Anzapfen, Abhören, Abstreiten

Die US-Regierung verteidigt ihren Lauschangriff auf wahrscheinlich 5.000 Bürger, der nur mit Hilfe der Telefonkonzerne möglich war

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Schon im Dezember 2005 hatte die „New York Times“ berichtet, dass der amerikanische Geheimdienst NSA (National Security Agency) Telefongespräche und E-Mails zwischen den USA und dem Ausland ohne richterliche Erlaubnis überwacht (). Ein jetzt eingesetzter Rechtsausschuss des Senats will es genauer wissen. Derweil hat die Electronic Frontier Foundation eine Klage gegen den Telefonkonzern AT&T wegen der vermeintlichen Mithilfe an der Abhöraktion eingereicht.

Die Vorgeschichte: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 herrscht in den USA ein Kampf gegen alles, was dem Terror oder der Unterstützung von Al-Qaida verdächtig ist. Der im November 2001 erlassene „Patriot Act“ erlaubt bestimmte Einschränkungen von Bürgerrechten, wenn es denn dem Ziel der Terrorabwehr dient. Aber das war der Regierung nicht weitgehend genug. Die Bush-Regierung beruft sich daher vor allem darauf, dass der Kongress mit der Ermächtigung des Präsidenten zum Krieg gegen die Terroristen vom 11.9. diesen auch die Befugnis gegeben habe, alle notwendigen Schritte durchzuführen. Ob dazu nun auch das massenhafte Abhören von Telefonaten von US-Bürgern gilt, ist umstritten (). Der Standpunkt von Präsident Bush ist klar: „Wenn Al- Qaida irgendjemand in Amerika anruft, dann wollen wir wissen, was während des Telefonats gesprochen wird.“ Und schnell hatte Bush zur Rettung des Lauschprogramms einen Namen parat, der für die Bürger weniger bedrohlich erscheinen soll: "terrorist surveillance program".

Seit 2002, so steht mittlerweile fest, hört die NSA regelmäßig Auslandsgespräche ab. Seit Jahren wird ihr daher von Kritikern die Verletzung gleich mehrerer Verfassungsgrundsätze vorgeworfen. Nicht nur die Gewaltenteilung, auch der Schutz vor illegaler Durchsuchung und das Gesetz zur Regelung von Auslandsüberwachungen, der 1978 erlassene FISA (Foreign Intelligence Surveillance Act) würden verletzt. Dieser hatte ein geheim tagendes Gericht eingesetzt, dass Geheimdiensten wie der NSA jede einzelne Überwachungsmaßnahme genehmigen muss.

Auf diese Genehmigung hatte die Bush-Administration keinen Wert gelegt. Der nun vor dem Ausschuss vorgeladene Justizminister Alberto R. Gonzales, der die Existenz des Abhörprogramms bei einer früheren Aussage wider besseres Wissen geleugnet hatte, verteidigte die Abhöraktionen der NSA und berief sich auf das „inhärente“ Recht des Präsidenten als Oberbefehlshaber der Armee, die Kommunikation des militärischen Feindes zu überwachen. Der FISA wäre deshalb nicht zum Tragen gekommen, so Gonzales, weil auch dieses Gesetz Ausnahmen zuließe. Und genau diese hätte der Kongress mit der Ermächtigung zum Krieg gegen Al-Qaida bewilligt. Dieser spitzfindigen Argumentation, die die USA in einen Kriegszustand erhebt, wollte allerdings im Ausschuss niemand folgen.

Aufgrund der Geheimhaltung bleibt unklar, um welche Größenordnung es in dem Fall überhaupt geht. Laut Gonzales ging es nur um Gespräche oder Email-Verkehr, bei denen entweder der Absender oder der Empfänger ein Mitglied oder Helfer Al-Qaidas oder einer verwandten Terrorgruppe war. Genauere Zahlen wollte er nicht nennen. Unter Berufung auf anonyme Geheimdienstquellen spricht die „Washington Post“ dagegen von 5.000 Amerikanern, deren Gesprächen und Mails von der NSA mitgeschnitten worden seien. Ob die Inhalte danach archiviert oder gelöscht wurden, ist nach Angaben der Zeitung unklar. Jährlich würden sich allerdings nur rund zehn Personen herauskristallisieren, deren Kommunikation so verdächtig sei, dass auch die Überwachung von Inlandgesprächen beantragt wurde.

