Möglichkeiten eines "echten Friedens" trotz komplizierter Verhältnisse

Die Unauffindbarkeit des Friedens V

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Menschheit selbst kann keine Kriege führen. Weder in ihrem Namen noch kann sie einen Auftrag dazu erteilen. Verhielte es sich anders, müsste sie Krieg gegen sich selbst, was schlechterdings unmöglich ist, gegen aliens outer space (wie in Independence Day) oder gegen eine Spezies führen, die sie zuvor zu Nichtmenschen oder Unmenschen erklärt hat. Im Übrigen kann es genauso wenig ihre Aufgabe sein, Freiheit zu exportieren und Demokratie all over the world zu schaffen. Nicht "die Menschheit", nur Völker können sich eine Demokratie geben.

Carl Schmitt ist doch der einzige, mit dem zu reden sich lohnt.

Alexandre Kojève

Neuer politischer Akteur

"Wir denken heute planetarisch und in Großräumen" - mit diesem fulminanten Satz läutet Schmitt sein zähes Ringen um ein neues ius gentium ein. An die Stelle des Nationalstaates, der als Organisationsform und rechtliches Gefäß für eine solche herkulische Aufgabe längst zu klein ist, setzt Schmitt politische "Großräume", die dem Trend zu wachsenden Freihandelszonen und Großwirtschaftsräumen (EU, NAFTA ...) folgen, sich darüber hinaus einer bestimmten Leitidee oder Leitkultur, einer Rechts- oder Werteordnung, verbunden oder ihr zugehörig fühlen, sich räumlich, rechtlich und kulturell aber mehr oder minder voneinander abgrenzen.

Noch im Advent von WK II beginnt Schmitt, diese Großraumordnung auszuarbeiten, die den raum- und machtpolitischen Realitäten, die sich durch die Oktoberrevolution im Osten, die Machtergreifung des Nationalsozialisten im Herzen Europas und dem Schritt der USA nach Europa grundlegend verändert haben, angemessen ist und dem Politischen neue Form und Gestalt gibt. Zwar geht sie durch den Ausbruch des Krieges kurzzeitig verschütt, im Kalten Krieg jedoch, im bipolaren Gegensatz von Ost und West, von Freiheit und Sozialismus oder, wie Schmitt auch formuliert, von Land und Meer, wächst sie sich danach zu voller Blüte aus. Über vierzig Jahre stehen sich bekanntlich zwei Machtblöcke und Großräume unversöhnlich gegenüber, die sich eifersüchtig belauern, jeden Schritt des anderen mit Argusaugen beobachten, jeden Zug mit einem Gegenzug beantworten und sich mit Vernichtungswaffen gegenseitig in Schach halten. Die Mauer in Berlin und der Eiserne Vorhang sind nur die sichtbarsten Zeichen dieser raum- und machtpolitischen Teilung der Erde.

Doch was ist gemeint, wenn Schmitt statt von Nationalstaaten oder Supermächten nur noch von "Großräumen" spricht? Sind, so unsere Frage dahingehend präzisierend, Großräume, die sich wechselseitig (auch als Feinde) achten, in sich und untereinander ausbalanciert sind, jene neuen welthistorischen Akteure und Kräfte, die jenen Frieden, der sich seines Begriffes als würdig erweist, politisch in die Tat umsetzen?

Die Zeit ist die Hölle, der Raum ist das Paradies.

Otto Weininger

Großraumordnung

Unter "Großraum" versteht Schmitt einen neuen Bereich politischer Planung, Organisation und Aktivität, der jede "staatsbezogene" Kleinräumigkeit überwindet und sich "raumscheuen" Rechtslösungen widersetzt. Indem sie so etwas wie "Pluralität" und "sinnvolle Feindschaft" auf ihrem Territorium ermöglichen, begründen Großräume "Geschichtsfähigkeit". Auf diese Weise stellen sie einen formidablen "Gegensatz" zu allen (Außen)Politiken dar, die das Ziel verfolgen, eine homogene Weltordnung zu schaffen und "die Politik (=Krieg) aus der Welt zu schaffen" (A. Kojève).

