Bilderkriege in Glaubenskämpfen

Von der Bartholomäusnacht 1572 zu den Mohammed-Karikaturen und zurück

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Welche Rolle spielen Bilder von Gewaltakten in kriegerischen Auseinandersetzungen, vor allem, wenn diese Auseinandersetzungen einen religiösen Hintergrund haben? Mit dieser Frage beschäftigte sich – just als der Konflikt über die Karikaturen Mohammeds seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte - eine Tagung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, wo aktuell eine Ausstellung über die Hugenotten zu sehen ist. Das Thema der Ausstellung ist die Verfolgung der Hugenotten in Frankreich, die Fluchtbewegungen der Hugenotten in Europa und schließlich ihre Integration, nicht zuletzt in Deutschland.

Am 12.10.2000 töten Palästinenser israelische Soldaten in Ramallah und werfen sie aus dem Fenster: Krieg und Bilder.

Der Fenstersturz als Auslöser und Rechtfertigung für Krieg

In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1572 setzte in Frankreich eine extreme Kälteperiode ein, die mit verantwortlich gemacht wurde für die schlechte Ernte in diesem Jahr. Der Grund für die Kälte war schnell erkannt: Es konnte sich nur um ein deutliches Zeichen für Gotteszorn handeln. Auch der Auslöser für den Zorn war schnell gefunden. Es gab zu viele Ungläubige im Land, die vom rechten, also vom katholischen Glauben, abgefallen waren: Protestanten, Calvinisten, Hugenotten.

In der Nacht zum 24. August 1572, dem Tag des Heiligen Bartholomäus, kam es zur Vergeltung. Auf Veranlassung Katharina von Medicis überfielen katholische Truppen die Hugenotten in Paris, richteten ein Blutbad sondergleichen an und stürzten für alle weithin sichtbar einen der Hugenottenführer, Gaspard de Coligny, kopfüber aus dem Fenster. Anschließend wurde Coligny enthauptet, sein Körper zum Richtplatz geschleift und aufgehängt. Zahlreiche Künstler dokumentierten das Massaker, einer der ersten war François Dubois, dessen Darstellung der Bartholomäusnacht heute in unzähligen Geschichtsbüchern zu finden ist.

Ramallah, 12. Oktober 2000. Aufgebrachte Palästinenser töten zwei israelische Soldaten, die sich in die Hochburg der Palästinenser verirrt haben. Die Bilder vom Lynchmord gehen tags darauf um die Welt. Die englische Daily Mail bringt auf der Titelseite eine Großaufnahme, die zeigt, wie einer der beiden Soldaten aus dem Fenster der lokalen Polizeiwache geworfen wird. Dazu in großen Lettern: "The moment that could trigger war".

Zwischen den beiden Ereignissen liegen mehr als 400 Jahre, und doch hat sich wenig verändert, wenn es um die bildliche Darstellung brutaler Gewalt geht. Es scheint, als habe sich bereits in der Renaissance ein Bildercodex ausgebildet, der bis heute gültig ist. Eine Annäherung an die mehr oder weniger bewussten Regeln, die bei der Ausübung von Gewalt einerseits und bei der Bebilderung von Gewaltakten andererseits zum Tragen kommen, war die Tagung Glaubenskämpfe - Bilderkriege 1572/2001 im Deutschen Historischen Museum zu Berlin. Dort ist aktuell auch das berühmte Bild von Dubois zu sehen, im Rahmen einer Ausstellung über die Hugenotten.

Der Gewaltakt als Bild – Das Bild als Gewaltakt

Dass Dubois‘ Bild eine so enorme Verbreitung fand, lag nicht zuletzt daran, dass die Bartholomäusnacht in eine Zeit medialer Umwälzung fiel. Dank moderner Buchdrucktechniken konnte diese Art der "Bildberichterstattung" über das Massaker an den Hugenotten schneller, günstiger und weitläufiger verbreitet werden als jemals zuvor. Heute findet etwas Ähnliches statt: Schneller, günstiger und weitläufiger als jemals zuvor kann man via Internet Bilder und Berichte über Gewalttaten verbreiten. Es gibt jedoch einen gewaltigen Unterschied, der sich zum Beispiel in dem umstrittenen Video zeigt, das die Enthauptung des US-Amerikaners Nicolas Berg (Die Medien und die grausamen Bilder) zum Gegenstand hat (unabhängig von der Frage, wie "authentisch" das Video selbst ist).

Die Bilder von Dubois und anderer Künstler der frühen Neuzeit wollen Zeugnis ablegen, für die Zeitgenossen und für die Nachwelt. Sie dokumentieren Akte der Gewalt, die stattgefunden haben, ohne dass es die Täter primär auf diese Bilder abgesehen hätten. Anders die Bilddokumente aktueller Gewalt- und Terrorakte. Hier geht es von vornherein um das Bild, das unmissverständlich zeigen soll, wozu die Täter in der Lage sind. Das Bild ist Teil der Gewalt, die ausgeübt wird und wer sich diese Bilder ansieht, wird, so die These des Kunsthistorikers Horst Bredekamp, selbst zum Opfer beziehungsweise zum Komplizen der Produzenten.

