Zeuge berichtet von Abu Ghraib

Das Online-Magazin Salon hat alle Abu Ghraib-Bilder zugespielt bekommen, Whistleblower, die von den Missständen in Abu Ghraib oder der NSA berichten, sollen besser geschützt werden, fordert ein Kongressausschuss

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Die jetzt an die Öffentlichkeit gelangten Bilder über die Misshandlungen in Abu Ghraib dokumentieren Vorfälle, die Ende 2003 stattgefunden haben (Neue Bilder von Misshandlungen in Abu Ghraib). Das Pentagon kritisierte lediglich die Veröffentlichung, weil dadurch „unnötige Gewalt geschürt“ würde und US-Soldaten gefährdet werden könnten. Die Vorkommnisse seien bereits „vollständig aufgeklärt“, und die Politik des Pentagon sei immer gewesen, „Gefangene menschlich zu behandeln“. Gleichzeitig hat offenbar das Justizministerium auf Geheiß des Weißen Hauses nach dem Bekanntwerden der CIA-Gefängnisse oder des Lauschprogramms der NSA (Anzapfen, Abhören, Abstreiten) mit einer umfassenden Untersuchung über durchgesickerte Informationen aus Behörden, vor allem aus dem Verteidigungs- und Heimatschutzministerium begonnen. Die neuen Bilder von Abu Ghraib wurden einem australischen Sender zugespielt, nun berichtet auch das Online-Magazin Salon, dass es eine DVD mit 2.000 Fotografien und 90 Videos, die zwischen dem 18.10 und dem 30.12.2004 gemacht wurden, erhalten habe.

Die Bilder, die Salon erhalten und teilweise veröffentlicht hat, befanden sich auf einer DVD, die für einen internen Pentagon-Bericht des Criminal Investigation Command (CID) gebrannt wurde. Da sich auch dieser auf der DVD befindet, kann man schließen, dass die Bilder auch aus Abu Ghraib stammen. Zudem gab es zahlreiche Beschreibungen des Kontextes. Dokumente beziehen sich auch auf CIA-Mitarbeiter, die Gefangene verhört und misshandelt haben. Bekanntlich wurde kein Angehöriger des CIA auch nur angeklagt. Vermutlich handelt es sich bei den Bildern auf der DVD um den kompletten Set an Bildern, den das Pentagon erhalten hat und unter Verschluss halten wollte. Sicherlich wäre man auch hier daran interessiert, wer den Medien die Bilder zugespielt hat.

Passend zu diesem Kontext fand am 15. September fand im Unterausschuss für National Security, Emerging Threats, and International Relations des Repräsentantenhauses, eine Anhörung statt. Der republikanische Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses Christopher Shays hatte sie angesetzt. Dabei ging es um das heiße Thema der Whistleblowers, also der Menschen, die Informationen über Missstände aus Behörden oder Unternehmen unter mehr oder weniger großem Risiko an die Öffentlichkeit bringen. In Zeiten, in denen wie derzeit die Geheimhaltung hoch angesetzt ist, sind sie eigentlich um sie wichtiger, aber sie werden auch schärfer verfolgt. Shays fordert einen besseren Schutz: „Selten“, so sagte er, „war in unserer Geschichte die Notwendigkeit, die unzensierten Stimmen von Whistleblowers zu hören, höher, besonders aus den Bereichen der Nationalen Sicherheit und der Geheimdienste.” Das interne System der Prüfer, dem Angestellte Missstände melden sollen, sei zerbrochen.

Mit den Whistleblowers, die ihre Fälle vortrugen, wurden auch einige große Skandale thematisiert. Geladen war ein Soldat, der in Abu Ghraib zur Zeit der Folterungen stationiert war. Leutnant Anthony Shaffer, ein CIA-Mitarbeiter, berichtete von den Vorfällen bei der Operation Able Danger. Angeblich war man hier schon vor 2001 auf den Spuren von Atta. (Pentagon blockiert Anhörung über Able Danger). NSA-Mitarbeiter war eine der entscheidenden Informanten für die Aufdeckung der Lauschaktion unter Umgehung von Kongress und Gerichten (Geheimer Geheimdienst: Außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle).