Die Vorzüge einer solchen Großraumordnung gegenüber allen Lösungen, die eine "Einheit der Welt" anstreben, liegen auf der Hand: Tendiert der Universalismus dazu, alle Nationen und Kulturen über den einen Kamm normativistischer Generalisierungen zu scheren, hebt ein Großraum weder das Eigenleben noch die Selbstständigkeit und Freiheit der Staaten und der darin lebenden Völker, Gruppen und Ethnien auf. Hinzu kommt, dass er Rechtssicherheit gewährt und militärischen Beistand bei Aggression von außen verspricht. Enthält jeder Raumgedanke, der sich an Abgrenzungs- und Verteilungsgesichtspunkten orientiert, per se ein ordnendes Rechtsprinzip in sich, untergräbt ein universalistisch-expansionistischer Weltanspruch jeden Versuch zur räumlichen Abgrenzung und kulturellen Unterscheidung. Deutet das "Raum verengende" Staatenrecht jede kleinste Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates sofort in ein völkerrechtswidriges Delikt um, erklärt das "Raum überwindende" Weltrecht jede humanitäre Intervention für rechtlich zulässig.

Gewiss tragen auch Humanitarismus und Universalismus ein Großraumprinzip in sich (Politik des Großraums). Deren Vorstellungen werden aber vom Bild eines Raumes getragen, der inhaltlich vollkommen leer ist, weder Spannungen noch Grenzen kennt und nach allen Seiten hin offen ist. Nur weil beide sich den Raum als "neutral" und "nichtig" vorstellen, von Besonderheiten, Eigenheiten und Differenzen abstrahieren, können sie im Namen "der Menschheit" sprechen und sich mit deren Anliegen und Interessen (nach Glück, Reichtum und Individualität) gleichsetzen und identifizieren.

Es spricht für Schmitts Realismus und seine Fähigkeit zur klaren politischen Analyse, dass er im kleinräumigen Denken, das Universalisten gern zum Widerpart eines Raum aufhebenden Weltbürgertums erklären, gerade den Kern und das Wesensmerkmal einer universalistisch-imperialistischen Weltpolitik erblickt. Zumal es Idealisten und Universalisten (wie der US-Präsident Woodrow Wilson) und nicht Nationalisten und andere kleinmütige Geister sind, die via Genfer Völkerbund zunächst das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" etablieren, um es sogleich, wenn ureigene Interessen tangiert oder ihr Einfluss in bevorzugten Region bedroht werden, im Namen der Menschheit, der Moral und der Menschenrechte außer Kraft setzen.

Ein Meridian entscheidet über die Wahrheit.

Pascal

Globale Linien der Abgrenzung

Gänzlich neu ist ein solch räumlich unterfüttertes Ein- und Ausschlussdenken an sich ja nicht. Unmittelbar nach der Entdeckung Amerikas taucht es im Begriff der "Raya" zum ersten Mal in den Geschichtsbüchern auf. Es ist Papst Alexander VI., der per Dekret christliches vom heidnischen Gebiet scheidet und Missionsgebiete unter den konkurrierenden Mächten Spanien und Portugal aufteilt. Bereits im 16. Jahrhundert taucht es im Begriff der "amity lines" erneut auf. Aus Teilungslinien werden Zonen unterschiedlichen Rechts und Kampfes.

Geben Rechts- und Regelverletzungen, die innerhalb der "Freundschaftslinien" passieren, keinerlei legitimen Anlass für kriegerische Handlungen, gilt das für Schadenszufügungen, die sich außerhalb dieser Zonen ereignen, nicht. Jenseits dieser geografisch genau lokalisierbaren Kampflinien, die wir mit Max Weber auch als die neuzeitlichen Grenzen des "okzidentalen Rationalismus" deuten können, hören Zivilisation und europäisches Recht auf. Südlich des Äquators und des 23. Meridians über den Azoren beginnt der Naturzustand, wo ausschließlich das Recht des Stärkeren gilt.

