Balken im eigenen Auge

Was beim Karikaturen-Streit gerne ausgeblendet wird: Auch hierzulande bemühen sich Konservative seit Jahren wieder um eine Stärkung der Religionsrechte

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Der Skandal erreichte Heilbronn vor sechs Jahren. Als das städtische Theater das Stück Corpus Christi aufführte, brach, sinnbildlich gesprochen, die Hölle los. Radikale Christen demonstrierten gegen die Inszenierung, in der Jesus und seine Apostel als homosexuelle Säufer dargestellt wurden. Manche der Demonstranten ließen sich in Anbetracht solcher Schmähungen zu gänzlich unchristlichem Verhalten hinreißen und schickten Bombendrohungen an das Stadttheater. Der Skandal, dem der Schauspieler Percy Brauch ein Webtagebuch widmete, hatte gleich mehrere Folgen. Corpus Christi wurde nicht nur zu einer der erfolgreichsten Aufführungen des Schauspielhauses. Es bot konservativen Politikern auch Anlass, eine Verschärfung des Strafrechtes zu fordern.

Vor allem dem CSU-Politiker Norbert Geis sind die Religionsgegner ein Dorn im Auge. Im November 2000 war der Aschaffenburger Politiker maßgeblich an einer Initiative der Union beteiligt, die darauf abzielte, den Strafrechtsparagraphen 166 zu verschärfen.

Die Regelung zur „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ sieht „Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen vor“, wenn der „Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer“ beschimpft wird. Allerdings wurde der Paragraph im Rahmen der Liberalisierung des Strafrechtes 1969 abgeschwächt. Seither kommt er nur dann zum Zuge, wenn der „öffentliche Frieden“ gestört ist. Dabei blieb es auch. Der Änderungsantrag, den neben Geis auch namhafte Unionspolitiker wie Volker Kauder, Wolfgang Bosbach und Rupert Scholz unterstützten, wurde von SPD und Grünen abgelehnt.

Christen – eine Minderheit?

Dabei zielte der CDU/CSU-Vorstoß vor allem darauf ab, die 1969er Novellierung rückgängig zu machen. Angeführt wurden maßgeblich drei Argumente. In einer Rede verwies der CSU-Mann Geis auf die Aussagen eines Generalstaatsanwaltes während der öffentlichen Anhörung zur Sache vor dem Rechtsausschuss des Bundestages. Damals hatte der Nürnberger Generalstaatsanwalt Roland Helgerth angegeben, dass 90 Prozent der Anklagen nach § 166 StGB eingestellt würden, weil keine Störung des öffentlichen Friedens nachgewiesen werden könne.

Der „Gotteslästerungsparagraph“ müsse daher auch in Deutschland wieder verschärft werden, folgerte daraus der Unionsantrag. Christen hätten schließlich das Gefühl, ihren Glauben „nicht mehr frei bekennen“ zu können, „ohne dafür lächerlich gemacht“ zu werden. Als die Regelung 1969 gelockert wurde, so Geis, seien 97 Prozent „der in Deutschland lebenden Menschen kirchlich gebunden“ gewesen. Dadurch sei bei einer „Beschimpfung des christlichen Glaubens auch der öffentliche Frieden gefährdet gewesen“. Über drei Jahrzehnte später aber seien „Christen in unserer Gesellschaft in der Minderheit“, warnt der CSU-Politiker.

Die Mehrheit ist konfessionslos oder sind erklärte Atheisten. Dazu kommen drei Millionen Muslime in Deutschland. Wir haben auch wieder mehr Mitglieder des mosaischen Glaubens. Heute ist daher der Schutz des öffentlichen Friedens nicht mehr gleichbedeutend mit dem Schutz der religiösen Gefühle. (...) Damit aber ist auch die übelste Beschimpfung des christlichen Glaubens möglich.

Norbert Geis

Natürlich steht diese Position in einem seltsamen Widerspruch zu der Haltung des amtierenden Innenministers Wolfgang Schäuble im so genannten Karikaturenstreit. Der CDU-Politiker lehnte erst kürzlich eine Entschuldigung der Regierung für Nachdrucke der Zeichnungen in Deutschland mit dem Verweis auf bürgerliche Grundrechte ab.

Warum sollte sich die Regierung für etwas entschuldigen, was in Ausübung der Pressefreiheit passiert ist?

Wolfgang Schäuble (CDU) im Interview

Fundamentalisten aller Lager vereint?

Trotz dieser Ablehnung bei christlichen Parteien weisen Religionsgegner auf einen Lager übergreifenden Konsens beim „Karikaturenstreit“ hin. So schaltete sich am Dienstag die radikalhumanistische Bruno-Giordano-Stiftung (Ja zur Leitkultur …) mit einem offenen Brief in die Debatte ein:

Der gegenwärtige Skandal kommt einigen zensurwilligen Politikern in Deutschland (aber auch in anderen westlichen Ländern) sehr gelegen.

Aus der Erklärung der Bruno-Giordano-Stiftung

Auch wenn die meisten westlichen Politiker das hohe Gut der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit würdigten, bemühten sie sich doch, im gleichen Atemzug ihre Abscheu gegen die vermeintlich geschmacklosen Mohammed-Karikaturen zu demonstrieren. Dabei sei die britische Komikertruppe von Monty Python in dem Film „Das Leben des Brian“ viel weiter gegangen. Dank der „tätigen Unterstützung islamischer Fundamentalisten“, heißt es in dem Brief weiter, könnten die in der Vergangenheit gescheiterten Versuche, bürgerliche Freiheiten zu beschneiden, nun doch noch gelingen.

Die Verfasser des Briefes müssen es wissen. Michael Schmidt-Salomon, der Stiftungsvorsitzende, spielte 1997 eine Hauptrolle in einem der beiden großen Streitfälle zum Paragraph 166. Sein Theaterstück Das Maria Syndrom wurde damals vom Bundesverfassungsgericht nach dreijährigem Rechtsstreit zur Aufführung verboten. In der aktuellen Debatte um die Mohammed-Karikaturen erkenne man daher, so Schmidt-Salomon und die Giordano-Stiftung,

dass die entscheidenden Fronten im `Kampf der Kulturen´ nicht zwischen islamischer und christlicher Welt verlaufen, sondern zwischen den `Vertretern von Humanismus und Aufklärung´ einerseits und den diversen `Feinden der offenen Gesellschaft´ andererseits.