Europa ist vorläufig im Iran gescheitert

Lässt sich ein neuerlicher Krieg noch verhindern? Der Schlüssel zur Lösung liegt derzeit in Moskau. Eine pessimistische Prognose

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Europa ist man sichtlich nervös geworden. Die Ende Dezember bekannt gewordenen Sondierungen der US-Regierung über NATO-Beteiligungen und Überflugsrechte über die Türkei für eine Militäroperation gegen den Iran waren mehr als nur außenpolitischer Druck seitens der USA. Mit der Überweisung an den Sicherheitsrat der UNO und den folgenden Berichten der IAEA hat die Wahrscheinlichkeit einer militärischen „Lösung“ der iranischen Nuklearfrage erheblich zugenommen (Bomben auf den Iran?).

Seit Jahren verfolgt der Iran eine Strategie des Optionserhalts auf Kernwaffen, die technischen Voraussetzungen sollen geschaffen werden, gleich ob man das Programm bis zum Ende durchzieht oder nicht. Die Anreize, die sich durch dieses Programm auch in Ägypten und Saudi-Arabien ergeben könnten, sind hoch. In Pakistan gibt es Kernwaffen spätestens seit den Tests 1998. Als US-Verbündeter kam Pakistan aber nie ernsthaft unter US-Druck, obgleich Pakistans Unterstützung für die Taliban seit langem bekannt ist und ein Teil des Territoriums als unregierbar gilt.

Forschungsreaktor für Schweres Wasser in Arak. Bild: Digital Globe

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen der IAEA über verbotene militärische Nuklearprogramme und der „erlaubten, friedlichen“ Kernenergienutzung zieht sich schon seit 2003 hin. Anders als im Fall des Irak ist die Suppe im Fall des Irak substantiell dicker, obgleich der Iran für die Produktion von hochangereichertem Uran auch nur für eine erste Bombe mindestens 3 bis 5 Jahre brauchen wird, jedoch eher deutlich länger, selbst wenn jetzt die Herstellung der nötigen Zentrifugen wieder aufgenommen werden würde. Es handelt sich noch lange nicht um die Produktion von waffenfähigem Uran, sondern nur darum, genügend Zentrifugen zu produzieren, die dafür erforderlich wären. Für die Anlage in Natanz sind 50.000 Zentrifugen vorgesehen, knapp 1.000 funktionsfähige dürfte der Iran zur Zeit besitzen.

Andere technische Probleme sind ebenfalls erheblich, so etwa die Herstellung von UF6. Die Wiederaufnahme der Pilotanreichung in der Anlage in Natanz ist zwar ein Schritt in dieser Richtung, aber noch lange keiner zu einer unmittelbaren eigene Kernwaffe. Die Herstellung einer auch nur einfachen Kernwaffe auf der Basis chinesischer Bauanleitungen aus den 1960er Jahren, wovon man annimmt, dass die Ausbreitung über A.Q. Khan in Pakistan in den Iran gelangt sein könnte und die Adaptierung auf Sprengköpfe für iranische Raketen könnte theoretisch parallel vonstatten gehen, würde jedoch ebenso auf erhebliche wissenschaftliche und technische Hindernisse stoßen.

Verhandlungsoptionen mit Iran

Die Zählweise verschiedenster Geheimdienste und Regierungen unterscheidet sich davon erheblich. In Israel wird man seit Jahren nicht müde, den „Point of no Return“ als „heute in einem Jahr“ zu bezeichnen und eine eigene „militärische Lösung“ in Aussicht zu stellen.

Angesichts dessen ist das bisherige Scheitern der EU-3 schlimm, aber es müsste nicht das letzte Wort sein. Wer verhandelt, muss sanktions- aber auch konzessionsfähig sein. Die EU-3 war bislang dazu nicht bereit, ob aus Torheit, aus Konzeptlosigkeit oder aufgrund einer bereits abgestimmten Strategie mit den USA wird erst später sichtbar werden.

Somit gäbe es im Prinzip noch Verhandlungsspielraum seitens der EU-3, so sie denn etwas anzubieten hätte. Die iranische Position umfasste - wenn man die inneriranischen Divergenzen und Machtkämpfe ausblendet - zwei wichtige Punkte.

Erstens eine Stromversorgungssicherheit auf nuklearer Basis, die etwa so naiv und unökologisch fahrlässig konzipiert wurde wie in den nuklear-euphorischen 1960er Jahren der westlichen Industriestaaten. Nähme man diese Position ernst, so hätte eine Antwort der EU in der Hilfe bei der Aufschließung der Erdgasquellen und der regenerativen Energieträger im Iran bestehen müssen. Zweitens ging es der iranischen Politik immer auch um Sicherheitsgarantien gegenüber potentiellen Angreifern und somit auch um Sicherheitsgarantien Israels als der nuklearen regionalen Vormacht und den USA. Diese Verhandlungen sind schon im Ansatz zerstoben und Ahmadinedschads Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel und seine Holocaust -Leugnungen sind zwar ein Teil einer globalen Hetzkampagne, aber gleichzeitig auch ein naiv-hilfloser Ausdruck an Realitätsverweigerung denn ein Beitrag zur Vermeidung eines kommenden Krieges (Eine Frage von Gut und Böse, Gott und Teufel). Die unerträglichen Ausfälle des iranischen Regimes spielen nur den Hardlinern in Israel und den USA in die Hände.