Dass diese Denkform keinesfalls aus der Welt ist, sondern die Außenpolitik der EU bestimmt, beweist Robert Cooper, britischer Diplomat im Dienst des EU-Außenkommissärs Javier Solana. Jüngst hat er die Europäer daran erinnert, dass sich ihre Mitgliedsstaaten untereinander zwar an Recht und Gesetz und kooperative Sicherheit halten, im Umgang mit der außereuropäischen Welt sie sich aber auf "rauere Methoden einer früheren Epoche", einzustellen hätten, auf "Gewalt, Präventivschlag, Täuschung". Nicht nur dies, vor allem auch die verdeckte Komplizenschaft politischer Führungsriegen an den illegalen Flugpraktiken der CIA zeigen, dass der War on Terror auch Europa dazu stimuliert, sich verstärkt wieder am 16. und 17. Jahrhundert zu orientieren, an "Freundschafts- und Kampflinien", die einen "Raum des Rechts" von einem "Raum der Rechtlosigkeit" abtrennen.

Den historisch wohl bedeutendsten und erfolgreichsten Versuch, ein Regime der Freiheit von einem Bereich der Unfreiheit geografisch abzutrennen, unternimmt im Dezember 1823 die "Monroelehre". Ursprünglich als Protest gegen die Doppelmoral Europas und die Landnahmen des britischen Imperialismus formuliert, bezeichnet sie fortan ein Gebiet, das die besonderen Interessen der USA umreißt. Innerhalb dieses Raums, der anfangs nur Neu-England, Jahrzehnte später bereits den gesamten Kontinent mit seinen vorgelagerten Inseln umfasst und sich bald darauf vom 20. Längengrad westlich des Nullmeridians im Atlantik bis zum 180. Längengrad im Pazifik erstreckt, verbieten sich die Vereinigten Staaten strikt jede Einmischung von außen. Völkerrechtlich markieren die "Monroe-Linien" eine "Zone der Selbstverteidigung" und "Selbstisolierung", wo Raum, politische Idee und Nichtintervention zu einer einheitlichen Rechtsordnung fusionieren, geografisch und politisch bilden sie jedoch eine "Demarkationslinie zwischen Krieg und Frieden", diesseits derer "Löwe und Lamm in Frieden nebeneinander ruhen" (Thomas Jefferson).

Noch Samuel Huntingtons heftig befehdete "Kulturkreislehre", die eine großflächige Abgrenzung "kultureller Großräume" beabsichtigt, um einem "Clash of Civilisation" (Das eigentliche Amerika II) aus dem Weg zu gehen, spielt auf dieser Klaviatur globaler Kampflinien.

Der Tag ist nicht fern, an dem wir in aller Form einen Meridian der Teilung durch den Ozean verlangen, der die beiden Hemisphären trennt, diesseits von dem kein europäischer Schuss jemals gehört werden soll, ebensowenig wie ein amerikanischer Schuss auf der anderen Seite.

Thomas Jefferson

Monroe für alle

Auch wenn die Monroelehre dank der "humanitären" Interventionspolitik der US-Präsidenten Roosevelt und Wilson sich im Laufe der Zeit von einem Raum fixiertem Prinzip zu einem expansionistisch-imperialistischen entwickelt hat, das den Grundsatz der Nichteinmischung in eine Doktrin eines universalen Interventionismus umdeutet, repräsentiert sie für Schmitt jenseits und trotz all ihres humanitären Gedöns "das erste und das bisher erfolgreichste Beispiel eines völkerrechtlichen Großraumprinzips". Und das nicht nur, weil sie zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Völkerrechts von einem "Großraum" spricht, die Erde in ein räumlich abgrenzbares Nebeneinander unterschiedlicher Großräume einteilt und die Interventionen raumfremder Mächte davon prinzipiell ausschließt. Sondern auch, weil sie eine explizite politische Verbindung zwischen Raum, Volk und Idee stiftet und damit einen "brauchbaren Kerngedanken" für eine neue Völkerordnung liefert, den es für andere Großräume, historische Situationen oder auch Freund-Feind-Gruppierungen zu gewinnen gilt.

Tragende und gestaltende Größen eines solchen künftigen Völkerrechts sind danach Reiche, deren politische Ideen (Freiheit, Gottesfurcht, Gemeinschaft ...) und Ideologie (Liberalismus, Islamismus, Sozialismus ...) auf bestimmte Räume, Völker und Ethnien ausstrahlen. Ihre Gebiete, die sich hierarchisch nach Hoheitsgebieten, Einflusssphären und Sicherheitszonen aufteilen, sind durch völkerrechtlich streng festgelegte Demarkationslinien voneinander getrennt und schließen die Einmischung von außen strikt aus.

