"Mach mir nichts vor, ich weiß, wo du bist"

"Mobile Tracking": Orwell zum Selbermachen?

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"Olivia Adler befindet sich gerade... in der Münchner Staatsbibliothek, Damentoilette, 3. Kabine rechts." Nicht die Art Information, die ich unkontrolliert nach außen würde verbreiten wollen – und doch bereits näher an der Realität, als mir lieb sein kann, wenigstens solange ich mein Handy eingeschaltet habe.

Journalist Ben Goldacre testete für den Guardian, wie leicht es ist, die eigene Freundin ohne ihr Wissen via Handy zu überwachen. Dazu musste er ihr nur das Handy in einem unbeobachteten Moment für ein paar Minuten entführen und sich bei World Tracker registrieren.

Kurz nach der Registrierung kam die Bestätigungs-SMS auf das zu überwachende Handy: "Ben Goldacre möchte Sie seiner Buddyliste hinzufügen. Um das zu akzeptieren, antworten Sie einfach mit 'LOCATE' auf diese Nachricht." Nachdem er die gewünschte Antwort gegeben hatte, kam eine neue Nachricht: "WARNUNG: [Dieser Service] erlaubt anderen Personen, zu erfahren, wo Sie sich aufhalten. Zu Ihrer eigenen Sicherheit stellen Sie sicher, dass Sie wissen, wer Sie lokalisiert." Er löschte beide Nachrichten und legte das Handy zurück. Danach konnte er auf einer Online-Landkarte verfolgen, wo seine Freundin sich den Tag über aufhielt. Die Benutzerführung ist nach seinen Angaben idiotensicher, jeder kann sich also fühlen wie ein kleiner James Bond.

Bis auf 100 Yards (Größe eines Footballfeldes) genau kann die Zielperson lokalisiert werden, das Kartenmaterial stammt von Google Earth (Demo-Modus von World Tracker)

Allerdings klärte er den kleinen Spionage-Ausflug unmittelbar nach Heimkehr seiner besseren Hälfte auf und beendete das unangenehme Experiment. Auf der Suche nach weiteren Anwendungsmöglichkeiten kamen sie schnell auf die Idee, dass man die Lokationsinfo an Firmen verkaufen würde, um kontextsensitive Werbung zu schalten – Google Ad Sense in 3D, sozusagen. Das ist nicht neu, dieses Motiv taucht schon des öfteren in Cyberspace-Romanen auf, und wäre nur ein lästiger Nebeneffekt.

Das Netz führte getreulich Buch darüber, welche Anweisungen über welche Leitung gingen und wo sie hergekommen waren, und das Gesetz garantierte jedem Bürger jederzeit Auskunft – so zumindest sagten es die Buchstaben, die schon lange nicht mehr auf Papier standen.

Wolfgang Hohlbein, "Das Netz"

World Tracker listet auf seiner Website durchaus vernünftig klingende Anwendungsbereiche für seine Dienstleistung – beispielsweise, dass man als Firma die Übersicht über seine Firmenhandys (= Eigentum) behält, oder einzelne Arbeiter an Gefahrenstellen zu deren eigener Sicherheit lokalisieren kann. Das gibt es alles natürlich auch schon, GPS ist ja keine neue Technologie, aber das Tracking via Handy wird als besonders günstige Alternative verkauft und ist damit auch für Privatleute interessant.

Bisher ist der Service von World Tracker in Deutschland noch nicht verfügbar, soll aber sehr bald auch zu uns kommen. In einer Online-Demo kann man sich die einzelnen Funktionen einschließlich Tracking ausgiebig ansehen. Laut FAQ ist auch das Tracking vom Handy aus möglich, außerdem können die Getrackten jederzeit abfragen, wer sie via World Tracker lokalisiert und die Lokalisierung stoppen. Dazu müsste man freilich wissen, dass man lokalisiert wird.

Vom Stalking zum Tracking?

Der Guardian erwähnt das in seinem Artikel nicht, laut The Register ist es aber tatsächlich so, dass der Provider durch einen "Industry Code of Practice" verpflichtet ist, regelmäßig Nachrichten an das getrackte Telefon zu schicken, um die Zielperson zu informieren, dass sie überwacht wird. Dies kam in einem Gespräch mit World Tracker heraus. Diese Benachrichtungen müssen in Zufallsabständen geschickt werden, nicht nach einem berechenbaren Muster. Ben Goldacre äußerte dazu, dass während der gesamten Überwachungsphase, die mehrere Tage dauerte und auch das Telefon eines Radioreporters einschloss, keine einzige solche Nachricht auf den Handys der Zielpersonen erschien. World Tracker hat daraufhin zugesagt, dem nachzugehen und das Benachrichtigungsintervall zu verkürzen.

Auch das Tracking via Handy ist nicht neu – der gescheiterte Provider Quam warb vor fünf Jahren damit, und einen ähnlichen Service hat O2 schon seit Jahren im Angebot, unter "Handylokalisierung". Das Angebot richtet sich an Kunden, die ihr Handy verlegt haben und setzt voraus, dass man sich vorher auf der O2-Website im Kundenbereich für den Service registriert hat. Der Lokalisierungs-Service macht sich per Bestätigungs-SMS auf dem Zielhandy bemerkbar und kostet 0,49 Euro pro Lokalisierung auf der Handyrechnung. Unbemerkt bleibt das also nicht.

Die Frage ist ohnehin vielmehr, wen das Tracking stören würde, nachdem lokationsbasierte Angebote wie Plazes oder Web-GPS sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Der digitale mobile Mensch hat offenbar ein starkes Bedürfnis, sich durch ein wenig Lokationsexhibitionismus eine kuschelige digitale Nachbarschaft aufzubauen und dabei auch wenig Skrupel, seine digitalen und analogen Trampelpfade offenzulegen. Freilich, das bleibt steuerbar, weil man das Handy oder den Plazes-Client ausschalten oder die Information auf einen ausgewählten Kreis beschränken kann, aber ein komisches Gefühl bleibt, wenn im Weblog die ganze Welt nachsehen kann, wo der Autor oder die Leserschaft sich gerade befindet. Beide Services scheiterten im Test übrigens am DSL-Router, der brav über meine Privatsphäre wachte – und das ist gut so.