Funktioniert so die „Krake NSA“? Grafik (größer : nsawatch.org

An welchen geografischen Punkten, mit welchen technischen Maßnahmen und in welchem Umfang die NSA amerikanische und weltweite Kommunikation abgehört hat und auch noch heute abhört, ist Gegenstand wildester Spekulationen. Es steht der Verdacht im Raum, dass einige der großen Telekommunikations-Dienstleister Schnittstellen zur NSA eingerichtet haben. Eine Reihe von Unternehmensfusionen in der Branche hätte diesen Regierungszugriff tatsächlich erleichtert. MCI wurde vom zweitgrößten Telefonkonzern der USA, Verizon Communications, übernommen, Sprint ging mit Nextel zusammen und SBC übernahm „Ma Bell“ AT&T. Der Effekt: Fast der gesamte internationale Telefonverkehr aus den USA heraus wird von drei Unternehmen geleitet.

Glasfaserkabel im Atlantischen Ozean. Grafik: Alcatel

Über 90 Prozent der Telefonate und Internetdaten laufen über Glasfaserkabel, die meisten davon liegen im Atlantischen Ozean. Die USA sind ohnehin nach wie vor die Drehscheibe globaler Kommunikation. Alan Mauldin, Forscher bei TeleGeography: "Zum Beispiel wird fast der gesamte Internet-Verkehr zwischen Südamerika und Asien oder auch zwischen Südamerika und Europa über die USA geroutet." In welchem Ausmaß die NSA überhaupt auf die Mithilfe der Internetprovider und TK-Konzerne angewiesen ist, das bleibt ebenfalls unklar. An Land werden die Signale in Glasfaserkabeln alle 80 Kilometer durch „Repeater“ verstärkt. Die kleinen Häuschen hierzu stehen zumeist irgendwo in der Pampa. Auf der anderen Seite ist das Anzapfen der empfindlichen Glasfaserkabel technisch kompliziert.

Datenschützer und Bürgerrechtler sind alarmiert und drängen auf Aufklärung. Die American Civil Liberties Union hat die NSA schon im Januar 2006 wegen der Bespitzelung der Mitbürger verklagt, nun hat die Electronic Frontier Foundation eine Klage gegen AT&T eingereicht. Der Vorwurf: Verletzung von Datenschutzgesetzen. AT&T und die anderen Telekommunikationsriesen sind zu Stellungnahmen nicht bereit, AT&T verwies dabei auch gegenüber Telepolis auf die „nationale Sicherheit“. CNET befragte 27 große TK-Unternehmen und Internetprovider, ob sie mit der NSA zusammengearbeitet hätten, 15 davon stritten dies ab, die anderen waren zu keiner Antwort bereit. Die Zeitung USA Today meldete dagegen, dass AT&T, MCI und Sprint mit der NSA kooperiert hätten.

Die Klagen haben wenig Aussicht auf Erfolg, die TK-Unternehmen können kaum dafür haftbar gemacht werden, wenn eine oberste Regierungsstelle aus „Gründen der nationalen Sicherheit“ den Zugriff auf Datenbanken und -leitungen haben will. Wer aus den USA mit Geschäftspartner im Nahen Osten kommuniziert, muss also weiterhin damit rechnen, dass sein Gespräch mitgeschnitten wird. Die Regierung wird zwar nicht müde zu behaupten, dass dies nur dann geschehe, wenn ein „Terrorist oder dem Terror verdächtige Organisation“ kontaktiert würde, aber diese Definition bleibt dehnbar.

Der Rechtsausschuss in Washington wird zu mindestens einer weiteren Sitzung zusammenkommen. Allzu groß wird der Druck auf die Regierung Bush nicht werden. Nach einer Umfrage der Washington Post unterstützen drei Viertel der Republikaner und ein Drittel der Demokraten weiterhin das Abhörprogramm der NSA. Der Chefstratege im Weißen Haus, Karl Rove, warf diesen eine „prä-9/11 Weltsicht“ vor. Die Abgeordnete der Demokraten, Hillary R. Clinton, widersprach: „Ich unterstütze die Verfolgung von Terroristen, aber ich denke das, kann auch auf dem rechtsstaatlichen Weg passieren.“