisationskomiteevorsitzenden Ioanna Aggelopoulou

Die Brisanz des Abhörskandals wird durch die Tatsache erhöht, dass sämtliche abgehörten Telefone bei der Firma Vodafone angemeldet waren. In diesem Zusammenhang interessant ist auch, dass die Abhöranlagen, die Software der betroffenen Server, sowie angeblich auch ein Teil der Telefone nachweislich von Sony-Ericsson stammen.

Der Skandal wurde monatelang vertuscht

Nachdem die Firma Vodafone im März 2005 die griechischen Behörden darüber informiert hat, dass Abhöranlagen in Athen entdeckt wurden, die in der Lage waren, mehrere Mobiltelefone der Regierung abzuhören, wurden die Anlagen entfernt. In diesem Zusammenhang wurde entdeckt, dass nicht nur Regierungsmitglieder, sondern auch ausländische Botschaftsmitarbeiter, Journalisten, Privatpersonen und Oppositionspolitiker abgehört wurden.

Doch nicht nur der Oppositionsführer Georgios Papandreou ist entsetzt darüber, dass sowohl er als auch der Staatspräsident Karolos Papoulias erst nach 11 Monaten über den Skandal informiert wurden. Nein, auch mehrere Minister der aktuellen Regierung haben erst durch Zeitungsveröffentlichungen von der Abhöraktion erfahren.

Skandal wurde erst durch Veröffentlichungen publik

Die Oppositionsparteien zeigen sich bestürzt über das Ausmaß des Skandals, charakteristisch ist die emotionale Rede des ehemaligen Ministers der PASOK-Regierung, Evangelos Venizelos im griechischen Parlament:

Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, die Sicherheit der Bürger im Stadtzentrum von Athen und die Geheimhaltung der Kommunikationen des Ministerpräsidenten, der Minister und der Abgeordneten zu garantieren, dann erfüllt sie ihre Pflichten nur unzureichend und kann keine Politik betreiben, geschweige denn den Bürgern das Gut des Gefühls der Sicherheit bieten….

Vodafone selbst gab an, dass die betreffenden Anlagen sofort nach ihrer Entdeckung direkt abgeschaltet wurden. Es liegt auf der Hand, dass durch die direkte Abschaltung eine Rückverfolgung zu den abhörenden Personen „aus Versehen“ unterbunden wurde. Kurz, durch den vorauseilenden Gehorsam wurden alle relevanten Spuren beseitigt, die eventuell zur Ergreifung von Tätern geführt hätten.

Vodafone Griechenland antwortete selbst auf eine intensive Nachfrage von Telepolis nach den Hintergründen des Skandals nur mit folgendem Statement des Vizepräsidenten und CEO G. Koronias:

As soon as we confirmed the existence of a software capable of performing interception of telecommunication services, we immediately removed it and as we were obliged, I informed immediately the State. Furthermore, we put ourselves, all available data and information as well as our know-how at the disposal of the Greek Judicial System, in order to investigate the case.

All of us in Vodafone-Panafon, guided by our ethics and professional consciousness, we remain always firmly committed to the principles of legality as well as focused on servicing our customers’, safeguarding our shareholders’ and employees’ interests. Greek Justice is investigating this serious case and all necessary information is being provided to the relevant authorities.

Es handelt sich bei der Stellungnahme um den gleichen Text, den Vodafone auch im Internet als Pressemeldung veröffentlicht, und die vollständig mit den bisherigen Stellungnahmen übereinstimmt. Auf Rückfragen wird nicht weiter eingegangen.

Pressemitteilung von Vodafone Griechenland

Medienberichten zu Folge wurden mindestens 100 verschiedene Personen abgehört. Die Namen abgehörter Personen wurden von der griechischen Regierung an die Öffentlichkeit gegeben. Ob zumindest einige der betreffenden Personen vor der Veröffentlichung ihrer Namen informiert wurden, ist nicht bekannt; die meisten Abhöropfer haben von der Abhöraktion erst durch Rundfunkberichte erfahren.

Auch Al Jazeera abgehört

Unter den Abgehörten befinden sich außer der gesamten Regierung Abgeordnete der Opposition, die Bürgermeisterin von Athen, Militärs, Spitzenagenten des griechischen Geheimdienstes, arabische Geschäftsleute, Botschaftsmitarbeiter der Vertretung des Sudan und auch Journalisten.

