Der Hurenbock-Pranger

BILD setzt die moralische Talfahrt unbeirrt weiter fort

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„Es ist der Huren-Pranger, über den Amerika schmunzelt“ – und es sind die Hurenböcke in der BILD-Redaktion, für die sich Deutschland schämen müsste. Das Springer-Blatt veröffentlichte am 7. Februar Fotos und vollständige Namen von 11 angeblichen Prostituierten aus Florida. Dafür gab es nur einen Grund: Die Befriedigung der voyeuristischen Bedürfnisse von BILD-Redakteuren und Teilen ihrer Leserschaft.

Jedes mal glaubt man, dass es nicht mehr weiter nach unten gehen könne, dass BILD diesmal den tiefsten Punkt im Sumpf der publizistischen Perversitäten erreicht habe. Spätestens wenige Tage später wird man eines besseren belehrt. Die Beispiele reichen von öffentlich zur Schau gestellten Hinrichtungen aus dem Irak über „Folterwitze“ bis zur menschenunwürdigen Diskriminierung der „Holland-Tussi“ von RTL. Die journalistischen Amokläufe von Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung sind offenbar kaum noch zu stoppen, wie der über eine halbe Seite veröffentlichte „Huren-Pranger“ zeigt.

"Ruchlosigkeit, millionenfach"

Wie kommt eine deutsche Zeitung dazu, Fotos und vollständige Namen von elf jungen amerikanischen Frauen zu veröffentlichen, die nach unserem Recht höchstens geringe Ordnungswidrigkeiten begangen haben? Und was treibt BILD-Redakteure an, einen dermaßen menschenverachtenden Text zu verfassen, in dem die verängstigt blickenden Beschuldigten als „verführerisch lächelnd“ oder „mürrisch starrend“ dargestellt werden? „Ruchlosigkeit, millionenfach“, diese Antwort gab ZEIT-Herausgeber Michael Naumann in einer wütenden Polemik nachdem BILD am zweiten Tag der Osthoff-Entführung mit der Schlagzeile „Wird sie geköpft?“ erschienen war.

Schmuddelgeschichten hin, üble Kampagnen her, der Einfluss von BILD ist in den vergangenen Jahren zweifelsohne gestiegen – gerade in der Politik. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder räumte ganz unumwunden ein, dass er morgens zuerst in das Massenblatt schaue, bevor er sich anderen Zeitungen zuwende. Entsprechend setzte BILD Schröder und andere Politiker regelmäßig unter Druck. Und das mit offensichtlichem Erfolg. „Steuern runter!“, forderte das Blatt im Juni 2004 und nach der Hurrikan-Katastrophe von New Orleans Anfang September 2005 „Kanzler rück den Billigsprit raus!“ Die Steuern wurden gesenkt und staatliche Ölreserven angezapft.

BILD ist längst "Pflichtlektüre"

Auch für viele Journalisten gehört BILD längst zur Pflichtlektüre, wie eine Untersuchung des Medienwissenschaftlers Carsten Reinemann von der Universität Mainz ergab. Er ermittelte schon 2003, dass rund zwei Drittel der befragten Journalisten neben Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung täglich auch BILD lesen, um „die Anschluss- und Konkurrenzfähigkeit der eigenen Berichterstattung beim Publikum sicherzustellen“. Boulevard-Magazine, selbst die der öffentlich-rechtlichen TV-Programme wie „Brisant“ in der ARD und das ZDF-Pendant „Hallo Deutschland“, greifen am frühen Abend regelmäßig die Themen auf, die das Blatt schon am Morgen "auf den Markt geworfen“ hatte.

Dabei spielt es für die Fernsehredakteure offenbar keine Rolle, dass BILD regelmäßig – wie im Fall der angeblichen Prostituierten im US-Bundesstaat Florida – die im Grundgesetz geschützte Menschenwürde verletzt oder reihenweise gegen den Pressekodex verstößt. Die von Verlegern und Journalistenverbänden gemeinsam vereinbarten publizistischen Grundsätze für die journalistische Arbeit in Deutschland würden in der BILD-Redaktion ohnehin nicht ernst genommen, berichtete ein früherer Mitarbeiter. Es ist daher höchste Zeit, dass der publizistische Widerstand gegen das Massenblatt verstärkt wird. BILD gehört regelmäßig öffentlich an den Hurenbock-Pranger!

Horst Müller (53) ist Professor für Redaktionspraxis an der Hochschule Mittweida (FH), im Fachbereich Medien