Wie dieser Großraum politisch geprägt ist oder wie er sich zusammensetzt, ob durch die Autorität einer Führungsmacht, die sich diese zum Beispiel durch historische Leistungen, Risikobereitschaft oder politische Macht erworben hat, oder durch einen losen Verbund aus Ideen und Werten, Lebensformen und Lebensstilen, denen sich Nationen und Volksgruppen zugehörig oder verpflichtet fühlen, ist für die Idee des Großraums zunächst völlig belanglos. Entscheidend für eine funktionierende Völkerrechtsordnung, die den neuen raumpolitischen Verhältnissen gerecht wird, ist aber, dass a) jeder Großraum seine "Identität" gegen andere Entwürfe, Modelle und Konzeptionen souverän, auch militärisch, für sich behaupten kann, dass b) jede ungebetene Einmischung von außen tunlichst unterbleibt, und dass c) dieser Selbstbehauptungswille, der den Kern des Politischen in sich bewahrt und fort trägt, durch ein "Gleichgewicht der Kräfte" abgesichert wird.

Noch während WK II beginnt Schmitt, der "Dollar Diplomacy" und ihres Hangs zum "grenzenlosen Interventionismus" die großdeutsche Reichsidee als "echtes Großraumprinzip" entgegenzusetzen. Das Deutsche Reich soll sich "in der Mitte Europas, zwischen dem Universalismus der Mächte des liberaldemokratischen, völkerassimilierenden Westens (Neoliberalismus - RM) und dem Universalismus des bolschewistischen-weltrevolutionären Osten (Sozialismus - RM) behaupten und "nach beiden Fronten die Heiligkeit einer nichtuniversalistischen, volkhaften, völkerachtenden Lebensordnung verteidigen."

Denn es liegt eine so große Entfernung zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte.

Niccoló Machiavelli

Neue Völkerraumordnung

Was aus dem konkreten Gegenentwurf Schmitts, nicht zuletzt durch die "Tat des Führers" und seiner Gesinnungsgenossen geworden ist, wissen wir. Die Pax Germanica, die der Pax Americana die Stirn bieten will und einen eigenen Interventionsraum für sich zu reklamieren sucht, ist jämmerlich gescheitert. Und das in wenigen Jahren. Auch wenn das historische, politische und vor allem moralische Urteil darüber längst gefällt ist, enthebt uns das jedoch nicht der historischen Aufgabe, nach einer neuen Völkerrechtsordnung Ausschau zu halten, die den Krieg auf ein notwendiges und rechtlich klar geregeltes Maß zurückführt (Hegung), der Tendenz zur schleichenden Entstaatlichung der Politik nachhaltig entgegenwirkt (Privatisierung) und allen unterschiedlichen Völkern, Kulturen und Gemeinschaften ein friedlich-schiedliches Auskommen garantiert (Ko-Existenz).

Und für diesen "Challenge", denken wir, bietet die Großraumordnung, die Schmitt während und post WK II mit bewundernswerter Klarheit, analytischer Schärfe und Fernblick entwirft (was uns Leser immer wieder aufs Neue verblüfft), durchaus respektable Ansätze und geopolitische Anhaltspunkte. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Terror und Counter-Terror, dem von unbedingten Willen zum Frieden gespeisten Hang zu humanitären Interventionen und dem Menetekel eines "Kampf der Kulturen".

Betrachten wir die aktuellen raumpolitischen Realitäten, so sind die Optionen von damals: Großraum vs. Universalismus, Vielfalt vs. Einheit, Pluralismus vs. "Weltstaat", zu unser aller Erstaunen immer noch die gleichen, Die bipolare Raum- und Machtordnung, die WK III zum kalten degradierte, stellt nur eine Art von Interregnum dar, das sich post 1989 quasi von selbst erledigt hat, auch wenn Islamisten sich eine solche Zweiteilung der Welt gern herbeibomben würden. Seit dem überraschenden Kollaps des kommunistischen Imperiums haben wir es vielmehr mit der Neuauflage zweier Alternativen zu tun, die schon die Zwischenkriegszeit in Atem gehalten hat.