Schwere Vorwürfe erhob der Unteroffizier Samuel Provance, der im Irak stationiert war und im September nach Abu Ghraib verlegt wurde. Er berichtete dem Unterausschuss, dass er und andere Soldaten seiner Einheit im Irak trainiert wurden, Gefangene für Verhöre anders zu behandeln, als sie dies gelernt und bislang praktiziert hatten. Anders wurde es nach seinen Aussagen vor allem nach Ankunft einer Gruppe von MI-Soldaten (Military Intelligence) aus Guantanamo. Diese hätten neue Verhörmethoden eingeführt und dazu mehr und mehr auch auf Söldner (contractors) zurückgegriffen, da die Soldaten in der Einheit von Provance meist die ihnen gelernten Verhaltensregeln angeblich beibehalten wollten.

Nachdem die CID-Untersuchungen über die Zustände in Abu Ghraib begonnen hatten, sei er davon ausgegangen, dass man die Vorfälle aufdecken werden. Als dann aber der Skandal der Öffentlichkeit bekannt wurde, habe Verteidigungsminister Rumsfeld versucht, die nur einigen wenigen Soldaten auf unterster Ebene zuzuschieben. In seiner Einheit wurde befohlen, über Abu Ghraib Stillschweigen zu wahren. Als Provance sich weigerte, die von ihm verlangten Lügen zu erzählen und über die Vorfälle zu schweigen, wurde er zurückgestuft. Er beschwerte sich auch, dass im Folterskandal nur Soldaten auf der untersten Ebene belangt wurden.

Provance war in der Computerzentrale tätig und hatte so viel Kontakt mit allen anderen Soldaten, wodurch er auch einiges hörte. Angefangen hätte es beispielsweise mit einem Vorfall, bei dem einige betrunkene Soldaten ein irakisches Mädchen belästigten, aber noch von einem Militärpolizisten zurückgehalten wurden. Man habe laute Musik gespielt, die Gefangenen nicht schlafen lassen oder ihnen Essen entzogen. Routinemäßig wären die Gefangenen nackt inhaftiert gewesen. Eine Kollegin habe ihm erzählt, dass sie die Macht über die gedemütigten Männer genossen und sie auch mit Hunden geängstigt habe. Eine andere Kollegin habe ihm erzählt, dass Gefangene gefoltert und ermordet wurden. Angeblich wurde an den Gefangenen auch geübt, wie man Schläge austeilt, ohne Spuren zu hinterlassen. Der islamische Glauben der Gefangenen sei systematisch benutzt worden, um diese zu demütigen. Anscheinend hat man auch gerne nächtliche Feiern mit viel Alkohol im Gefängnis veranstaltet und die Gefangenen dann auch als Spielzeug benutzt.

Provance berichtete auch von den Misshandlungen und Folterungen, denen der irakische General Zabar und sein 16-jähriger Sohn unterworfen wurden. In deutschen und schweizer Medien ist davon die Rede, als habe Provance gesagt, der Sohn sei vor den Augen seines Vaters gefoltert und dann „zu Vergewaltigern gesperrt“ worden, wie etwa die Bild schreibt. Andere sprachen davon, dass in Abu Ghraib wiederholt „Kinder“ gefoltert worden seien. Offenbar zirkulierte im deutschsprachigen Raum eine solche Agenturmeldung, die immer wieder übernommen wurde. In englischsprachigen Medien ist davon nicht die Rede. Das von Provance dem Ausschuss vorgelegte Manuskript enthält nur die Aussage, dass der Sohn missbraucht wurde, um seinen Vater zum Reden zu bringen. Von weiteren derartigen Fällen ist nicht die Rede.

Provance zitiert einen Kollegen – die Namen wurden auf seinem Manuskript vor Veröffentlichung geschwärzt -, dass seiner Einheit gesagt wurde, sie dürften „alles, was sie wollen, mit den Gefangenen machen“. Allzu brutale Misshandlungen wurden aber auch schon zu dieser Zeit geahndet. Und natürlich waren keineswegs alle Soldaten mit den Misshandlungen und Verhörmethoden einverstanden. Alle in Abu Ghraib bis hin zu Technikern und Köchen hätten allerdings gewusst, was auch er erfahren hat. Doch kaum einer habe es gewagt, während in den internen Untersuchungen weniger Wert auf Aufklärung denn auf Vertuschung und Eingrenzung gelegt worden sei.