Alles ganz normal

Die Schauspieler des auf der Berlinale preisgekrönten Films über Guantanamo wurden bei der Ankunft am Flughafen von der Polizei nach dem britischen Antiterrorgesetz festgehalten und verhört

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Michael Winterbottom hat für seine DocuFiction The Road to Guantanamo auf der Berlinale den Silbernen Bären als Auszeichnung erhalten. Bei der Vorführung kam der Film gut beim Publikum an, die Preisverleihung ist sicherlich auch eine Geste des Protests gegen die menschenrechtswidrige Praktiken der US-Regierung gewesen. Der britische Regierungschef Blair konnte sich bislang gerade einmal dazu durchringen, Guantanamo als „Anomalie“ zu bezeichnen. Von der einst so als mutig beschriebenen Bundeskanzlerin ist dazu nichts mehr zu hören. Es scheint alles gesagt zu sein.

Szene aus The Road to Guantanamo

Für seinen Film hatte Winterbottom drei britische Muslims befragt, die mit einem weiteren Freund angeblich wegen einer Hochzeit 2001 nach Pakistan und schließlich nach Afghanistan gereist und dann als mutmaßliche al-Qaida-Anhänger festgenommen und dem US-Militär übergeben worden waren. Angeblich wurden sie von der Nordallianz festgenommen und entkamen einem Massaker, von dem auch das US-Militär Kenntnis hatte, aber das erfolgreich aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt werden konnte, obgleich es auch darüber einen Doku-Film und eine Untersuchung der Ärzte für Menschenrechte gegeben hatte (Das Massaker, das nicht sein darf; Vorwürfe gegen US-Armee weiter ungeprüft). Drei wurden nach Guantanamo überstellt, vom vierten fehlte jede Spur. Sie kamen erst Anfang 2004 wieder frei, waren offenbar auch nach den Verhören im berüchtigten Gefangenenlager vom Pentagon als nicht gefährlich betrachtet worden. Gespräche mit den jungen Muslimen, in denen sie von ihrer Geschichte und den angeblich unmenschlichen Haftbedingungen sprechen, werden in den Film eingeblendet, dazu kommen Doku-Aufnahmen und viele Spielfilm-Szenen. Wieweit ihre Geschichte stimmt, ist nicht Gegenstand des Films, was ihm auch teils heftige Kritik eingebracht hat.

Wie man auch immer zu dem Film und der Auszeichnung stehen mag, so ist er – muss man es betonen im Karikaturenkonflikt – eine künstlerische und politische Aussage, die eine freiheitliche Demokratie akzeptieren muss. Es macht daher keinen guten Eindruck, wenn zwei der aus Berlin zurückkehrenden Schauspieler des Films sowie Rizwan Ahmed und Farhad Harun, zwei der ehemaligen Guantanamo-Häftlinge, im Flughafen von der britischen Polizei festgehalten und unter Vorgabe der Antiterror-Gesetze verhört wurden – angeblich, ohne dass sie einen Anwalt hinzuziehen konnten.

Szene aus The Road to Guantanamo

Man könnte fast meinen, die britischen Sicherheitsbehörden wollten womöglich der Anklage des Films noch einen drauf setzen und demonstrieren, wie weit die Gesellschaft im Terrorwahn und der Akzeptanz bei der Einschränkung der Bürger- und Verfassungsrechte schon gekommen ist. Aber es dürfte sich leider wohl um keine verdeckte Kritik handeln und auch nicht um eine Inszenierung der Filmmacher, die damit mehr Publicity erzeugen wollen, sondern um bitteren Ernst. Offenbar waren die Namen auf einer Liste von Verdächtigen. Zwei der insgesamt sechs Reisenden waren schon durch die Kontrolle, als die Mitarbeiter einer Antiterror-Einheit der Polizei die restlichen stoppten.

Noch ist das Gesetz nicht in Kraft, aber bald könnten die Schauspieler und der Regisseur in Großbritannien mit ihrer Kritik am überbordenden Antiterrorkampf auch wegen Verherrlichung des Terrorismus belangt werden. Zumindest scheint man, glaubt man den Aussagen der Verhörten, bereits in diese Richtung gegangen zu sein. So sagte Rizwan Ahmed, einer der Schauspieler, man habe ihn gefragt, ob er Schauspieler geworden sei, um die islamische Seite zu unterstützen. Eine Polizistin habe ihn gefragt, ob er noch weitere politische Dokumentarfilme in der Art von The Road to Guantanamo machen wolle. Überdies habe man ihm das Handy weggenommen, mit dem er einen Anwalt anrufen wolle. Man habe ihm auch gesagt, dass man ihn nach den Antiterrorgesetzen 48 Stunden lang festhalten könne, ohne dass er einen Anwalt hinzuziehen könne.

Die Verhörten wurden nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Für die verantwortliche Polizei von Bedfordshire ist dies ein ganz normaler Vorgang. Und das ist wirklich beunruhigend. So sagte eine Sprecherin der Polizei: „Die Polizeibeamten wollten ihnen einige Fragen nach dem Atiterrorismus-Gesetz stellen. Alle wurden innerhalb einer Stunde wieder freigelassen. Nach dem Antiterrorismus-Gesetz dürfen wir Menschen aufhalten und überprüfen, wenn etwas geschieht, das Verdacht erregt.“

Rizwan Ahmed, Shahid Iqbal, Arfan Usman, Farhad Harun: The Road to Guantanamo

Überdies hieß es von der Polizei, wie BBC berichtet, dass es nach den Bombenanschlägen eine erhöhte Sicherheitsstufe gebe und die öffentliche Sicherheit über allem stehe. Befürchtete man also, die Schauspieler planten womöglich einen Anschlag oder eine Verschwörung? Ging man davon aus, dass der Film mit seiner Kritik an Guantanamo den Terrorismus unterstützt? Irgendwie ist es offensichtlich schon verdächtig, wenn ein solcher Film gemacht wird, der auch die Regierungspolitik in Zweifel zieht. Lapidar merkt man bei der Polizei an – und dabei sollten die Ohren für jeden aufgehen, der bislang meint, die hastig verabschiedeten Antiterror- und Überwachungsgesetze gingen nicht an die Substanz eines freiheitlichen Rechtsstaats: „Sechs Menschen wurden unter dem Terrorismusgesetz festgehalten. Das ist etwas, das die ganze Zeit geschieht, besonders offensichtlich an Flughäfen und Bahnhöfen.“ Und eine andere polizeiliche Variante desselben:

Gathering intelligence and information under the Prevention of Terrorism Act and other legislation ensures we remain vigilant when it comes to preventing and detecting crime as well as providing reassurance to those people entering into and living in Bedfordshire and the UK.

Die Menschenrechtsorganisation Reprieve setzt sich für die Verhörten ein und kritisiert den Vorgang:

It is particularly telling that actors who played Guantanamo prisoners should be detained on the day after the Government pushed through its terror bill, making criminals of those who ‘glorify’ terrorism. Who’s next? Is Ken Stott going to be detained because he played the greatest terrorist of them all, Adolf Hitler? This is a glaring indictment of the government’s approach to ‘terror’ and demonstrates how far the British government has already emulated the Bush administration’s disdain for basic human rights and freedoms.

Stafford Smith, Direktor von Reprieve

Tatsächlich sollten sich nun alle, die sich so vehement für die Pressefreiheit und die westliche Kultur bei den Mohammed-Karikaturen eingesetzt haben, zu diesem Vorfall äußern und ihren Protest an die britische Regierung richten.