Uranium Conversion Facility (UCF) in Isfahan. Bild: FARS

Das Interesse an nuklearer Abschreckung ist weltweit gestiegen

Systemisch betrachtet ist es jedoch nicht nur ein Ansinnen des iranischen Regimes, sich Kernwaffen aneignen zu wollen. Wer die Veränderung der Bedeutung der Kernwaffen seit 9/11 ernst nimmt, wird nicht umhinkommen, die proliferationsbeschleunigende Wirkung der neuen US-Militärdoktrin zur Kenntnis nehmen zu müssen. Wer mit präventivem Angriff droht - gleich aus welchen Gründen - darf sich nicht wundern, wenn weltweit das Interesse an nuklearer Abschreckung steigt. Ein Punkt, auf den gerade wieder einmal Paul Pillar, ein CIA-Dissident und Analytiker, aufmerksam machte.

Hätte der Irak eine glaubwürdige nukleare Abschreckung besessen, so wäre ein Angriff gegen sein Regime weit weniger wahrscheinlich gewesen. Allen voran haben die USA einen potentiellen nuklearen Ersteinsatz von Kernwaffen gegenüber „unfreundlichen Proliferateuren“ ausdrücklich in ihre Doktrin aufgenommen. Ende 2005 wurde vom strategischen Oberkommando der US-Streitkräfte die Vollzugsmeldung bekannt. Neben der altbekannten Abschreckung gibt es nun einen globalen Angriffsplan, der sich CONPLAN 8022 nennt und der auch eine nukleare Komponente enthält.

Die Militärplanungen sind weit forgeschritten

Man mag nun - genauso wie bei Chiracs Äußerungen (Chirac lässt die atomaren Muskeln spielen - darüber spekulieren, wie ernst dies gemeint ist oder wie weit es eine zum Einlenken erzwingende Wirkung erzielen soll. Auch in Teheran, Riad und Kairo liest man die US-Militärdoktrinen. Das Nichtverbreitungsregime von Kernwaffen befindet sich bei diesen Prämissen in seinem Endstadium. Ein Staat, der es kann und will, wird in diesem Umfeld keine Hemmungen mehr haben, sich selbst Kernwaffen zuzulegen, so er keine Sicherheitsgarantien erhält.

Ein möglicher Luftangriff gegen den Iran ist somit wesentlich näher gerückt. Im Fall des Falles wird es vermutlich wieder ein Angriffskrieg der USA sein. Eine Autorisierung durch den Sicherheitsrat ist aufgrund der wirtschaftlichen und strategischen Interessens Russlands und Chinas schwer vorstellbar. Er wird sich wieder gegen einen inferioren Gegner wenden. Es wird sich dabei abseits der momentan verbreiteten Rhetorik jedoch nicht nur um eine Militäroperation gegen die Nuklearanlagen des Iran, sondern vermutlich auch um einen „Enthauptungsschlag“ gegen die religiösen, politischen und militärischen Eliten handeln und es wird nebenbei versucht werden, einen Regimewechsel durch die Unterstützung von Oppositionsgruppen herbeizuführen.

Nuklearanlagen. Grafik: Atlantic Monthly War Game

Entschieden ist dies wahrscheinlich in Washington noch nicht, aber die Militärplanungen sind weit fortgeschritten, wobei ein Angriff ohne Bodentruppen politisch leicht durchzuziehen wäre. Der Angriffsplan umfasst mindestens 400 Ziele und auch ein Ersteinsatz von substrategischen Kernwaffen ist nicht gänzlich auszuschließen, bzw. als Eskalationsschritt vorgesehen.

Vier Jahre nach der Afghanistan-Intervention der USA und drei Jahre nach der Irak-Intervention der USA herrscht dort am Boden blutiges Chaos. Im Iran wird es nicht anders sein, wobei in diesem Fall dann auch mit ganz massiven Terroranschlägen seitens iranischer Akteure in den Staaten der Kriegs-Koalitionäre gerechnet werden muss. Ein derartiger Konflikt wird sich kaum mehr eingrenzen lassen und könnte leicht in einen Flächenbrand übergehen. Die geopolitische Position des Iran ist deutlich komplexer und auch robuster, als jene von Afghanistan oder Irak.

Welche Chancen für die europäische Diplomatie gäbe es also noch?

Als erstes: Zeit gewinnen. Als zweites: deeskalieren. Irgendwer muss damit beginnen. Versuchen, die IAEA im Iran zu belassen. Ein Rückzug der IAEA schadet dieser selbst, dem Iran, der EU und dem Rest der Welt. Er nützt nur jenen Scharfmachern, die nicht-falsifizierbare Behauptungen aufstellen möchten. Als Konzession müsste auf eine bestimmte Form von Sicherheitsgarantie für den Iran hingearbeitet werden, um Teheran zur Aufgabe seines militärischen Nuklearprogramms zu bewegen.

Die unmittelbar nächsten Schritte der USA werden zeigen, für welchen Kurs man sich entschlossen hat. Die letzten Monate vor der Irak-Invasion im März 2003 waren geprägt von einer globalen medialen Mobilisierung für diesen Krieg und von nicht-falsifizierbaren Behauptungen über die nicht-existenten irakischen Massenvernichtungswaffen. Wenn wir Gleiches seitens der US-Politik in Kürze erleben sollten, können wir davon ausgehen, dass die Entscheidung, Iran anzugreifen, bereits gefallen ist.

Georg Schöfbänker ist Politikwissenschafter und betreibt das Österreichische Informationsbüro für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in Linz