Viele Schiffe werden kommen

Ob legal oder verdeckt: Israelische Waren florieren auf arabischen Märkten

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So neu war er nicht, der kürzliche Aufruf der norwegischen Finanzministerin und Vize-Ministerpräsidentin Kristin Halvorsen zum Boykott israelischer Waren. Seit Jahren starten unter den EU-Staaten vor allem die Nordlichter Initiativen, um die von Israel an Palästina begangenen Völker- und Menschenrechtsverletzungen im Fokus zu halten. Der reinste Balsam auf den Seelen der arabischen Nationen, die seit 1948, dem Jahr von Israels Staatsgründung, den Erzfeind und alle, die mit ihm kooperieren, boykottieren. Mit Einschränkungen - schließlich wollen Diktaturenthrone gehalten, Globalisierungsinteressen ausgeschöpft und eigene Markttristessen halbwegs kompensiert werden.

Für den ersten tiefen Riss in der Boykottmauer sorgte Ägypten. Durch den Friedensvertrag legalisierte es 1979 seine Wirtschaftsbeziehungen zu Israel. Der Handel blühte in dem seither herrschenden "Kalten Frieden" zwar nicht auf, aber ein Anfang war gemacht, der seine Fortsetzung mit der Madrider Friedenskonferenz und den Friedensabkommen zwischen Israel, der PLO und Jordanien fand. Auch Qatar, Oman und Marokko begannen direkten Handel mit Israel zu treiben.

Eine Entwicklung, die mit dem Scheitern des Friedensprozesses und dem Ausbruch der 2. Palästinensischen Intifada wieder ins Stocken kam. 2001 griff die Arabische Liga den Boykott erneut auf, 2002 versammelte das wieder bedeutungsvoll gewordene Zentrale Boykottbüro 15 arabische Staaten in Damaskus, um eine Neuformation der alten Front zu mobilisieren. Lediglich Jordanien, Ägypten und Mauretanien, das ebenfalls mit Israel Frieden geschlossen hatte, interessierten sich nicht für die Schwarze Liste zu boykottierender Unternehmen, die unter anderem Coca Cola und Estée Lauder (aber auch Siemens) umfassen soll.

Millionen-Dollar-Schmuggel

Hinter den Kulissen sieht es allerdings anders aus: In immer größerem Ausmaß gelangen israelische Waren auf die arabischen Märkte, meist auf dem Seeweg über Zypern, das beispielsweise 2001 Waren im Wert von US $ 164 Millionen aus Israel importierte, aber nur US $ 27,5 Millionen dorthin exportierte. Dass ein Großteil des Überschusses in den Boykottzonen landete, ist überaus wahrscheinlich.

Von Pharmazeutika über landwirtschaftliche Bewässerungssysteme bis hin zu neuesten Informationstechnologien und mitunter dem Maccabi-Bier - gefragt ist viel. Soviel, dass Gil Feiler, Direktor des Tel Aviver Info-Prod-Research Institutes, das jährliche Schmuggel-Volumen auf US $ 400 Millionen schätzt, mehr als doppelt so viel wie die offiziellen israelischen Exporte nach Jordanien und Ägypten in 2004 ausschütteten soll.

Von israelischer Warte aus mehr als erfreulich, denn ob die Waren nun (mit oder ohne Umbeschriftung) in Beirut, Casablanca oder in den Hochburgen der vorgeblichen Erzfeinde Syrien und Saudi-Arabien landen: Für Israel bedeutet diese Infiltration eine Ausweitung seiner Vormachtstellung in der Region. Von einem umgekehrten Schmuggel-Gang kann aufgrund der schwachen arabischen Bruttoinlandsprodukte nämlich keine Rede sein.

Kolonialisierung ohne Waffengewalt?

Auch beweist die Nachfrage nach Bewässerungs- und Informationstechnologien, woran es fehlt: am arabischen Know-How. Ein Manko, an dem sich kurzfristig kaum etwas ändern wird. Tragischerweise gründet aber eben darin, nebst aller politischen Motive, einer der arabischen Vorbehalte gegen eine legalisierte Kooperation: Zum Know-How aus Israel würden sich lediglich die Billiglohnkräfte aus den arabischen Nachbarländern gesellen - kurz, eine vertraglich unterzeichnete Festschreibung der israelischen Dominanz auf wirtschaftlicher wie politischer Ebene stünde ins Haus. Dass die Diktaturen mit ihren bis zur Konkurrenzunfähigkeit gehüteten Marktmechanismen an dieser Ungleichheit selbst Schuld tragen, steht außer Frage.

Hinzu kommt jene arabische Denktradition, "die wirtschaftliche Selbstversorgung und Unabhängigkeit bis hin zur Autarkie" betont, wie Eberhard Kienle, heutiger Direktor des Institut de Recherches et d' Études sur le Monde Arabe et Musulman, in seiner vielfach noch gültigen Studie von 1994 anmerkte.

Zugleich lässt der Werdegang Palästinas bislang nicht darauf schließen, dass Israel an etwas anderem als an Kolonialisierungsverhältnissen gelegen ist. Dabei provozierte die illegale Aneignung von Wasser und Land eine Gewaltspirale, die seinen Haushalt in schwindelerregende Militärausgaben stürzte. Mittlerweile liegt die Arbeitslosigkeit bei ca. 10 Prozent, die Inflationsrate bei ca. 8,5 Prozent, Investoren und Touristen bleiben seit Jahren aus, einzig die Rüstungsindustrie boomt. Mit 10 bis 14 Prozent Weltmarktanteilen gilt das Land seit 2004 als fünftgrößter Exporteur von Waffen. In deren Genuss kam bereits während des iranisch-irakischen Krieges in den achtziger Jahren der Iran.

Lockruf der WTO

Trotz des rückläufigen Friedensprozesses und der nimmermüden Solidaritätsbekundungen mit Palästina läuft der Schmuggel munter weiter. Und angesichts der fortschreitenden Globalisierung finden immer mehr arabische Staaten Geschmack an einer Normalisierung ihrer ökonomischen (nicht etwa politischen, wie sich alle zu betonen beeilen) Beziehungen zu dem von den USA rigoros protegiertem Israel.

So erklärte sich Bahrain im Zuge seines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr bereit, den Boykott aufzugeben. Eine von den USA an den Vertrag geknüpfte Bedingung, die im Januar zuletzt auch Oman akzeptierte. Vom Schwergewicht Saudi-Arabien, das jahrzehntelang unerbittlich an dem Boykott festhielt, wird Gleiches erwartet, zumal Riad seit Dezember 2005 Mitglied in der Welthandelsorganisation ist und fortan regelmäßig auf Kollege Tel Aviv trifft.

Ein heikler Akt für die arabischen Diktaturen, die sich inländisch einer zunehmenden "West"-Feindlichkeit und Islamisierung stellen müssen. Syrien, das freilich noch am weitesten vom US-Segen entfernt ist, versucht das Problem derzeit so zu lösen: Zu Jahresbeginn eröffnete in Damaskus ein zum Imperium des Kuwaiti Nasser al-Kharafi gehörender Kentucky Fried Chicken - und bis Jahresende sollen gleich mehrere islamische, die Scharia-Richtlinien befolgende Banken stehen.