Bei den Journalisten handelt es sich unter anderen um den Korrespondenten des arabischen Senders Al Jazeera sowie um eine griechische Journalistin, die während des Irak-Kriegs als Korrespondentin durch ihre USA-kritische Berichterstattung aufgefallen war. Privatpersonen, die für die Abhörenden interessant waren, sind entweder Mitglieder von Friedensbewegungen, Bürgerrechtler oder Geschäftsleute.

Interessant ist, dass offensichtlich kein Politiker der kommunistischen Parteien, KKE oder Synaspismos abgehört wurde. Das mag natürlich auch damit zusammen hängen, dass diese Parteien keinen großen Einfluss auf die Tagespolitik Griechenlands haben, wie ein politischer Journalist, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, in einem privaten Gespräch scherzhaft geäußert hat.

Die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) bezweifelt indes, dass sie nicht abgehört wurde und verweist in einer Resolution auf Echelon Allerdings wurden bei dieser Abhöraktion keine Echelon-Systeme eingesetzt. Die Datenräuber sind vielmehr direkt in das Mobilfunksystem eingedrungen.

Wie wurde abgehört?

Die bisher entdeckten Abhöranlagen sollten in der Lage gewesen sein, 14 Telefone gleichzeitig abzuhören. Dazu wurden von den Abhörspezialisten 14 Prepaid-Mobiltelefone eingesetzt. Wenn einer der überwachten Personen sein Telefon benutzte, wurde über ein an einem Zwischensender installiertem System eines der Prepaid-Mobiltelefone angerufen und das Gespräch des Opfers dorthin übertragen.

Dazu mussten unter anderem die Softwaresysteme von Vodafone gehackt werden. Es erscheint durchaus unwahrscheinlich, dass ein solcher Hackerangriff über einen Zeitraum von Monaten ohne das Zutun von internen Vodafone Mitarbeitern möglich war.

Die eingesetzte Hardware stammte vom Vodafone Lieferanten Sony-Ericsson. Ericsson ist seit Gründung der Firma Vodafone-Panafon Exklusivlieferant. Die heutige Firma Vodafone-Griechenland firmierte in Griechenland anfänglich unter dem Namen Panafon, bevor Panafon vollständig von dem Minderheitenaktionär Vodafone übernommen wurde.

Ericsson selbst gehörte zu den Intrakom Aktionären und wurde in Griechenland von dem Unternehmer und Intrakom-Hauptaktionär Sokratis Kokalis vertreten. Kokalis selbst wird mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR in Verbindung gebracht, hat aber seit einigen Jahren keinen Geschäftskontakt mehr zu Ericsson.

Ericsson-Mitarbeiter entdecken die Abhöranlagen

Am 7. März 2005 entdeckten Techniker der Firma Ericsson, die von Vodafone zur Überprüfung einer Routinebeschwerde über Verzögerungen beim SMS-Versand zu Rate gezogen wurden, dass bei den überprüften Anlagen ein Softwareprogramm installiert war, welches das Abhören ermöglichte.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das eigentliche Abhörprogramm von Ericsson entwickelt wurde und von Vodafone installiert wurde, ohne dass Vodafone die erforderlichen Softwarelizenzen besitzt.

Das Abhörprogramm selbst wurde von einem gut kaschierten Trojaner aktiviert, den die Datenspione auf unbekanntem Weg eingeschleust hatten. Diese Tatsache an sich sollte nach Angaben von Vodafone unmöglich sein: Wie kann ein Trojaner in ein mehrfach gesichertes System eingeschleust werden und dort unbemerkt seinen Dienst verrichten, ohne dass eine Firma, die sich bester Qualitätssysteme rühmt, es bemerkt? Die verzögerte SMS-Verarbeitung in dem betreffenden Gebiet wurde nämlich nicht von Vodafone selbst bemerkt, sondern erst untersucht, nachdem sich ein als Subunternehmer firmierender Billigmobilfunkanbieter, Q-Telecom, mit einer offiziellen Beschwerde an Vodafone wandte.

Direkt nach der Entdeckung des Trojaners wurde ohne Rücksprache mit staatlichen Behörden der infizierte Rechner abgeschaltet, so dass bei der folgenden Untersuchung lediglich eine Aufstellung der abgehörten Telefone sowie eine Auflistung der abhörenden Prepaid-Mobiltelefone möglich war. Über die Vodafone-Software konnte darüber hinaus festgestellt werden, in welchen Stadtbezirken die Prepaid-Mobiltelefone benutzt wurden.

Wie ein weiterer Schildbürgerstreich mutet es an, dass erst zwei Tage nach der Entdeckung des Sicherheitslecks die griechischen Behörden durch Vodafone informiert wurden. Das gesamte Ausmaß des Skandals ist auch jetzt, 11 Monate nach der internen Entdeckung, noch nicht abzusehen.

