Unabsehbare Langzeitfolgen

Eine Bildreportage über den Dreischluchten-Staudamm - Teil II

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China wandelt sein Gesicht von Tag zu Tag. Nicht nur in den Boommetropolen recken Hochhäuser ihre Häupter gen Himmel. Auch entlang des 660 Kilometer langen Jangtse-Stausees sind die Berge gekrönt von schnell heranwachsenden Retortenstädten. Ein Gebäudekomplex gleicht dem anderen: Weiß geflieste Fassaden und bunt beklebte Fenstergläser als Zeichen für den neuen Chic.

Als besonderes chic gelten geflieste Fassaden und farbig beklebtes Fensterglas

Die Stadt Wushan hat sich als Straßenbeleuchtung elektrische Plastikpalmen in Bonbonfarben auserkoren, welche nachts für großen Rummel sorgen. Eine monströse Piazza wurde errichtet, komplett mit Marmorboden ausgelegt.

Die neuen Städte zu erkunden, erfordert großen Sportsgeist

Überdimensioniert große Displays nerven rund um die Uhr mit jeglicher Art von Werbung. Für viele ein Ausflug in eine schönere Welt. Ja, schön bunt sieht es aus. Dennoch trügt der Schein - viele der neuen Häuser haben Mängel. Stets muss repariert werden.

Das Leben zwischen einer Ansammlung von Baustellen. Jeder versucht, seinen eigenen Platz darin zu finden

Herr J. und seine Frau haben die gesamte Entschädigungssumme für ihr Land und das Haus erhalten. Davon konnten sie eine ihnen bereits zugewiesene Wohnung kaufen. Das Geld ist somit aufgebraucht. Bisher hat nur seine Frau Arbeit in einer Fabrik gefunden. Sie arbeitet jeden Tag - und trotzdem reicht das Geld nicht. Die meisten Bürger mussten zuzahlen für ihren Umzug, viele haben Schulden gemacht und kaum einer hat eine richtige Arbeit. Fast jeder fährt Taxi oder verkauft Cola.

Im Hafen von Wushan: Viele erhoffen sich Einnahmen durch den Jangtse-Tourismus, der bislang aber gering ist

In einem Punkt jedoch sind sich alle einig: Der „Drei Schluchten Staudamm“ wird in die Geschichte eingehen und Rekorde schreiben. In einem Land mit akutem Strommangel infolge der industriellen Entwicklung in den Provinzen kommt die saubere Energie, die der Staudamm liefert, wie gerufen. Allerdings muss der Betriebswasserstand sehr hoch gehalten werden, um maximalen Gewinn an Energie zu erzielen.

Neues Land am Jangtse. Die Felder sind zu klein, um davon eine Familie zu ernähren

Hierbei kommt es zu einem Konflikt. Die Journalistin Dai Qing, Gegnerin des Staudammprojektes und Chinas bekannteste Dissidentin, kritisierte:

Um die Energiegewinnung zu maximieren, müsste das Staubecken bis zum Rand gefüllt werden. Zum Schutz vor Hochwasser sollte es dagegen leer gehalten werden. Die chinesische Regierung hat bislang nicht erklärt, wie der Damm beide Aufgaben gleichzeitig erfüllen kann.

Viele Nationen haben erkannt, dass die Langzeitfolgen eines solch riesigen Baus nicht vorhersehbar und die ökologische Schäden enorm sind. Schon jetzt investiere man Milliarden Dollar, um die Auswirkungen der Dammbauten zu reparieren. Mittlerweile wurde offiziell bestätigt, dass der Damm bereits erste Risse aufweist. Die Gegner dieses Projektes befürchten eine Verseuchung des Stausees durch die Abwässer aus Industrie und den Städten, da die Abriegelung des Jangtse die natürliche Selbstreinigung verhindert.

Die neu errichtete Stadt Wushan ist eine von vielen am Jangtse

Eine Wiederaufforstung des Baumbestandes ist unumgänglich, da eine der Hauptursachen für die katastrophalen Überschwemmungen am Fluss die sinnlose Rodung der Wälder ist.

Diese Hütte liegt oberhalb der Flutgrenze. Die Bauern mussten dennoch ihr Land abgeben und wissen nicht, wie es weitergehen soll

Eines der größten Probleme jedoch ist die Verschlammung des Stausees, da der Jangtse jährlich bis zu 530 Millionen Tonnen Sand und Schlamm mit sich trägt. Diese Schlammmassen lagern sich auf dem Grund des Stausees ab und bereiten den Turbinen und Schleusen Probleme. Um einer Katastrophe vorzubeugen, wurde einem weiteren Projekt der Bauherren zugestimmt. Der Bau von 4 Dämmen am Oberlauf soll die Lösung sein. Zu allem Überfluss kommt noch hinzu, dass der Damm in einem erdbebengefährdeten Gebiet errichtet wird. Durch das Gewicht des Damms und die Wassermassen, die gebändigt werden müssen, können Erdbeben provoziert werden.

Ein Kanal des „Drei-Schluchten-Damms" in Maoping

Neben dem Jangtse-Delphin sind weitere 22 Tierarten, die auf der Roten Liste bedrohter Arten stehen, vom Aussterben bedroht.

Dieses Projekt ist für China eines der ehrgeizigsten überhaupt. Die sozialen und ökologischen Folgen und Risiken sind dem Streben nach technischem Fortschritt untergeordnet.

Selten verlangte ein Bauwerk so große Opfer und verlor letztlich so kläglich angesichts der ihm zugeschriebenen Aufgabe.

Die in München lebende Fotografin Anke Neugebauer, 30, ist für diese Reportage 2 Monate entlang des Jangtsekiang gereist. In Gaoyang wurde sie nachts im Hotel von der lokalen Polizei überrascht. Nach einem mehrstündigen Verhör und jeder Menge Glück, durfte sie ihre Reise fortsetzen - unter der Bedingung die Provinz Chongking sofort zu verlassen...