We fight not just for ourselves but for all mankind.

Benjamin Franklin

Politik der One World

Da ist zum einen die unilaterale Ordnung eines strengen Imperiums oder gütigen Hegemons (Imperium oder Hegemon?), das oder der den Planeten schrittweise nach seinem liberal-universalistischen Weltbild umformt und gestaltet (Das eigentliche Amerika I). An die Stelle eines "raumhaft gedachten Nichtinterventionismus" tritt nach und nach ein "raumlos hantierender Interventionismus", der die Idee der liberalen Demokratie mit Freihandel und freiem Weltverkehr, verdinglicht in der "Politik der Open Door" und des Free Flow of Information, verquickt und diese Form von Pazifismus in die ganze Welt hinausträgt.

Die "westliche Hemisphäre", die der Präsident Monroe schon damals mit "Amerika" gleichsetzt, endet danach nicht mehr vor den Azoren oder vor Hawaii, sondern wird horizont- und grenzenlos. "Today, all the world is America", bringt Brzezinski den Kerngedanken der "One World"-Politik bereits Ende der 1960er auf den Punkt. "Die Erde ist heute zu klein für zwei entgegengesetzte Systeme", formuliert der US-Kriegsminister Stimson bereits 1941 vor US-Kadetten in Westpoint nicht ohne Hintersinn. Gemeint ist damit nämlich nicht mehr der amerikanische Kontinent, die Teilung der USA vor Ausbruch des Sezessionskrieges in Nord- und Südstaaten, sondern der ganze Planet und die darauf lebende Menschheit. Was westlich von östlich unterscheidet, was Recht oder Unrecht, Krieg oder Frieden ist, definieren, deuten und sanktionieren letztlich die USA höchstselbst und in Eigenregie.

US-Außenpolitik ist immer und zugleich auch Innenpolitik. Anders als Europäer, die die Macht (zumindest in ihren öffentlichen Äußerungen) gern durch das Recht begrenzt wissen wollen, folgen Amerikaner lieber dem umgekehrten Grundsatz, bei dem die Macht das Recht definiert. Beispielsweise behalten sich die Vereinigten Staaten vor, Gebietsänderungen, die durch unbotmäßige Gewalt zustandekommen (Stimson-Doktrin), die rechtliche Anerkennung zu verweigern. Sie behalten sich ferner vor, internationalen Organisationen, Kommissionen oder Vereinbarungen, die die Interessen, die Sicherheit oder die Souveränität des Landes beieinträchtigen, bedrohen oder unterminieren, mit Geringschätzung oder Missachtung zu strafen. Und sie behalten sich schließlich auch vor, überall auf der Welt, wo sie es für nötig halten oder sie nationale Interessen gefährdet sehen, militärisch zu intervenieren. Noch während WK II vermutet der US-Völkerrechtsjurist Jessup, dass das "Argument der Selbstverteidigung" (siehe Afghanistan und den Irak) noch dazu führen wird, dass die USA "eines Tages am Jangste, an der Wolga und am Kongo Krieg führen wird."

Wird die Welt aber als zu klein für zwei, drei oder mehrere einander entgegen gesetzte Systeme oder Großräume befunden, muss jede Außen- und Sicherheitspolitik unweigerlich zu einem Akt von Weltinnenpolitik geraten. Welt- und/oder Friedenspolitik mündet in Weltbürgerkriegspolitik (Der Nomos der Erde). "Alle großen Kriege", schlussfolgert daraus der große US-Soziologe Walter Lippmann noch vor Ausbruch von WK II, sind fortan "Bürgerkriege. Sie sind keine Schlachten gegen einen fremden und gänzlich andersartigen Feind, sondern innere Kämpfe innerhalb eines Gemeinwesens, dessen Glieder engstens miteinander verbunden und voneinander abhängig sind."

Denkt man diesen Gedanken zu Ende, dann stehen den Völkern und Nationen noch endlose Weltbürgerkriege bevor. Und zwar solange, bis alle Besonderheiten und Unterschiede (Klassen, Rassen, Kulturen, Ethnien ...) im System des universellen Marktfriedens aufgehoben, alle Antagonismen, Feindschaften und Asymmetrien beseitigt und die Menschen zu Bürgern und Kosmopoliten eines "idealen" (Platon) oder "homogenen und universellen Staat" (Kojève) werden, die sich in absichtslosen Aktivitäten vergnügen.

