Von Newton zu Einstein

Wie ein französischer Programmierer das PDA-Betriebssystem Newton OS erhalten und renovieren will

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit 1998 stellt Apple seinen Newton PDA (vgl. Newtons ausrangierter Apfel) nicht mehr her. Obwohl selbst zu seinen besten Zeiten nur vergleichsweise wenige Exemplare auf den Markt fanden, gibt es bis heute Tausende begeisterter Nutzer, für die der Newton das Maß aller Dinge ist.

Was auch dazu führt, dass eine Mailingliste wie Newtontalk mehr als zweitausend Mitglieder haben kann und für das Flagschiff der Produktserie, das MP 2100, bei eBay erstaunliche Preise erwartet werden, - jedenfalls, wenn sich das Exemplar in neuwertigem Zustand befindet.

Aber die manchmal übertriebene Verehrung der Nutzer (vgl. Heiliger Newton, bitt für uns) kam in den letzten Jahren immer deutlicher an ihre Grenzen. Die Fangemeinde scheute keine Mühen, um den Newton für WLAN, Bluetooth, die Wiedergabe von mp3s und andere moderne Anwendungen fit zu machen. Aber obwohl einzelne Enthusiasten die Hardware bis heute reparieren und sogar in begrenztem Umfang Hardware-Neuentwicklungen in Angriff genommen wurden, war klar, dass früher oder später der letzte Newton den Geist aufgeben würde.

"Newton never dies, it just gets new hardware"

Der Franzose Paul Guyot reagierte mit einem Slogan, der an die besseren Zeiten der Newton-Plattform anknüpfte. Hatte es früher geheißen: "Newton never dies, it just gets new batteries" sagte Paul Guyot nun: "Newton never dies, it just gets new hardware." Das hätte man nun für bloße Angeberei halten können, aber Paul Guyot hatte schon vorher Belege für seine erstaunlichen Fähigkeiten im Umgang mit dem Betriebssystem geliefert.

Er hatte den ersten nicht von Apple stammenden Systempatch geschrieben und noch viel wichtiger, einen Gerätetreiber, der es erlaubte, statt der von Apple vorgesehenen linearen Flash-Speicherkarten ATA-Karten zu benutzen, was die magere Speicherkapazität des fortgeschrittensten Newton-Modells theoretisch auf erstaunliche 12 Gigabyte erhöht. Theoretisch deswegen, weil die Schreibgeschwindigkeit für die betreffenden Microdrives so gering ist, dass an eine sinnvolle Arbeit mit so hohen Speicherkapazitäten nicht gedacht werden kann.

Aber 340 oder 512 Megabyte sind durchaus sinnvoll nutzbar. Aufgrund der exotischen Hardware- und Speicherarchitektur der Newtons hatten viele es für ausgeschlossen gehalten, einen ATA-Treiber für die Plattform zu schreiben, dass Guyot es dennoch schaffte, sicherte ihm in der Szene einen nahezu mythischen Ruf.

Neue Fähigkeiten

Diesen Ruf festigte er, als er 2004 die erste Version eines Newton-Emulators vorstellte, den er selbstbewusst "Einstein" nannte. In den letzten zwei Jahren hat er diesen Emulator immer weiter verbessert, und auf der World Wide Newton Conference 2006 in San Francisco konnte er einen Sharp Zaurus zeigen, auf dem tatsächlich Newton OS lief - wiederum eine Sache, die viele für ausgeschlossen gehalten hätten. Streng genommen handelt es sich bei Einstein nicht um eine vollgültige Emulation, Paul Guyot hat eine Brücke zum Starten eines Newton-ROM-Images gebaut. Das Vorhandensein eines solchen Images ist unabdingbare Voraussetzung für den Betrieb.

Einen ähnlichen Trick wendet die Basilisk-II-Emulation für ältere Apple-Betriebssysteme an, um sie auf den unterschiedlichsten Plattformen zum Laufen zu bringen.

Guyot hat mit Einstein viel vor. Erstens will er die Emulation bedeutend beschleunigen, bisher ist sie noch eine Technikdemonstration, die zeigt, was möglich ist. Zweitens will er sie mit den Schnittstellen moderner PDAs versöhnen, was bisher nicht geschehen ist. Drittens kündigt er an, Newton OS in seiner neuen Inkarnation mithilfe einer Softwaretechnologie, die er "Relativity" nennt, Fähigkeiten beizubringen, die es früher nie hatte, zum Beispiel Farbdarstellung, wie man sie von einem modernen PDA erwartet. Es wird sich zeigen, wie viel davon Wirklichkeit wird.

Für einen einzelnen Programmierer sind das Aufgaben von ernüchternder Komplexität. Hartnäckigkeit hat Paul Guyot jedenfalls bewiesen, und sollte Apple je planen, wieder einen PDA auf den Markt zu bringen, wäre er ein ganz heißer Kandidat für den Posten des Projektleiters. Die Szene reagierte auf seine Präsentation begeistert. Binnen weniger Tage brachten Anwender die Emulation unter anderem auf einem Nokia 770, einem Pepperpad 2 und einem SimPad zum Laufen. Es ist wohl ganz so wie Guyot in seiner trockenen Art angekündigt hatte: Einstein sollte auf jedem eingebetteten System laufen, das die X11-Architektur beherrscht und über genug Speicher verfügt.

Nüchtern betrachtet werden Einstein und Relativity natürlich nicht dazu führen, dass der Newton "wiederkehrt", wie manche in einer komischen Wiedererweckungshoffnung glauben. Aber dass ein sehr schönes und leistungsfähiges PDA-Betriebssystem überlebt, bis wieder etwas Vergleichbares auf den Markt kommt, ist neuerdings viel wahrscheinlicher geworden.