Einer, der nur tut, was er einsieht

Country als Soul und Tabletten als Heroin: James Mangolds Filmportrait von Johnny Cash

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Enttäuschen kann so ein Film eigentlich nur, wenn man sich vorher anstacheln lässt von Oscar-Nominierungen und dergleichen Unfug. Ansonsten erwartet man besser gar nichts. Denn: Wie soll'n sowas funktionieren? Kaum ein Jahr nach "Ray" liefert Hollywood mit "I walk the line" eine Art Remake. Mit Joaquin Phoenix als Ray Charles, mit Johnny Cash als Jamie Foxx, mit Country als Soul und mit Tabletten als Heroin.

Johnny Cash (vgl. Vielleicht gibt's keinen Gott: Aber sein ist der beste Sänger) und June Carter hat man noch viel zu gut vor Augen, um sich deren Leben von irgendwelchen Hollywoodphysiognomien nachgaukeln zu lassen. Und was soll überhaupt diese filmische Biographierei andauernd? Bei Filmen über Elvis, Johannes Paul II oder Hitler ist man doch als Zuschauer zu fünfzig Prozent nur mit Echtheitskontrolle beschäftigt.

Andrerseits kriegt der amerikanische Mainstream-Film bei seinen fiktiven Stoffen in letzter Zeit kaum mehr komplexe Typen hin. Das Geld braucht man für die neuesten Effekte da heißt's am Buch sparen und vorsichtshalber jegliche Originalität streichen. Selbst in mehrteiligen Epen werden die Hauptfiguren nur mit ein bissl Deco ausgestattet, mit einem Standardspruch oder einer typischen Handbewegung, mit Kulleraugen, ein bisschen Trauma oder einer Brille. In den Filmbiographien liegt also durchaus auch eine gute Chance, nämlich die, dass mal wieder vom echten Leben erzählt wird, auch wenn es das der Stars ist. Denn dieses richtet sich nicht nach Drehbuchregeln.

Diesen Umstand dürfte auch James Mangold bei seinem Cash-Projekt geschätzt haben, der Autorenfilmer, dem unter anderem der düstere Spät-Stallone "Copland" zu verdanken ist. "I walk the line" ist sein Liebhaber-Projekt geworden, das Werk eines offenkundigen Cash-Fans. Dabei sind die Parallelen zu "Ray", Taylor Hackfords Hommage an Ray Charles, ziemlich erheblich: Der frühe Tod des Bruders, die ärmlichen Verhältnisse, die Piefigkeit der Fünziger Jahre, der Karrieredruck, die Drogenabhängigkeit und schließlich die Erlösung.

Ein glamouröser Sturkopf

Wie es nach dem Entzug weitergeht, wird jeweils ausgeblendet. Bei Ray Charles kamen keine richtig guten Platten mehr zu Stande, und bei Johnny Cash holperte es noch ziemlich dahin, bis er zu seinem Lebensende richtig auf den Sockel gestellt wurde. Doch im Gegensatz zu Charles, dem bis zuletzt undurchschaubaren Genie, taugt der störrische Cash weit besser als dramatische Gestalt. Denn die Gallionsfigur der Country-Musik war gleichermaßen Patriot wie Menschenrechtler, tief religiös wie rebellisch, liberal wie stockkonservativ. Einer, der nur tut, was er einsieht. "He's a prophet and a preacher and a problem when he's stoned" hat Kris Kristofferson über so einen geschrieben.

He's a walking contradiction, partly truth and partly fiction, taking every wrong direction on his lonely way back home.

Diese vielen Irrwege von Cash macht sich Mangold voll zu Nutze und lässt seinen Cash-Darsteller Joaquin Phoenix sich bestens austoben und zugleich völlig in der Rolle verschwinden. Der Johnny Cash in "I walk the line" erlebt keine familientaugliche Bezähmung, sondern ist ruppig, liebvoll, egoistisch, stur, sanft, manisch, verwahrlost und stets auf seine Würde bedacht. Ein glamouröser Sturkopf.

Als erzählerische Klammer dient das berühmte Fulsom-Prison-Konzert von 1968, das Mangold zu Cashs persönlichen Wendepunkt stilisiert. Dazwischen wird die ahnungslose, junge Rock'n'Roll-Industrie und das Kumpelleben auf Tour gezeigt, ein Tablettenabhängiger und eine komplizierte Liebesbeziehung portraitiert, und immer wieder die Kraft guter Songs gefeiert.

In erster Linie jedoch funktioniert "I walk the line" wie "Ray" bestens als Appetitanreger für umwerfende Musik. Wer dessen noch immer bedarf, darf sich von dem Film auch gerne klarstellen lassen, dass Country-Musik nicht grundsätzlich reaktionär oder deppert ist. Gerade der berühmteste Country-Sänger ist eben kein wohlfeiler Anlass für Wald- und Wiesen-Antiamerikanismus.

Scheinsensationen

Ein überzeugter Cash-Fan indessen - und seit den "American Recordings" ist deren Zahl in Deutschland erheblich gewachsen - wird wohl mit sich hadern, ob er sich auf den Film einlassen will. Denn natürlich gerät auch vieles darin unbefriedigend, etwa die Auftritte von Elvis oder Jerry Lee Lewis, oder schmarrig, wie die Szene, in der Cash in einem Rutsch den "Folsom Prison Blues" komponiert.

Und es schreckt ja auch ab, wenn im Vorfeld allerhand Scheinsensationen gepriesen werden: Dass Joaquin Phoenix alles selbst gesungen hat (sooo schwierig sind die Songs nicht), dass Reese Witherspoon schauspielern kann (das war auch in vermeintlich schlechteren Filmen zu erkennen) oder, dass Phoenix für eine Szene tatsächlich ein Waschbecken aus der Wand gerissen hat. Kristofferson spielt Kronzeuge für die Echtheit des Filmes, und es wird behauptet, Cash und Carter haben ihre Darsteller noch persönlich akzeptiert.

Doch unabhängig von all dem ist "I walk the line" einfach recht genießbar als Portrait eines erstaunlichen Typen und als das heftige Liebesmärchen von Johnny und June, das ja glücklich andauerte bis zum "Wenn sie nicht gestorben sind" des Jahres 2003.