Eine der Kernfragen der Tagung lautete deshalb: Wie kann man über aktuelle Bilder von Gewalttaten sprechen, ohne sie zu zeigen – und darf man sie zeigen, ohne dem Betrachter Gewalt anzutun? Denn wenn das Bild selbst ein Akt der Gewalt sein sollte, dann wäre das Zeigen des Bildes eine Wiederholung des Gewaltaktes. Das müsste man vermeiden, wenn man die Spirale der Gewalt durchbrechen oder man sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der jeweiligen Gewalt-Bild-Produzenten machen möchte. Die Referenten entschieden sich mal für Standbilder, mal für die Verweigerung, wie etwa Bettina Uppenkamp. Letzteres funktionierte aber wohl nur deshalb, weil im Grunde jeder im Saal die entsprechenden Bilder bereits kannte und deshalb der weiteren Diskussion folgen konnte. Die Frage wäre allerdings auch, wie man sich zu Bildern verhält, die begangene Gewalt nicht zeigen. Macht man sich dann auch mitschuldig?

Bildergebot vs. Bilderverbot

Ein anderes zentrales Problem aktueller Bildproduktion und -rezeption sind die jeweiligen Erwartungshaltungen. Vereinfacht ausgedrückt herrscht im Westen eine Art Bildergebot, das uns zwingt, alles zu bebildern. Gleichzeitig gibt es auch im Westen diverse Tabus, die mehr oder weniger respektiert werden. Das Ergebnis sind Behelfskonstruktionen, die gleichzeitig zeigen und verbergen wollen, was im jeweiligen Bild geschieht.

Die Opfer von Ground Zero beispielsweise durften nicht abgebildet werden. Einzige Ausnahme waren die Aufnahmen der Menschen, die sich am 11. September 2001 vom World Trade Center stürzten und damit erneut an das tradierte Motiv vom Fenstersturz erinnerten, das schon so oft als Auslöser und Rechtfertigung für Krieg dienen musste (Stürzende nach dem Fall - 9/11). Ebenfalls problematisch der Umgang mit dem Video zur Enthauptung von Nicolas Berg. Eigentlich sollte es im Westen nicht verbreitet werden, andererseits wollten sich die westlichen Medien nicht komplett zurückhalten. Also zeigte man im Fernsehen einzelne Standbilder, und Magazine wie der Spiegel operierten mit unscharfen Ausschnitten. Die Rechnung der Entführer ist also aufgegangen: die westlichen Medien konnten sich dem Reiz der Bilder nicht entziehen.

Und natürlich war es kein Zufall, dass man für das Nicolas Berg-Video die archaische Form der Enthauptung gewählt hatte. Schließlich gelten Muslime im Westen spätestens seit den Kreuzzügen als Barbaren. Im kriegerischen Alltag des Nahen und Mittleren Ostens sind zwar Maschinenpistolen, Granaten und ferngesteuerte Bomben das Mittel der Wahl. Doch für die Inszenierung einer öffentlichen Hinrichtung greift man lieber auf althergebrachte Klischees zurück und greift zum Schwert. Das beeindruckt den Westen weitaus mehr als eine Hinrichtung per Genickschuss. Allerdings werden in Saudi-Arabien Menschen zur Vollstreckung der Todesstrafe auch noch mit dem Schwert enthauptet.

In der islamischen Welt dagegen, die mittlerweile zum großen Gegenspieler des so genannten Westens hochstilisiert wird, herrscht ein weitgehendes Bilderverbot, zumindest was die Abbildung von Göttern, Menschen und Tieren angeht. Dabei wird oft vergessen, dass der Islam durchaus keine bilderlose Welt ist, noch jemals war. Trotzdem spielt das islamische Bildertabu im aktuellen Streit um die Publikation von Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung die Hauptrolle und wird zur Triebfeder einer ganzen Reihe von Protestaktionen (Der Streit um die Mohammed-Karikaturen verschärft sich).

Die Veröffentlichung der Karikaturen übernimmt in dieser Hinsicht vielleicht dieselbe Rolle, die beispielsweise die Verbreitung des Videos von Nicolas Berg im Internet hatte. Oder aktueller: die das Foto der beiden entführten Deutschen im Irak auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom Donnerstag hatte. Denn bislang haben sich überregionale Zeitungen in Deutschland nicht dazu hinreißen lassen, Entführungsopfer im Großformat auf die erste Seite zu bringen.

Der Krieg der Bilder, so scheint es, hat soeben erst so richtig begonnen. Umso wichtiger ist es, sich klarzumachen, dass diese Form der Auseinandersetzung durchaus nicht neu ist und dass es sich lohnt, über die eigenen Stereotypen nachzudenken. Nur so kann es irgendwann einmal vielleicht zu einer Art Verständigung kommen, die eine friedliche Lösung möglich macht.