Für Schmitt (auch für Jean Baudrillard oder Giorgio Agamben) würde ein solches sich selbst transparentes Zeitalter ohne jeglichen Ernst die Katastrophe schlechthin bedeuten. Ein solcher "Weltstaat" wäre seiner Ansicht nach kein politisches Gebilde mehr, sondern ein "polizeimäßig" verfasstes. Statt mit Armeen hätten wir es künftig mit einer Weltpolizei zu tun, die jeden "Friedensbrecher" oder "Friedensstörer" militärisch abmahnt oder mit dem Strafgesetz verfolgt. Die technische Umrüstung der Armeen zu mobilen und schnellen Eingreiftruppen, die wir überall beobachten; der Trend zur Entwicklung unbemannter, taktischer und schmutziger Waffen, der in geheimen Waffenlabors in Siebenmeilenstiefeln voranschreitet; die wachsende Entstaatlichung und Privatisierung des Krieges, die sich zu Terror und Counter-Terror auswachsen und die wir im zweiten und dritten Teil unserer Abhandlung aus dem "unbedingten Willen zum Frieden" erklärt und begründet haben, weisen auf die Logik einer solchen Entwicklung zu einer polizeiförmigen Weltinnenpolitik hin.

Die ganze Erde wird immer größer sein als die Vereinigten Staaten von Amerika.

Carl Schmitt

Multilaterale Politik

Die andere Möglichkeit, die sich am Horizont abzeichnet, ist die einer plural verfassten Ordnung, die aus mehreren ausbalancierten Großräumen (balance of power) besteht, die schiedlich-friedlich nebeneinander ko-existieren, sich gegenseitig achten und sich vielleicht sogar als Feinde anerkennen. Vorbild einer solchen "multilateralen" Rechtsordnung ist neben der ursprünglichen Monroe-Doktrin gewiss das alte ius publicum europaeum, das auf seinem Gebiet verschiedene Mächte behauste, die sich als Träger selbstständiger Ordnungen verstanden und ein räumlich geordnetes Nebeneinander auch unterschiedlicher politischer Akteure erlaubte.

Je nach Perspektive kommen derzeit dafür fünf Großräume in Betracht: Amerika, die EU (Das neue Byzanz), und, als neuer aufsteigender Großraum, China. Konfrontiert werden diese drei Großräume "relativen Friedens" mit zwei anderen Großräumen, dem Greater Middle East oder "Eurasischen Balkan" (Zbig Brzezinski) sowie Afrika, die beide für die drei Großräume eine permanente Zone des Konflikts und der ständigen Instabilität (Und morgen die ganze Welt) darstellen.

Der Part der Vereinigten Staaten in dieser Ordnung dürfte ziemlich klar sein, wenn wir von der südamerikanischen Drift mal absehen, die durch Leute wie Chavez entstehen könnte. Wie sich EU und China letztlich geopolitisch entwickeln und territorial sich verorten und positionieren werden, ist derzeit noch nicht abzusehen. Ob Europa die transatlantische Karte zücken oder die eurasische Variante wählen und sich mit Russland verbünden wird (Eurasische Gegenmacht); ob China sich westwärts orientieren und mit Russland kooperieren oder in den pazifischen Raum expandieren und die asiatische Option spielen und folglich mit Japan kollidieren wird, ist geo- und machtpolitisch zwar hochspannend, aber aus heutiger Sicht ebenso wenig auszumachen. In welche Richtung sich die EU und China bewegen werden, wird auch von der Zusammensetzung künftiger Regierungen abhängen.