Sicherheitsingenieur von Vodafone Griechenland erhängt aufgefunden

Am Tag der internen, noch nicht öffentlichen Aufdeckung der Abhöraktion wurde ein 39-jähriger Vodafone-Mitarbeiter erhängt aufgefunden. Als offizielle Todesursache wurde Selbstmord angegeben.

Der studierte Fernemeldeingenieur war verantwortlich für die Sicherheit der geheimen Mobilfunkanschlüsse von wichtigen Vodafone-Kunden. Aus seinem persönlichen Umfeld ist zu erfahren, dass der Ingenieur privat keinerlei Probleme hatte, er stand kurz vor der Hochzeit mit seiner langjährigen Verlobten. Finanziell war er auch abgesichert, so dass die offizielle Version des Selbstmords mehr und mehr angezweifelt wird.

Makis Triantafyllopoulos, bekannter griechischer investigativer Journalist

Der investigative Journalist Makis Triantafyllopoulos, bekannt für seine schonungslosen Reportagen, untersuchte in seiner vom Privatsender Alpha ausgestrahlten Magazinsendung die Hintergründe des angeblichen Selbstmords. Demnach war der Ingenieur lediglich wegen eines nicht näher erwähnten Problems an seinem Arbeitsplatz etwas irritiert, zeigte sich jedoch seinem gesamten privaten Umfeld gegenüber zuversichtlich. Die Widersprüche dieses Todesfalls wurden trotz Anschuldigungen der Eltern gegen Vodafone niemals von einer offiziellen Stelle untersucht.

Inoffizielle Stellungnahmen von Geheimdienstmitarbeitern weisen darauf hin, dass der griechische Geheimdienst die Regierung frühzeitig über mögliche Sicherheitslecks der Telefonanlagen informiert hat. Wie ein Geheimdienstmitarbeiter gegenüber Telepolis äußerte, wurde der Premierminister darüber informiert, dass die von ihm benutzten Mobiltelefone nicht abhörsicher seien.

Wer steckt dahinter?

Die entdeckten Abhöranlagen waren im Zentrum von Athen, rund um den Mavili-Platz installiert. Daher wird der Skandal in einigen griechischen Medien auch als „Mavili Gate“ bezeichnet.

Die Zeitung ta nea vermutet nicht als einziges griechisches Medium, dass der griechische Abhörskandal das Werk der USA ist. Auf der Titelseite der Ausgabe vom Freitag, dem 3. Februar 2006 ist ein Stadtplan dargestellt, der den Aktionsradius der Abhöranlagen aufzeigt. Im Zentrum des Aktionsradius der mit den Abhöranlagen verbundenen Mobilfunkantennen befinden sich sowohl die amerikanische als auch die britische Botschaft.

Titelseite Ta Nea vom 3. Fabruar 2006

Da viele der abgehörten Personen politisch als Gegner der US-amerikanischen Politik gelten, gibt es kaum einen Griechen, der nicht die amerikanischen Geheimdienste als Drahtzieher vermutet.

Verschwörungstheorien

Der gesamte Skandal, die Art der Aufdeckung und vor allem das Verhalten der griechischen Regierung haben für ein Verschwörungsszenario gesorgt, das von griechischen Medien seit zwei Tagen ununterbrochen weiter entwickelt wird.

In der Tat bleiben viele Fragen unbeantwortet:

  1. Warum hat keine staatliche Behörde die kompromittierten Mobilfunksysteme untersucht?
  2. Wieso waren die Geheimnummern der Regierungsmitglieder bekannt?
  3. Weshalb wurde der Skandal 11 Monate geheim gehalten und warum wurde er gerade jetzt aufgedeckt?
  4. Warum hat die griechische Regierung Mobiltelefone einer privaten Betreibergesellschaft benutzt, obwohl die staatliche Telefongesellschaft unter ständiger staatlicher Kontrolle ist?
  5. Und – last but not least – wie kann ein solcher Abhörskandal in einem Land stattfinden, das Milliarden Euro für die innere Sicherheit während der Olympischen Spiele von Athen investiert hat?

Abschließend bleibt zu bemerken, dass das mehrsprachige Angebot der Webseite des griechischen Premierministers auch 2 Jahre nach Amtsantritt noch "under construction" ist. Das gilt ebenfalls für die Mehrzahl der Webseiten anderer griechischer Ministerien. Offensichtlich gilt die verfassungsmäßig garantierte Informationsfreiheit nur für illegale Abhöranlagen.