Klar hingegen scheint, dass sowohl die EU als auch China der politischen Gestalt, Figur und Kreateur eines Großraums, wie Schmitt sie skizziert, derzeit am nächsten kommen. Während China eher dem Bild einer autoritären Führungsmacht entspricht, die abhängige Nationen und Völker bevormundet und knebelt, westliche Technologie, Geschäfts- und Erfolgsmodelle ohne Skrupel abkupfert (Copyrightverletzungen) und unliebsame Einmischung von außen (Internet, Infowar) strikt abwehrt und kontrolliert, wird der Raum der EU von gemeinsamen politischen Ideen, Werten und Prinzipien (Demokratie, Freiheit, Sozialstaatlichkeit ...), die sich trotz diverser nationaler Widerstände und Eitelkeiten (siehe politische Verfassung) allmählich zu einer europäischen Leitkultur ("universelle Wertegemeinschaft") formen, getragen und genährt. Innerhalb ihrer Grenzen, die trotz anderslautender Meinungen, geografisch und rechtlich klar verortet sind, ist weitestgehende Freiheit und Autonomie der Völker sichergestellt, auch was ihre Partizipation, Mitbestimmung und Entscheidungsfindung angeht. Hinzu kommt, dass die EU einen regen ökonomischen Austausch mit anderen Großräumen unterhält, dabei aber strikt darüber wacht, dass ihre Rechtsauffassung auch eingehalten wird.

Dass sowohl China als auch die EU mittlerweile auch an Raumnahmen Geschmack finden und ihre militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten stetig ausbauen und auf den neuesten technischen Stand bringen, um sich Ressourcen, Rohstoffe und Energiequellen zu sichern, steht dazu beileibe nicht im Widerspruch. Während China dabei eher dem klassischen Bild ihre Mandarine folgt und sich am Grundsatz des "Nehmens und Teilens" orientiert, setzt die EU, obwohl politisch eher "Konsolidierung" und "Vertiefung" angesagt ist, verstärkt und ausnahmslos auf den Terminus der konzentrischen "Erweiterung" (Experiment Europa).

Das Modell, das sie der Welt anbieten will, schreibt Steven Everts, Direktor am "Centre for European Reform" im Februar 2001 in einem Arbeitspapier (Unilateral America, Lightweight Europe?), ist "die Unterwerfung aller zwischenstaatlichen Beziehungen unter die Herrschaft des Rechts". Dieser scheinbar "friedliche" Bezug einer erfolgreichen, aber multilateralen Politik auf einen "Ewigen Frieden" á la Kant oder Habermas, wecke ihrerseits jedoch bereits "den Ehrgeiz, die Welt zu bekehren." Europa, zitiert Everts den damaligen EU-Kommissionspräsident Romano Prodi darin, habe bei der Gestaltung einer Weltordnungspolitik die Aufgabe, "die europäische Erfahrung im weltweiten Maßstab zu wiederholen."

Da es aber meine Absicht ist, etwas Nützliches für den zu schreiben, der es versteht, schien es mir angemessener, der Wirklichkeit der Dinge nachzugehen als den bloßen Vorstellungen über sie.

Niccoló Machiavelli

Raumpolitische Vorkehrungen

Damit genau dieser Fall nicht eintritt, diese hidden mission, die Robert Kagan der EU insgeheim unterstellt, nicht zum Double jenes Friedens wird, der die Welt mit einer mission civilisatrice überziehen will, hat Schmitt seine Großraumordnung mit dem rechtlichen Prinzip der Nichteinmischung raumfremder Mächte konzipiert. Die ausbalancierte Gegenmacht anderer Großräume soll verhindern, dass der "friedliche" Transfer von Zeichen und Wundern, auch des europäischen, auf den Rest der Welt unterbleibt. Andernfalls würde der Circulus vitiosus, den Pazifismus, Universalismus und Humanitarismus in Gang gesetzt haben und deren heimliche Motive wir aufzudecken und zu dekonstruieren versucht haben, auf Dauer gestellt.

Dass das Zusammenleben zwischen Großräumen nicht von einem substantiellen Frieden getragen werden kann, versteht sich von selbst. Gegen den Grundsatz, "die Erhaltung des Friedens zur obersten Rechtspflicht" zu machen, ist zunächst natürlich nichts einzuwenden. Doch muss immer auch die Frage gestattet bleiben, welcher Friede und zu welchem Preis. Die Zulässigkeit des Krieges, und damit der Kern des Politischen, muss erhalten werden, geregelt und in Form. Nur so behält das Völkerrecht, das im Grunde nichts anderes als ein ius belli ac pacis ist, Sinn und Bedeutung. Damit aber Krieg, auch auf diesem Niveau, bloßes Säbelrasseln und Sturm im Wasserglas bleibt, braucht es, zumal die technische Entwicklung keine Schubumkehr kennt, die Existenz solcher Massenvernichtungswaffen.

Eine internationale Großraumordung, die ein solches neues Völkerrecht schafft und akzeptiert, könnte dafür Sorge tragen, dass andere Völker sich nicht mehr genötigt fühlen, aus welchen Gründen auch immer, sich in ihren Besitz bringen zu müssen. Das leidige Thema der Proliferation und Verbreitung von MVWs wäre vom Tisch. Die Erfahrung aus dem Kalten Krieg, friedliche Ko-Existenz durch Abschreckung zu erhalten, könnte dabei nicht nur ein höchst lehrreiches Exempel liefern. Sie könnte zudem auch einen "echten Frieden" befeuern, der von einer Raumordnung getragen wird, die sowohl die Freiheit des einen als auch die Fremdheit und kulturelle Andersheit des anderen achtet und anerkennt.

Always Love...hate will get you every time
Always Love...even when you ought to fight.

Nada Surf

Postskriptum

Statt eines Fazits oder Schlussworts möchte ich unseren mehrteiligen Kommentar zur "Unauffindbarkeit des Friedens" mit zwei kleinen Geschichten beenden. Beide stammen aus der Feder von Carl Schmitt.

Die eine ist eine Kurzfabel, die Carl Schmitt in einer Fußnote vermerkt und die wir allen Friedliebenden, die sich regelmäßig in Foren und Marktplätzen zahlreich und plärrend zu Wort melden, ans Herz legen. Sie geht so:

Zwei kleine Mäuse leben miteinander in heftiger Feindschaft und taten sich gegenseitig alles Böse an. Eines Tages fraß die Katze die eine der beiden Mäuse. Die andere betrachtete daraufhin die Katze als ihren Freund und Bundesgenossen und fühlte sich bewogen, ihr einen Dankbesuch abzustatten. Dabei wurde sie dann ebenfalls gefressen.

Bei der anderen handelt es sich um eine Anekdote, die wir allen humanitären Bellizisten, die sich im Namen der Menschheit und Moral ständig selbst zum Handeln ermächtigen, widmen. Sie bildet die Schlusssequenz von "Die legale Weltrevolution" von 1978, einem der letzten Texte des Staatsrechtlers und politischen Juristen. Darin wird von Ramón María Narváez, einem spanischen Machthaber, berichtet, der auf dem Sterbebett von seinem geistlichen Berater gefragt wird: "Verzeihen Sie Ihren Feinden?" Worauf dieser mit besten Gewissen geantwortet haben soll: "Ich habe keine Feinde; ich habe sie alle getötet!" Schmitt, der Ironie trotz allen Ernstes nicht gänzlich abgeneigt, soll dem Besitzer eines Sonderdrucks handschriftlich hinzugefügt haben: "moderner: ich habe sie alle umerzogen."

Nichts könnte den "unbedingten Friedenswillen" der einen sowie die "Moralisierung des Politischen" der anderen klarer und besser demonstrieren als diese beiden Geschichten. Sie zeigen, dass der Konnex zwischen "Frieden und allgemeiner Glückseligkeit" ein ebenso fantastisches wie dümmliches und wenig wünschenswertes Ziel ist und bleiben wird. Eine solche Kopplung leugnet nicht nur, dass das Leben zum wesentlichen Teil aus einem "unausweichlichem Kampf" (Max Weber) besteht, der jedes Mal und zu allen Zeiten von jeder neuen Generation neu geführt und bestanden werden muss. Sie würde obendrein auch noch dem Zustand jener "letzten Menschen" bedrohlich nahe kommen, vor dem Nietzsche dringlich gewarnt und gegen den er die Pfeile seiner bitterbösen Polemik geschleudert hat. Am "Sinner in me", Depeche Modes heilsgeschichtliche Deutung von Theodor Däublers "Feind als unsere eigene Frage als Gestalt", können auch Beschwörungsformeln wie die der fantastischen "Nada Surf" nichts ändern.

Literatur zum Thema